Die Architektur als Choreographie

Im Interview

Roman Delu­gan und Elke Delu­gan-Meissl betrei­ben seit 1993 ein gemein­sa­mes Büro, das 2004 um Part­ner erwei­tert wur­de und sich seit­dem „Delu­gan Meissl Asso­cia­ted Archi­tects“ nennt. Ihre pro­mi­nen­tes­ten Bau­ten sind unter ande­rem das 2009 eröff­ne­te Por­sche Muse­um in Stutt­gart, das Ams­ter­da­mer „EYE Film Insti­tut“ und das Win­ter­fest­spiel­haus in Erl (bei­des 2012 eröff­net). DMAA begrei­fen den Raum nicht rein sta­tisch, son­dern in ers­ter Linie als „dyna­mi­sche und varia­ble Inter­ak­ti­on von Mensch und Umge­bung“. 2015 gewann das inter­na­tio­nal renom­mier­te Archi­tek­tur­bü­ro den Gro­ßen Öster­rei­chi­schen Staats­preis. Wir tref­fen Roman Delu­gan zu einem per­sön­li­chen Gespräch in Wien und gehen dabei auch auf die Bezie­hung zwi­schen Archi­tek­tur und Kunst ein.

Roman Delu­gan

Wir arbei­ten mit einem sol­chen breit­ge­fä­cher­ten Ver­ständ­nis von Funk­tio­na­li­tät, in dem Kunst als eigen­stän­di­ges Ele­ment eben­so sei­nen Platz hat wie etwa sinn­li­che und atmo­sphä­ri­sche Qualitäten 

Im Jah­re 1993 erfolg­te die Grün­dung von Delu­gan & Meissl in Wien. Ver­folg­ten Sie damals eine bestimm­te Vision?

Ein wich­ti­ger Impuls war natür­lich, uns von der Vor­gän­ger­ge­ne­ra­ti­on und den damals eta­blier­ten Play­ern abzu­set­zen: Wir haben neue Zugän­ge zur Archi­tek­tur gesucht, uns aber auch als Büro gan zan­ders auf­ge­stellt, wobei uns die neu­en  Tech­no­lo­gien zugu­te­ge­kom­men sind. Die Idee, mit jedem Pro­jekt ein Stück weit Neu­land zu betre­ten, treibt uns bis heu­te vor­an. Dabei ist das Neue nicht Selbst­zweck, son­dern es geht dar­um, aus gege­be­nen Situa­tio­nen bes­se­re, zukunfts­fä­hi­ge Ant­wor­ten zu kreieren.

Hat sich die­se Idee im Lau­fe der Jah­re verändert?

Nein, ganz im Gegen­teil: Wie zen­tral der eige­ne Anspruch auf stän­di­ge Inno­va­ti­on bis heu­te ist, lässt sich dar­an able­sen, dass wir mehr denn je Wert auf den Bereich „For­schung“ legen. Wir for­schen zu neu­en Typo­lo­gien, neu­en Tech­no­lo­gien, neu­en Inhal­ten und haben inner­halb des Büros die For­schungs­agen­den stark ausgebaut.

Wie vie­le geplan­te Pro­jek­te von Archi­tek­tur­bü­ros in Ihrer Grö­ße wer­den im Schnitt auch tat­säch­lich gebaut? Gibt es hier eine Bench­mark in der Bran­che, die man errei­chen möch­te, oder ist der Pro­zess des Pla­nens für den Archi­tek­ten schon Genug­tu­ung genug?

Im lang­jäh­ri­gen Durch­schnitt gese­hen kön­nen wir rund ein Fünf­tel aller Pro­jek­te auch tat­säch­lich rea­li­sie­ren. Es gibt dies­be­züg­lich kei­ne Bench­mark, son­dern jedes Büro arbei­tet anders, wodurch sich auch unter­schied­li­che Ver­hält­nis­se erge­ben. Unser Schwer­punkt liegt auf dem Ent­wurf und damit in einem beson­ders ris­kan­ten Bereich. Wenn ein Pro­jekt rea­li­siert wird, ist uns die Detail­pla­nung eben­so wichtig.

Spielt bei Ihren Bau­ten das The­ma Kunst eine Rol­le, oder geht es aus­schließ­lich um Funktionalität?

Kunst spielt eine wich­ti­ge Rol­le für uns, was man allein dar­an erkennt, dass wir bei vie­len unse­rer Pro­jek­te Künst­ler direkt ein­bin­den. Der sim­pel anmu­ten­de Begriff „Funk­tio­na­li­tät“ ist in Wirk­lich­keit sehr kom­plex und umfasst vie­le unter­schied­li­che Facet­ten. Wir arbei­ten mit einem sol­chen breit­ge­fä­cher­ten Ver­ständ­nis von Funk­tio­na­li­tät, in dem Kunst als eigen­stän­di­ges Ele­ment eben­so sei­nen Platz hat wie etwa sinn­li­che und atmo­sphä­ri­sche Qualitäten.

Ihre Bau­ten wer­den als monu­men­ta­le Skulp­tu­ren bezeich­net, die sich den­noch dyna­misch in die Land­schaft ein­fü­gen. Kön­nen Sie uns dazu eine Erklä­rung geben? Wel­che Bedeu­tung haben Design und Materialien?

Hier­bei han­delt es sich um ein ver­brei­te­tes Miss­ver­ständ­nis: Wir ent­wi­ckeln unse­re Pro­jek­te aus dem Geni­us loci, aus kon­kre­ten, jeweils unter­schied­li­chen Kon­tex­ten. Unse­re Gebäu­de sind also aufs Engs­te mit der jewei­li­gen Umge­bung ver­bun­den und besit­zen kei­nes­wegs den Cha­rak­ter von auto­no­men Skulp­tu­ren. Unse­re Bau­ten sind kei­ne toten „Drop sculp­tures“, son­dern funk­tio­nie­ren im Gegen­teil wie leben­di­ge Orga­nis­men, die Innen und Außen ver­bin­den. Archi­tek­tur ist für uns dann gelun­gen, wenn wir durch den neu gebau­ten Raum die bestehen­den Qua­li­tä­ten des Ortes erhöhen.

Der Kunst­markt ist hart und folgt kla­ren kom­mer­zi­el­len Geset­zen. Haupt­kri­tik­punkt ist, dass Künst­ler groß­teils nur als Hand­lan­ger für Gale­ris­ten fun­gie­ren. Wie ist das in der Archi­tek­tur? Kann man die eige­ne Hand­schrift in aus­rei­chen­dem Maße umset­zen oder ist der Bau­herr bestimmend?

Bau­herrn kom­men im Nor­mal­fall auf uns zu, weil sie unse­re Arbeit und Her­an­ge­hens­wei­se schät­zen. Aus die­sem Grund haben sie natür­lich Inter­es­se, dass wir unse­re Stär­ken auch aus­spie­len. Wenn wir den gegen­tei­li­gen Ein­druck haben, dann las­sen wir uns gar nicht auf eine Zusam­men­ar­beit ein, weil sie für bei­de Sei­ten nur frus­trie­rend ist.

Wie wür­den Sie den Wie­der­erken­nungs­wert Ihrer Archi­tek­tur beschrei­ben? Gibt es DAS eine Delu­gan-Meissl-Merk­mal?

Wir haben im Lau­fe der Zeit unse­re eige­ne Ent­wurfs­me­tho­dik ent­wi­ckelt und per­fek­tio­niert. Die­ser ganz spe­zi­fi­sche Pro­zess ist typisch für DMAA. Er lässt sich in gewis­sen Gren­zen an unse­ren Gebäu­den able­sen, aber er ent­zieht sich einem so äußer­li­chen Kri­te­ri­um wie einem „Wie­der­erken­nungs­wert“. Bei all unse­ren Gebäu­den spie­len phy­sio­lo­gi­sche Aspek­te der Raum­er­fah­rung eine wich­ti­ge Rolle.

Sie haben sich als Archi­tek­ten­bü­ro nicht auf eine bestimm­te Art von Bau­ten spe­zia­li­siert − ist das eine stra­te­gi­sche Entscheidung?

Das war kei­ne stra­te­gi­sche Ent­schei­dung, höchs­tens inso­fern, als wir uns eben nicht spe­zia­li­sie­ren woll­ten, um in einem mög­lichst viel­fäl­ti­gen Umfeld tätig sein zu kön­nen. Wir rea­li­sie­ren heu­te Pro­jek­te in ganz unter­schied­li­chen Maß­stä­ben vom Städ­te­bau bis zum Indus­tri­al Design. Wir bau­en nicht nur Hard­ware, son­dern ent­wi­ckeln auch Soft­ware, die nur indi­rekt mit Archi­tek­tur zu tun hat.

In der Kunst­welt ist Neid unter den Künst­lern ein gro­ßes The­ma und zer­stört oft auch erfolgs­ver­spre­chen­de Gemein­schafts­pro­jek­te. Wie ver­hält sich das mit dem Neid unter Architekten?

Im Gegen­satz zur Kunst domi­niert heu­te in der Archi­tek­tur das Team­work und da ist zum Glück wenig Platz für Neid und Eitel­kei­ten. Wir arbei­ten bei den meis­ten Pro­jek­ten schon im Vor­feld mit Exper­ten aus den ver­schie­dens­ten Rich­tun­gen zusam­men. Bei gro­ßen Bau­auf­ga­ben kol­la­bo­rie­ren wir mit­un­ter auch mit Kol­le­gen, gegen die wir viel­leicht beim nächs­ten Wett­be­werb antre­ten müs­sen. Wenn es eine respekt­vol­le gemein­sa­me Basis gibt, funk­tio­niert das ohne Probleme.

Sie haben inter­na­tio­nal gear­bei­tet, in den ver­gan­gen Jah­ren aber auch zuneh­mend in Öster­reich Pro­jek­te rea­li­siert. Wie offen ist Öster­reich in Sachen Archi­tek­tur? Zeich­net sich hier eine posi­ti­ve Ent­wick­lung ab?

Öster­reich hat eine über­durch­schnitt­lich hohe Dich­te an guten Archi­tek­ten und damit ein kom­pe­ti­ti­ves Umfeld, das für ent­spre­chen­de Spit­zen­leis­tun­gen sorgt. Lei­der wird mei­ner Mei­nung nach die inter­na­tio­na­le Posi­tio­nie­rung die­ser Leis­tun­gen – ob durch die Poli­tik oder ande­re Insti­tu­tio­nen – kom­plett ver­nach­läs­sigt. Das The­ma „refur­bish­ment“ ist inter­na­tio­nal stark im Kom­men. Gera­de durch den dich­ten Bestand sind öster­rei­chi­sche Archi­tek­ten schon lan­ge gezwun­gen, sich damit aus­ein­an­der­zu­set­zen. Öster­reich könn­te hier auch inter­na­tio­nal eine wich­ti­ge Rol­le spielen.

Das Por­sche-Muse­um in Stutt­gart-Zuffen­hau­sen ist eines Ihrer Refe­renz­pro­jek­te. Was war neben dem Renom­mee des Bau­herrn an die­sem Pro­jekt reiz­voll für Sie?

Por­sche ist eine Welt­mar­ke mit enor­mer emo­tio­na­ler Auf­la­dung. Abge­se­hen davon war das Beson­de­re bei die­sem Pro­jekt, dass es in die­sem Kon­zern im Grun­de nur einen ein­zi­gen Ent­schei­dungs­trä­ger gab, und das war der CEO Wen­de­lin Wie­deking. Er war in die ein­zel­nen Ent­schei­dun­gen zu 100% invol­viert und hat­te zugleich auch das Pou­voir, allei­ne zu ent­schei­den. Es han­delt sich um den bei Pro­jek­ten die­ser Grö­ßen­ord­nung nicht so häu­fi­gen Fall, dass die Grund­idee vom Bau­herrn vom Anfang bis zum Schluss mit­ge­tra­gen wurde.

Wie stark bezie­hen Sie das Auge des Betrach­ters und die Per­spek­ti­ve des Nut­zers in Ihre Pla­nung ein?

Unse­re Art, Archi­tek­tur zu betrei­ben, lässt sich ganz gut mit dem Begriff „Cho­reo­gra­phie“ beschrei­ben. Der Benut­zer ist sowohl zen­tra­ler Teil des Stücks als auch Betrach­ter von außen. Die phy­sio­lo­gi­sche Dimen­si­on spielt dabei immer eine wich­ti­ge Rol­le, egal, ob es dar­um geht, den Benut­zer in Ruhe oder in Bewe­gung zu versetzen.

Das Fest­spiel­haus in Erl ist ein wei­te­rer Ihrer Mei­len­stei­ne. Wel­che Aspek­te der Archi­tek­tur sind bei der Pla­nung eines Musik­hau­ses die bedeutendsten?

Wie bei jedem Kon­zert­haus stand zunächst die opti­ma­le Akus­tik im Mit­tel­punkt. Beson­ders span­nend war aber auch der Umgang mit der Topo­gra­fie, der rei­nen Natur­land­schaft und dem bestehen­den Pas­si­ons­spiel­haus. Das Ergeb­nis sind zwei Gebäu­de, die eine Art „Pas de deux“ voll­füh­ren. Basie­rend auf dem Raum­pro­gramm ist auch hier wie­der­um das Spiel mit der phy­sio­lo­gi­schen Funk­tio­na­li­tät zentral.

Was hat es mit der „Casa invi­si­bi­le“ auf sich? Wir sind bei unse­rer Recher­che dar­auf gestoßen…

Das The­ma des vor­fa­bri­zier­ten Hau­ses mit öko­lo­gi­schem Anspruch und mini­ma­lem Fuß­ab­druck beschäf­tigt uns schon seit lan­gem. Da wir am Markt kein adäqua­tes Haus für den Eigen­be­darf fin­den konn­ten, haben wir uns ent­schlos­sen, ein sol­ches Fer­tig­teil­haus zu ent­wer­fen und selbst zu pro­du­zie­ren. Mitt­ler­wei­le ist die­ses Modell − her­ge­stellt von der Fir­ma List − in drei Grö­ßen – small, medi­um und lar­ge − erhältlich.

Heuer wur­de das HYUNDAI MOTORSTUDIO GOYANG in Süd­ko­rea fer­tig­ge­stellt − ein Gebäu­de, das in sich unter­schied­li­che Ein­hei­ten beher­bergt: Sales, Brand Cen­ter, Auto­mo­ti­ve The­me Park, Offices und Ser­vices. Sind Sie zufrie­den mit dem Ergebnis?

Ja, ähn­lich wie beim Por­sche-Muse­um haben wir ver­sucht, die Mar­ke Hyun­dai in Archi­tek­tur zu über­set­zen. Wenn man das Gebäu­de ver­lässt, weiß man, wofür Hyun­dai steht. Es ist kein Gebäu­de, das pri­mär die His­to­rie von Hyun­dai erzählt, son­dern es ver­mit­telt das Heu­te und die nahe Zukunft der Mobi­li­tät. Es ist natür­lich wich­tig, dass es uns gefällt, aber noch wich­ti­ger ist kla­rer­wei­se, dass es dem Auf­trag­ge­ber gefällt. Hier haben wir bis­her nur posi­ti­ve Reso­nan­zen erhalten.

Wie schaut Ihrer Mei­nung nach die Archi­tek­tur der Zukunft aus? Wel­che gro­ßen Her­aus­for­de­run­gen gilt es zu über­win­den, bzw. gibt es gewis­se Ent­wick­lun­gen, die es erlau­ben, ein Zukunfts­bild zu zeichnen?

The­men wie Öko­lo­gie und Nach­hal­tig­keit gewin­nen wei­ter­hin an Rele­vanz. Eine enor­me Her­aus­for­de­rung besteht dar­in, Ant­wor­ten auf die welt­weit gras­sie­ren­de Land­flucht und das rasan­te Wachs­tum der Städ­te zu fin­den. Der gan­ze Bereich „Refur­bish­ment“ und neue For­men der Mobi­li­tät wer­den noch viel mehr an Bedeu­tung gewin­nen. Als Archi­tek­ten müs­sen wir uns mit all die­sen Phä­no­me­nen inten­siv aus­ein­an­der­set­zen, wenn wir rele­vant blei­ben wollen.

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