Gmunden hat eine neue gegründete Academy of Ceramics. Die wechselvolle Zusammenarbeit der Gmundner Keramik mit Künstler:innen seit 1909 findet damit eine innovative Fortsetzung in Kooperation mit der OÖ Landes-Kultur GmbH. In diesem heuer neu etablierten, lebendigen Format geht es um die gegenseitige Befeuerung und um die Auseinandersetzung zwischen einer der größten Keramikmanufakturen Mitteleuropas und zeitgenössischen Künstler:innen internationalen Formats. Tradition in Verbindung mit dem Zeitgenössischen, höchster Qualitätsanspruch, künstlerischer und handwerklicher Knowhow-Transfer, Arbeitsaufenthalte und Residencies in der Gmundner Keramik für Künstler:innen, zwei Ausstellungen mit Werken aus dem Art Aid Projekt der sogenannten »Bushmen« SAN aus Namibia und der vor Ort entstandenen Kunstwerke, aber auch Veranstaltungen, hochkarätige Talks und vor allem der Austauschzwischen Mitarbeiter:innen, Besucher:innen und Künstler:innen charakterisieren die Academy of Ceramics Gmunden (AoCG). www.aocg.at
UND KULTUR IM SALZKAMMERGUT
1492 erstmal urkundlich erwähnt, ist die Gmundner Keramik über die Jahre zu einem Synonym für beste österreichische Tischkultur geworden. Sie ist Teil unseres kulturellen Erbes und mit »Grüngeflammtem«, Streublumen und ihren klassischen Dekoren in vielen Haushalten zuhause und Teil österreichischer Identität. Nach der Erhebung der berühmten Gmundner Flammtechnik zum immateriellen Kulturerbe 2021 führt die Academy of Ceramics Gmunden (AoCG) die Tradition weiter: »Wir wollen dazu beitragen, dieses großartige, traditionelle Handwerk in die Zukunft zu führen. Dazu ist es nötig, Künstler:innen, Handwerker:innen und all jene zu fördern, die sich diesem Metier verschrieben haben«, Alfred Weidinger, Direktor der OÖ Landes-Kultur GmbH.
Der heutige Standort der Gmundner Keramik wurde in Form einer Werkstätte 1903 von Leopold Schleiß eröffnet. Mit der »Künstlerischen Werkstätte Franz und Emilie Schleiss« fand 1909 seinen Anfang, was bis heute das besondere Flair des Unternehmens ausmacht – die Liebe zur Kunst, wie die Keramik Spezialistin der neu etablierten Keramik-Sammlung der OÖ Landes-Kultur GmbH, Veronika Schreck weiß. Franz Schleiss II. fusionierte 1913 mit der Wiener Keramik, die als Verkaufsgemeinschaft mit der Wiener Werkstätte zusammenarbeitete. Die »Vereinigte Wiener und Gmundner Keramik und Gmundner Tonwarenfabrik Schleiß GmbH« lockte in den Sommermonaten begnadete Zierkeramik-Künstler wie Dagobert Peche, Michael Powolny und Franz von Zülow nach Gmunden. 1968 gründete der damalige Besitzer der Gmundner Keramik, Johannes Fürst von Hohenberg, mit der Keramikkünstlerin und »Hallstadt Keramik «-Inhaberin Gudrun Wittke-Baudisch die Arbeitsgemeinschaft GRUPPE H. Keramikkünstler wie Franz Josef Altenburg und Anton Raidel sowie der Designer Wolfgang von Wersin setzten Impulse für die Serienfertigung, produzierten aber auch Unikatkeramiken in ihrer bis 1993 bestehenden Kooperation. Ab 2003 unterstützte die Gmundner Keramik auch das 1963 von Keramikkünstler Kurt Ohnsorg, und späteren Professor an der Linzer Kunsthochschule, gegründete Keramik-Symposium.
Das seit drei Jahren tätige, neue Team der Gmunder Keramik geht nun neue eigene Wege und integriert die Künstler:innen räumlich, sucht aber auch unmittelbar den Austausch mit den Mitarbeiter:innen – insbesondere mit der Forschungs- und Entwicklungsabteilung und der Malerei –, den Kreativen vor Ort. »Die Künstlerinnen stören nicht den Betriebsablauf – sondern bereichern ihn«, meint Alexander Köck, Prokurist und Produktionsleiter der Gmundner Keramik, in einem der Talks der AoCG und beschreibt die Herausforderungen, aber auch Chancen für den Betrieb, »out of the box« zu denken. Gearbeitet wird seit 1. Juni 2022 mitten in der Produktion: Ben Orkin aus Südafrika hat sich in der Gießerei niedergelassen, Rosi Steinbach aus Leipzig arbeitet in der ursprünglich vorgesehenen Zone, während die später Dazugekommenen jeweils ihre Nischen gefunden haben: Linda Luse aus Lettland und Oberösterreich in der Formenwerkstatt, Dominika Bednarsky aus Frankfurt im Übergangsbereich, Maria Kulikovska aus der Ukraine/Krim und Julia Beliaeva aus Kiew mit ihren digitalen Skulpturen.
AOCG AUSSTELLUNG SAN AUS NAMIBIA
Der Besitzer der Gmundener Keramik Markus Friesacher hat zu Namibia eine enge Verbindung. Er kennt die Geschichte und das Schicksal der San (eine Sammelbezeichnung für einige indigene Ethnien im südlichen Afrika, die ursprünglich als reine Jäger und Sammler lebten). Ebenso die Namibierin Karin le Roux. Vor mehr als 30 Jahren hat sie ein künstlerisches Unterstützungsprogramm für die San in der Übersiedlungsfarm in Donkerbos initiiert und den OMBA Trust gegründet, der nachhaltige Existenzgrundlagen durch Kunst und Kunsthandwerk fördert. Die hohen künstlerischen Fähigkeiten der Künstler:innen in Donkerbos führten zur Idee, eine Kooperation mit den San zu entwickeln, um zum Beispiel eine Afrika-Keramik-Edition aufzulegen. Innerhalb weniger Wochen entstand ein einzigartiges Art-Aid-Projekt. Nach ersten Verhandlungen durch Alfred Weidinger, Besuchen des Teams der Gmundner Keramik vor Ort, wurde ein Brennofen hinuntergebracht. In mehreren Workshops in der Kalahari schufen Künstler:innen der San aus den Settlements eine Reihe von Entwürfen auf Papier und auf kleinen und großen Tellern nach einem Gudrun Baudisch Entwurf aus den 1980ern – also Unikate. Von der außergewöhnlichen Kraft des Ausdrucks und den archetypischen Motiven inspiriert, adaptierten und interpretierten die Malerinnen der Gmundner Keramik diese und schufen eigene Entwürfe. Inzwischen ist neben Unikaten bereits das erste Motiv als aufwendig gestaltete Edition in Serie gegangen. Es war der Beginn einer Zusammenarbeit, die einerseits den San wieder eine Lebensgrundlage bietet und andererseits das künstlerische Programm der Gmundner Keramik zu einem weiteren Höhepunkt führt.
AOCG ARTISTS IN RESIDENCE – SECHS INTERNATIONALE KÜNSTLER:INNEN ARBEITEN VOR ORT
Die eingeladenen Artists in Residence nutzen die Möglichkeit groß zu arbeiten, aber auch den Dialog mit den Expert:innen vor Ort, um ihre Arbeit weiter zu entwickeln.
Ben Orkins Keramik-Objekte spiegeln Intimität, bewegen sich zwischen Momenten der Anreicherung und Abhängigkeit, Bestätigung und Widerstand, Liebe und Trennung. Die glänzenden Glasuren bilden eine Schutzschicht nach Außen, zeugen von der Berührung des Handwerkers und einem Gefühl für das Taktile. Nach Experimenten mit dem Aufbrechen von Formen nutzt er in Gmunden die Infrastruktur, um sein Werk großformatig weiterzuentwickeln, das sich bisher mit Themen von Sicherheit, Ängsten und Barrieren in Verbindung mit Homosexualität und AIDS beschäftigt hat. Entstanden sind große abstrakte Skulpturen, die die Farbigkeit der Seen im Salzkammergut aufnehmen; aber auch eine ineinandergreifende Serie von Skulpturen, für die »körperlich anmutende Glasuren« mit den Expert:innen aus dem Labor gefunden wurden; sowie eine Auseinandersetzung mit dem österreichischen Künstler Franz Josef Altenburg und seinen tektonischen Formen, der viele Jahre mit der Gmundner Keramik zusammengearbeitet hat.


Große Bekanntheit erreichte Rosi Steinbach mit Keramikbüsten, in deren Gestalt zwischen Klassizismus und Pop sie das Abbild einer Vielzahl bekannter Künstler:innen und anderer Persönlichkeiten verewigte. In Gmunden nutzt sie die Auszeit von ihrer Werkstatt für neue Projekte, arbeitet aber auch weiter an Porträts und realisiert keramische Abbilder das subjektiv Charakteristische suchend. Rosi Steinbach beeindruckte auch vor Ort mit ihrer Meisterschaft in dem Medium Keramik: Es entstanden Portraits von Mitarbeiter:innen der Gmundner Keramik, Büsten und Studien zum Komponisten Anton Bruckner auch sowie Projekte, die sich mit Natur beschäftigen – seien es Flechten und Schwämme, oder ein Bisonkopf und vasenartige Skulpturen, im Dialog zwischen Natur und Tischkultur.


Dominika Bednarsky wählt Motive aus der Natur und verfremdet diese auf eine humorvolle und gleichzeitig befremdliche Art und Weise. Ihre Installationen und Arrangements aus glasierten Keramiken wirken eigenwillig und opulent, erinnern an die lange keramische Tradition und Stillleben der Renaissance. Sie untersucht das ambivalente Verhältnis von Tier und Mensch, verschränkt Körperteile, Wesen und Pflanzen zu neuen Figurationen. Für Gmunden realisiert sie eine Serie großer Garten- und Buschskulpturen. Hecken formen sich zu Flechtereien mit absurden Motiven, doch alles aus Busch und Blumen. Musizierende Mäuse bevölkern augenzwinkernd das Geschehen – vor allem wächst sie über die bisherigen Größenverhältnisse hinaus.
Linda Luse arbeitet zu Themen wie Arbeit, Schulden, Ökonomie, Landwirtschaft und Alltägliches. Neben Installationen, Video- und Audioarbeiten kombiniert sie zeitgenössische Materialien mit traditionellen und alten Keramiktechniken. In Zusammenarbeit mit der Gmundner Keramik entsteht eine große Installation aus abgeformten Energiemaispflanzen, deren Glasur aus Biomasse von der zur Verbrennung angebauten Pflanze hergestellt wird. Metallische Elemente, die die Pflanze aufgenommen hat, führen zu Verunreinigungen und damit zu Verfärbungen der bis zu 3 Meter hohen Keramikkörper. Das Projekt ist eine große technische und statische Herausforderung; alleine schon die dünnen Blattelemente zu gießen, bringt das Material Keramik an seine Grenzen.

Julia Beliaeva balanciert anmutig zwischen Virtualität, Körperlichkeit und Zerbrechlichkeit und verschmilzt Vergangenheit und Gegenwart in ihren sorgfältig artikulierten Arbeiten. Sie nutzt zeitgenössische Technologien, wie 3D-Scannen/Modellieren/Drucken und virtuelle Realität, ebenso wie traditionelle Techniken und insbesondere Porzellan. Mit der Gmundner Keramik entstand »Social Meditation«, um einen Neonring angeordnete Figuren, in deren metallischen Glanz – eine besondere Glasur, entwickelt von der Gmundner Keramik – sich die gezückten Pistolen spiegeln. Die Ausgangsform entstand noch mit der Kiewer Porzellanfabrik, die für die lange Tradition des Landes spricht, es heute so aber nicht mehr gibt. In Gmunden kann Beliaeva aber auch ein lang gehegtes Vorhaben umsetzen: große Arbeiten, die zunächst wie traditionelle Kachelöfen anmuten. Die aus 3D gedruckten und in Keramik gegossenen Kacheln fügen sich zu bis zu 3 Meter großen Skulpturen zusammen, die an zerbombte, ausgebrannte Häuser in Kiew erinnern und im figurativen Fries von Krieg und Flucht erzählen.
Die aktionistische Performerin, Multimedia und verbotene Künstlerin Maria Kulikovska hat seit der Annexion der Krim (Frühjahr 2014), mit der sie zum registrierten Flüchtling wurde, ihre Hauptthemen Körper, Weiblichkeit, Macht, Körperlichkeit in Bezug auf Macht und Grenzen erweitert um Themen der Mutterschaft im Krieg, Zwangsmigration und Exil. Auch in ihrer skulpturalen Arbeit sind der Körper und insbesondere Abformungen das Thema der Auseinandersetzung. In der Gmundner Keramik gestaltet sie aquarellartig bemalte Teller, die von Krieg und Flucht, Zwangsmigration, Exil und Gewalt am weiblichen Körper erzählen. Für ihre anschließende Ausstellung im FC Linz / OÖ Landes-Kultur GmbH arbeitet sie erstmals mit dem Medium Keramik an einem »Körpertisch« aus übermalten, überarbeiteten Abformungen des eigenen Körpers. Aus ihrer feministisch aktivistischen Praxis heraus wird der Körper zum Schlachtfeld, eruptiv fügen sich die Elemente aneinander, die Brüchigkeit steht für eine große Verletzlichkeit und Intensität.
