Anja Es: HIGHSPEED

Halt! Wenn Sie sich vor der Lek­tü­re die­ses Essays noch schnell die Nägel lackie­ren, kön­nen Sie wäh­rend des Lesens den Lack trock­nen las­sen. Jeden­falls, wenn Sie Sekun­den-Lack benut­zen. Oder Sie aktua­li­sie­ren eben noch die Apps auf dem Smart­phone, dann ver­lie­ren Sie damit spä­ter kei­ne Zeit.

Als erfolg­rei­cher Mensch wol­len Sie schließ­lich nicht nur infor­miert sein, son­dern auch attrak­tiv, selbst­op­ti­miert und up to date. Neben­bei könn­ten Sie noch die Brea­king News hören oder ein wich­ti­ges Tele­fo­nat erle­di­gen. Mul­ti­tas­king ist kei­ne Hexe­rei, fra­gen Sie mal hoch dotier­te Manager*innen oder die allein­er­zie­hen­de Mut­ter von den drei klei­nen Schrei­häl­sen neben­an. Ich krie­ge das ja auch hin, obwohl ich weder Mana­ge­rin noch Mut­ter bin. Jede und jeder muss das heut­zu­ta­ge kön­nen, es sei denn, man gehört zu den Lang­sa­men. Die sind inef­fi­zi­ent und immer ein biss­chen hin­ter­her. Tem­po ist angesagt!

Dazu haben wir alle denk­ba­ren Hilfs­mit­tel. Indus­tria­li­sie­rung und Digi­ta­li­sie­rung machen es mög­lich. Wäh­rend wir unse­ren Job machen, läuft die Wasch­ma­schi­ne und der Rech­ner erle­digt die Auf­stel­lung der Bilanz im Hand­um­dre­hen. Was frü­her ewig gedau­ert hat, läuft jetzt im Hin­ter­grund. Das spart Zeit und Zeit ist Geld. Und Geld ist im Kapi­ta­lis­mus nun mal das Maß der Din­ge. Mit Geld kann man sich alles kau­fen – sogar Zeit. Zeit, um mal schnell in den Aktiv-Urlaub zu jet­ten oder schnel­les Geld an der Bör­se zu machen. So ein Leben ent­spricht dem Zeit­geist. Alles ande­re ist von gestern.

In den letz­ten 200 Jah­ren (wer bit­te denkt heu­te noch in sol­chen Zeit­span­nen?) hat sich unser Lebens­tem­po ver­viel­facht. Beson­ders gut abzu­le­sen ist das an der Mode, die sich nicht mehr von Epo­che zu Epo­che ver­än­dert, son­dern von Sai­son zu Sai­son. Und da auch die zeit­ge­nös­si­sche Kunst eine Fra­ge der Mode ist, reden wir heu­te eher von Hype und nicht mehr von Strö­mun­gen oder Rich­tun­gen. Das macht den Kunst­markt schwie­rig, denn auf­stre­ben­de, jun­ge Künstler*innen sind ruck zuck Schnee von ges­tern. In die „Rich­ti­gen“ zu inves­tie­ren, wird in sol­chen Zei­ten selbst zur hohen Kunst. Als Galerist*in muss man da nicht auf dem Lau­fen­den sein, son­dern in der Zukunft. Schnel­ler als die Gegen­wart, sonst läuft man Gefahr, Sammler*innen mumi­fi­zier­te Schin­ken aus den längst ver­gan­ge­nen fünf Minu­ten anzudienen.

Nur weni­gen Künstler*innen wird von Galerist*innen, Kunstkritiker*innen und Kurator*innen die Zeit für eine behut­sa­me und för­dern­de Beglei­tung ihrer künst­le­ri­schen Ent­wick­lung geschenkt. Ein teu­res Geschenk, das sich nur weni­ge Play­er des inter­na­tio­na­len Kunst­mark­tes leis­ten kön­nen und das durch­aus nicht immer die erhoff­ten Früch­te trägt. Gelingt es aber, durch geschick­tes Mar­ke­ting, gute Ver­bin­dun­gen, Ein­fluss und Macht einen guten Künst­ler, eine ein­zig­ar­ti­ge Künst­le­rin auf dem Markt zu eta­blie­ren, sind unglaub­li­che Gewin­ne mög­lich, die sich kon­ti­nu­ier­lich stei­gern, solan­ge der oder die Künstler*in lie­fert. Soll­te das Wun­der­kind schwä­cheln oder die „Neue Lang­sam­keit” für sich ent­de­cken, kann die Gale­rie bes­ten­falls ver­su­chen, die Prei­se durch „Ver­knap­pung“ oben zu hal­ten. Um aus einem jun­gen Talent eine*n Künstler*in von dau­er­haf­tem mone­tä­rem Wert zu for­men, bedarf es sehr viel Know­how, eines siche­ren Gespürs für die Ent­wick­lun­gen am Markt, Fin­ger­spit­zen­ge­fühl und etli­cher wei­te­rer Zuta­ten aus dem Gewürz­re­gal das Galeriegeschäfts.

Das Pro­blem ist lei­der, dass die Begrif­fe „hip“ und „ange­sagt“ dem alt­mo­di­schen Wort „dau­er­haft“ ent­ge­gen­ste­hen wie zwei Kom­ple­men­tär­far­ben. Wenn es aber letzt­lich um die stets gefor­der­te „Wert­sta­bi­li­tät“ geht, zeigt sich auch der*die cools­te Sammler*in am Ende kon­ser­va­tiv bis ins Mark. Natür­lich gibt es sie noch: Die Sammler*innen, die aus Lie­be zur Kunst ihrem eige­nen Gespür trau­en und dem­entspre­chend auch kau­fen. Solch ana­chro­nis­ti­sche Gefühls­du­se­lei bewegt aber nicht den Markt. Ver­liebt­heit war schon immer inef­fi­zi­ent und hält nur auf. Als Wer­be­stra­te­gie funk­tio­niert sie aller­dings her­vor­ra­gend. We love it!

Wie viel schö­ner klingt doch das Wort „Kunst­lieb­ha­ber“ im Ver­gleich zu „Inves­tor“ oder dem schnö­den „Käu­fer“. Die Aura von Lei­den­schaft, Hin­ga­be und Lie­be ver­bin­det sich nun mal schwer mit dem blut­lee­ren Begriff „Kunst­han­del“. Lie­ber ver­lie­ben wir uns hoff­nungs­los in die umstrit­te­ne neue Arbeit des neu­es­ten Sterns am Kunst­him­mel. Inso­fern agie­ren (man­che) Gale­rien wie eine Dating-App der Kunst. Und wie bei „Tin­der“ kann das Objekt der Begier­de dabei schnell mal wech­seln. Das heizt den Markt an und bringt Bewe­gung in die Sze­ne. Nichts ist schlim­mer, als Still­stand. Wer wett­be­werbs­fä­hig blei­ben will, muss Schritt hal­ten mit einem immer schnel­ler wer­den­den gesell­schaft­li­chen Wan­del, der jeden Lebens­be­reich umfasst und in dem Kunst ihren viel­leicht prä­gnan­tes­ten Aus­druck findet.

Die Künstler*innen sel­ber müs­sen noch mehr als das. Sie soll­ten ihrer Zeit vor­aus sein. Das war aller­dings schon immer so, nur in Zei­ten, in denen die Zeit selbst auf Speed ist, ist das noch ein biss­chen schwie­ri­ger gewor­den. Natür­lich ist Gegen­warts­kunst immer ein Spie­gel unse­rer Zeit, aber der Inno­va­ti­ons­zwang in der Kunst bringt immer wie­der Künstler*innen und Kon­zep­te zum Vor­schein, die alle Kon­ven­tio­nen spren­gen, ganz neue Per­spek­ti­ven ein­neh­men und gewohn­te Denk­mus­ter infra­ge stel­len. Das geschah zu Van Goghs Zei­ten alle hun­dert Jah­re. Heu­te wird das wöchent­lich erwar­tet. Die Welt lechzt nach Neu­em, um den nächs­ten Hype zu verkünden.

Kann dabei gute Kunst ent­ste­hen? Ja, tat­säch­lich. Wie in der Musik, die unend­lich vie­le Varia­tio­nen kennt, ermög­licht auch die bil­den­de Kunst immer neue Wer­ke von hoher künst­le­ri­scher Qua­li­tät. Kunst ist weder durch die auto­kra­ti­sche Macht des Mark­tes noch durch die High­speed-Men­ta­li­tät unse­rer Gesell­schaft aus­zu­lö­schen. Natür­lich begüns­tigt Letz­te­res die Pro­duk­ti­on von Kunst-Sur­ro­gat, das sich lei­der oft eben­so gut ver­kau­fen lässt wie ein Fast-Food-Bur­ger, aber es gibt sie noch, die Künstler*innen, die sich die Zeit neh­men zu rei­fen, bis sie zu den wirk­lich Guten gehö­ren. Und ja, es gibt auch die Galerist*innen, die ihnen die­se Zeit las­sen und die Sammler*innen, die vor die­ser Kunst ver­har­ren und sich vie­le Jah­re an ihr erfreu­en. Ein­fach so.

Beitrag teilen
geschrieben von

Malt, schreibt, performt und bringt Texte und Bilder als Gesamtkunstwerk mit Musikern auf die Bühne. Ausstellungen und Performances in Deutschland und Dänemark. Mit ihrer Bildserie „La Gonzesse“ in Sammlungen, Galerien und Medien erfolgreich. Anja Es: KUNST! in der Alten Vogtei, Travemünde.

0
    0
    Warenkorb
    Consent Management Platform von Real Cookie Banner