MELLITIUS.!
Sinngemäß bedeutet mellitius »honigsüß« und das erschien Nina Katschnig und ihrem Team geeignet als Titel für die Frühjahrsausstellung in der galerie gugging. »Food Art« ist an sich nichts Neues. Lebensmittel dienten bereits in der Höhlenmalerei der Steinzeit sowohl als pflanzliche als auch tierische Bindemittel – wie Baumharze oder Blut –, wurden aber auch als Zeichenmaterialien verwendet. Auch in der Kunst des Alten Ägypten und im antiken Rom wurden Getreide, Brot, Früchte, Opfergaben sowie Feste mit kulinarischen Gelagen abgebildet. Die Darstellung entsprach der jeweiligen Zeit und der Intention der Künstler*innen. Giuseppe Arcimboldos einzigartige Portraits aus Gemüse und Früchten verblüfften zunächst, während Paul Cézanne später als Meister der Stillleben großes Ansehen genoss. Eines der bekanntesten Kunstwerke des 20. Jahrhunderts wiederum ist wohl Campell’s Soup Can von Andy Warhol. Daniel Spoerri, der in den 1960er Jahren die »Eat Art« prägte, kuratierte im Jahr 2021 in unserer Galerie die Ausstellung »curated by daniel spoerri« und suchte sich dafür unter anderem auch Werke von August Walla aus.
Walla gilt als einer der vielseitigsten Art Brut Künstler der Gegenwart und das Thema Lebensmittel lässt sich in seinem gesamten Schaffen wiederfinden. Der Künstler hat sowohl auf Leinwänden als auch auf Papier gearbeitet, fotografiert, Objekte gefertigt und stets seine gesamte Umgebung miteinbezogen. Zwei »zufällig« entstandene Arbeiten werden in der Ausstellung erstmalig präsentiert: Wallas Tischtücher. Diese beiden Objekte wurden von Walla auf dem Tisch in seinem Zimmer im Haus der Künstler im Laufe der Jahre gestaltet. Ein von ihm stets mit Gewürzen gut gefüllter, bemalter Kanister wird ebenfalls gezeigt und ergänzend dazu Zeichnungen und Schriftbilder mit kulinarischem Inhalt sowie diversen Preisberechnungen für Gerichte. Dabei handelt es sich um Werke aus Wallas letzter Schaffensperiode, in der sich alles hauptsächlich um das Thema »Food« dreht. Wir treffen die Direktorin der Galerie Nina Katschnig während der Vorbereitungen zur Ausstellung und dürfen im Gespräch mit ihr mehr über den Künstler und Mensch August Walla (1936–2001) sowie seine Leidenschaft für das Essen erfahren.
Sie haben August Walla persönlich gekannt und ihn auch einige Jahre in Ihrer Funktion als Direktorin der galerie gugging begleitet – können Sie uns erzählen, wie Sie Ihre erste Begegnung mit dem Künstler erlebt haben?
NINA KATSCHNIG: August Walla war ein großer Mann, der bei meinem ersten Besuch im Haus der Künstler, im Frühjahr 1997, mit dem Zeigefinger auf mich gerichtet zukam und fragte: »Spielst du mit mir ‚Mensch ärgere Dich nicht‘?«. Ich hatte viel über ihn gelesen, aber damit hatte ich nicht gerechnet und selbstverständlich habe ich mit ihm gespielt. Ich fühlte mich geehrt, mit dem Künstler, der weltweit bereits zu Lebzeiten großes Ansehen genoss, zusammen zu sein und sogar spielen zu dürfen. Alles, was ich bis dato über »Mensch ärgere Dich nicht« gewusst hatte, galt jedoch nicht mehr. Walla hatte seine eigenen Spielregeln, die es zu befolgen galt, und trotzdem: ich hatte großes Würfel-glück und gewann schließlich. So großartig er als Künstler war, ein guter Verlierer war Walla nicht. Mit dem Satz »Mit der Frau spiele ich nicht mehr« packte er zusammen und ich hatte tatsächlich keine Chance mehr auf ein Spiel mit ihm. Nicht nur an diesem Tag – all die Jahre nicht, die ich ihn begleiten durfte. Am Tag unserer ersten Begegnung zeigte er mir allerdings noch sein Zimmer. Darauf war er stolz. Es war und ist ein von ihm geschaffenes Reich mit all seinen Göttern und Wesen – seiner Magie! Wir nennen es unsere »Sixtina«. In diesem Gesamtkunstwerk – Wände, Decke, Kästen, sogar der Fernseher war bemalt – stand er dann, zeigte mit dem Finger mal auf diese oder jene Figur und erklärte mir, wer das sei und warum er sie/ihn genau hier hingemalt hat. Ich konnte mich gar nicht sattsehen und als ich dann den Raum verließ, stand ich vor einem Aquarium, in dem man die Fische kaum sehen konnte, da auch das von Walla mit seinen Schriften und Symbolen versehen worden ist. Die erste Begegnung mit August Walla war so faszinierend für mich, dass ich unbedingt mehr erfahren wollte, über ihn, über die anderen Künstler, sodass ich mir für den nächsten Tag einen Gesprächstermin mit Dr. Feilacher ausmachte. Während dieses Gesprächs hörte ich mich dann fragen, ob ich hier arbeiten könne…und das war es dann. Somit war die erste Begegnung mit August Walla für mich wirklich richtungsweisend und hat über den weiteren Verlauf meines bisherigen Lebens entschieden. Ein halbes Jahr später, im September 1997, begann ich für die Gugginger Künstler zu arbeiten und ausschlaggebend dafür war bestimmt die Faszination, die von Walla und diesem speziellen Ort ausging.

Was war August Walla für ein Mensch und welche Rolle spielte das Kunstschaffen in seinem Leben?
NINA KATSCHNIG: Walla war, solange seine Mutter lebte, sehr auf sie fixiert und prinzipiell ein Einzelgänger, der sich nicht wirklich für andere Menschen interessierte. Er machte, was er wollte, und hielt sich an keinerlei Regeln. Er sprach auch hauptsächlich mit seiner Mutter und mit anderen nur, wenn es sich nicht vermeiden ließ. Erst als seine Mutter gestorben war, wurde er eigenständiger und hat begonnen, sich auch mehr sprachlich mitzuteilen. Zuvor brachte er seine Anliegen zumeist schriftlich vor und das oft in einer Fremdsprache. Er hatte viele Wörterbücher, die er zu diesem Zwecke gerne benutzte. Er hat schon sehr früh begonnen, seine Umgebung zu gestalten und verwendete dafür alles, was er hatte oder ihm »unter die Finger« kam. Ob das Bona Öldosen, Milchpackerl, Wasch-mittelkanister, Hölzer, Steine oder gar Bäume und Parkbänke waren, war einerlei. Er war ein Sammler und Gestalter … und das immer, überall mit großer Konsequenz und Eigenständigkeit. Das Kunstschaffen, das er und auch seine Umwelt anfänglich gar nicht als solches wahrgenommen haben, begleitete ihn sein Leben lang. Es war ein Genuss für ihn, sich seine Umgebung seinen Wünschen entsprechend zu gestalten, etwas zu malen, zu zeichnen oder auch zu schreiben. Mit genau derselben Hingabe widme-te er sich auch dem Essen.
Das Œvre, das dieser Künstler der Welt hinterlassen hat, ist sehr umfassend. Könnten Sie es dennoch für uns übergreifend zusammenfassen?
NINA KATSCHNIG: August Walla hat alles für sich und seine Mutter »erfunden«, was in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts als Kunst definiert wurde. Von der Streetart bis zur Performance, die er entweder selbst oder von seiner Mutter fotografieren ließ, bis zur vorweg genommenen Arte Povera, wo er gesammelte Objekte aus dem Sperrmüll zu Kunstwerken transformierte. Walla war seiner Zeit voraus. Sein Œvre umfasst weiters sowohl Malerei auf Leinwand und Holzplatten als auch Zeichnungen auf Papier, viele »Schreibmaschinen-Blätter«, Notizbücher sowie Fotografien und Objekte. Seine Land- und Streetart sowie seine Performances haben er oder seine Mutter fotografisch dokumentiert, wodurch ein eigen-ständiges fotografisches Werk entstand. Walla gilt nach wie vor als einer der vielseitigsten Künstler der Art Brut und das zu Recht.

MELLITIUS + TOQUE PÜPPUS.|!|»|| HONIG UND BUBE.|| WALLA, GUSTI.|!|!||
Stichwort Art Brut – wie würden Sie persönlich aus Ihrer langjährigen Erfahrung heraus diese Form der Kunst beschreiben und welche Wahrnehmung und Anerkennung erleben die Künstler, die Sie in Ihrer Galerie vertreten? Man spürt in Sammlerkreisen durchaus, dass die Art Brut sehr begeistert.
NINA KATSCHNIG: Art Brut ist eine von kultureller Kunst unbeeinflusste Kunst, die einem inneren Ausdrucksbedürfnis folgt. Die »Ursprünglichkeit«, das nicht »berechnende« der Art Brut, sind die wesentlichen Merkmale dieser Stilrichtung, die einzigartig in ihrem Ausdruck ist. Die Gugging Künstler*innen sowie ihre internationalen Kolleg*innen die wir in der galerie gugging vertreten, werden unterschiedlich vom derzeit herrschenden »Markt« rezipiert. Viele der von uns vertretenen Künstler*innen sind mit ihren Werken in wesentlichen privaten- und/oder Museumssammlungen vertreten. Dazu ist anzumerken, dass es sich hier nicht mehr hauptsächlich um ausgesprochene Art But Sammlungen handelt. Die Art Brut als Ausdruck der jeweiligen Zeit ihres Entstehens ist mittlerweile Be-standteil vieler Sammlungen zeitgenössischer Kunst.
Walla und seine Kunst haben auch den gesamten Gugging Campus geprägt. Woraus besteht das sogenannte »art/brut center gugging«, was gibt es hier alles zu entdecken und was davon erinnert an das Leben von August Walla?
NINA KATSCHNIG: Als Walla noch lebte, hat er nicht nur seine Wohnung, das Schrebergartenhaus an der Donau, oder später das Zimmer im Haus der Künstler bemalt und gestaltet, sondern auch die Umgebung, in der er sich aufhielt. Somit waren oftmals Symbole, Zeichen oder Schriften auf Bäumen, Parkbänken oder auf der Straße zu entdecken. Mittlerweile ist bereits vieles schon verwittert, die Gemälde auf und im Haus der Künstler sowie die im Garten des Hauses der Künstler aufgestellte Schrebergartenhütte sind jedoch nach wie vor sichtbare Zeugen seines Wirkens. Das Art Brut Center Gugging besteht aus dem museum gugging, der galerie gugging, dem atelier gugging und selbstverständlich dem Haus der Künstler. Das Haus der Künstler ist der Ausgangspunkt von allem. Hier leben die Künstler und deshalb ist es auch öffentlich nicht zugänglich. Es können jedoch sowohl die Galerie als auch das Museum besucht werden und bereits am Parkplatz des Art Brut Centers wird man von der von Wal-la geschaffenen über 5 Meter breiten Keramikwand »PARADIES.« begrüßt. Seit Dezember 2021 ist auch, inspiriert durch ihn, neben dem Stern von Johann Hauser, den Figuren von Oswald Tschirtner und den Sonnen von Heinrich Reisenbauer, das Halbhöllenzeichen von August Walla am Gebäude des Art Brut Centers zu sehen.
Welche Bedeutung kommt dem Werk Wallas heute international zu?
NINA KATSCHNIG: August Walla gilt nicht nur wegen seines umfassenden, vielseitigen Œuvres als einer der bedeutendsten Art Brut Künstler aller Zeiten. Seine Werke werden weltweit gezeigt und das nicht nur bei Ausstellungen, die der Art Brut gewidmet sind. Dadurch, dass sein Werk bereits sehr »früh« weltweit gezeigt und auch besprochen wurde, zählt er mit Adolf Wölfli, Martín Ramírez, Henry Darger und auch Aloïse Corbaz zu den Klassikern dieser Stilrichtung.
Derzeit bereiten Sie eine Ausstellung in der galerie gugging vor, in der sich alles um August Walla drehen wird. Wo liegt dabei der Schwerpunkt?
NINA KATSCHNIG: Der Schwerpunkt der Ausstellung »MELLITIUS.! august walla: food passion« liegt, wie der Titel schon sagt, auf dem Thema Essen. Wir wollten eine Ausstellung zum Themenschwerpunkt »Food« machen und da kommt man bei Walla einfach nicht vorbei. Zuerst wollten wir diese Präsentation mit verschiedenen Künstler*innen gestalten, aber dann haben wir bei Walla so viele wunderbare Arbeiten dazu gefunden, sodass wir uns entschieden haben, diese Ausstellung ihm zu widmen. Als interessante Ergänzung werden Werke von Alois Fischbach, Helmut Hladisch, Heinrich Reisenbauer, Günther Schützenhöfer und Oswald Tschirtner gezeigt.
Was denken Sie hätte August Walla von der Idee dieser Ausstellung gehalten?
NINA KATSCHNIG: Ich glaube, dass er sie sehr gemocht hätte und hoffe auch, dass er mit einem Augenzwinkern darauf herabschaut. Er hätte sich zur Vernissage seine Lieblingsspeisen gewünscht, Wienerschnitzel und Marillenmarmelade Palatschinken – das wäre ihm wahrscheinlich das Wichtigste daran gewesen und hätte darüber hinaus sein Kommen garantiert.
Wie würden Sie (bezogen auf das Thema dieser Ausgaben) die Leidenschaften des August Walla beschreiben, war er ein leidenschaftlicher Mensch und wofür hat er sich voll und ganz hingegeben?
NINA KATSCHNIG: Wallas Leidenschaft war seine spezielle Art der Kommunikation mit seiner Umwelt und das Essen. Darum ist es in seinem Leben gegangen und nicht um viel mehr. Er hat sich dem auch wirklich von Kindheit an hingegeben. Zunächst stand eher sein künstlerischer Ausdruck im Vordergrund – in seinen letzten Jahren dann eindeutig das Essen. Walla war ein Genießer. Er hat alles, was er von sich aus gemacht hat, mit großer Bedachtnahme und Genuss gemacht. Nichts ging schnell. Er arbeitete langsam, bedächtig und konzentriert. Seine Speisen genoss er auf die genau selbe Art und Weise. Es war eine Freude ihm zuzusehen, sowohl bei seinen künstlerischen Aktivitäten als auch beim Essen. Von beidem konnte er auch nicht wirklich genug bekommen! August Walla hat nahezu bis zu seinem letzten Tag künstlerisch gearbeitet.
Großartig, das ist pure Leidenschaft! Wir freuen uns auf die Ausstellung.