Sammlung Würth

Freiräume des Denkens

Die Samm­lung Würth umfasst mehr als 18.500 Wer­ke vom 15. Jahr­hun­dert bis zur Gegen­wart – vor allem Male­rei und Skulp­tur. Der Schwer­punkt der Samm­lung liegt auf moder­ner und zeit­ge­nös­si­scher Kunst. Bei frei­em Ein­tritt wer­den die Kunst­wer­ke in den 15 Muse­en und Depen­dan­cen der Würth-Grup­pe der Öffent­lich­keit zugäng­lich gemacht. In der Kunst­hal­le Würth in Schwä­bisch Hall, nach Plä­nen des däni­schen Archi­tek­ten Hen­ning Lar­sen har­mo­nisch ein­ge­bet­tet in das his­to­ri­sche Pan­ora­ma der alten Reichs­stadt, ste­hen 2.600 Qua­drat­me­ter Aus­stel­lungs­flä­che zur Ver­fü­gung. Aktu­ell wird dort die Samm­lungs­aus­stel­lung »Sport, Spaß und Spiel« gezeigt, die sich den Ver­gnü­gun­gen wie Über­for­de­run­gen der Frei­zeit wid­met. Ein durch­aus gut gewähl­ter Zeit­punkt für ein der­ar­ti­ges The­ma, denn in den letz­ten Jah­ren hat­te man gera­de den Aspekt der Frei­zeit­ak­ti­vi­tä­ten viel­fach ver­misst. Dabei ist Frei­zeit von enor­mer Bedeu­tung für die Ent­wick­lung unse­rer Gesell­schaft, den Aus­tausch, das Sich­aus­pro­bie­ren und Zusich­selbst­fin­den. Frei­zeit­ak­ti­vi­tä­ten, ob in Form von Sport oder von Spiel, bie­ten nicht nur Bewe­gung, son­dern auch Inspi­ra­ti­on. Ihre Gegen­bil­der – der Müßig­gang, die Lan­ge­wei­le, das Tag­träu­men, das Sicht­rei­ben­las­sen oder das »Chil­len« – sind als Frei­räu­me des Den­kens wich­ti­ge Fak­to­ren künst­le­ri­scher Kreativität.

Don­na Stolz Show me a gar­den that’s burs­tin’ into light2007Öl auf Leinwand280 x 200 cm, Samm­lung Würth, Inv. 11324

Gezeigt wer­den in der Aus­stel­lung rund 200 Arbei­ten von 98 Künst­le­rin­nen und Künst­lern. Aus­stel­lun­gen aus dem Samm­lungs­be­stand sind für das Kurator*innen-Team der Samm­lung Würth von Bedeu­tung, weil dadurch die Viel­zahl an Wer­ken aktiv über­blickt wird und stets neue Kon­stel­la­tio­nen gefun­den und neue Wer­ke berück­sich­tigt wer­den kön­nen, die sonst unter Umstän­den nicht vor­der­grün­dig prä­sent wären. So fin­den sich wäh­rend des Aus­stel­lungs­be­suchs durch­aus über­ra­schen­de Grup­pie­run­gen, die neue Per­spek­ti­ven zulassen.

Die Schau folgt klas­si­schen Frei­zeit-Topoi wie Park, Frei­bad, Bade­see, Mane­ge oder Are­na bis hin zu Mari­na, Pfer­de­renn­bahn oder Club. Frei­zeit für alle, bezie­hungs­wei­se »bezahl­ter Urlaub«, sind sozia­le Errun­gen­schaf­ten, die erst mühe­voll durch­ge­setzt wer­den muss­ten. Dar­auf spielt auch das Werk »Les Loi­sirs« (Die Frei­zeit) des fran­zö­si­schen Kubis­ten Fer­nand Léger von 1944 an. Mit­ten im Krieg träumt Léger vom Phä­no­men der Frei­zeit, vom Müßig­gang für alle. Er war im Exil in den USA und hat damals schon die moder­ne Frei­zeit­ge­sell­schaft erlebt. Dane­ben hän­gen ein gro­ßes Werk von Wal­ter Wörn, mit dem Titel »Wochen­en­de« und ein Max Beck­mann. Die in der Moder­ne gerun­de­ten ver­ein­fach­ten Kör­per­for­men, im Volu­men bewusst über­stei­gert, fal­len sofort ins Auge. In Wörns Arbeit, der als Künst­ler der Stutt­gar­ter Moder­ne im Natio­nal­so­zia­lis­mus frei­lich nichts zu mel­den hat­te, drückt sich das Gegen­teil von »Reih und Glied« aus: alle frei, jeder wie er will, sorg­los und glücklich.

SPORT, SPAß & SPIEL in der Samm­lung Würth 13.12.2021 – 26.2.2023

Danach fällt der Blick auf ein Gemäl­de von Fran­tišek Kup­ka, der das Pro­le­ta­ri­at im Volks­gar­ten zum Motiv macht. Kom­po­si­to­risch eine direk­te Replik auf Edu­ard Manets berühm­tes Werk »Musik im Tui­le­rien­gar­ten« von 1862, doch wäh­rend die­ser die Pari­ser Haute­vo­lee beim Sehen und Gese­hen wer­den fest­hält, spielt Kup­ka auf die pre­kä­re Situa­ti­on in den Städ­ten an, wo auf engs­tem Raum vie­le Men­schen zugleich ihre Frei­zeit ver­le­ben. Vom eli­tä­ren Som­mer­do­mi­zil zum Mas­sen­tou­ris­mus war es ein wei­ter Weg. Die Wer­ke von Erwin Pfrang, »Luna­park« und »Rei­se­ge­sell­schaft«, spie­len dar­auf an und zei­gen zynisch den durch­aus ungu­ten Aspekt von Frei­zeit in Mas­sen, ob im unge­pfleg­ten Park am Ran­de der Groß­stadt oder auf einem über­füll­ten Boot in Vene­dig. Eben­so kri­tisch reflek­tiert Mar­tin Lieb­scher in sei­ner per­for­ma­ti­ven Foto­gra­fie »Cam­ping« den Cam­ping-Urlaub. Dar­auf zu sehen sind zahl­rei­che Selbst­por­träts des Künst­lers in exzel­lent beob­ach­te­ten unter­schied­li­chen Posen, Ges­ten und Set­tings am Cam­ping­platz. Auch »Der Neue Berg« von Jim Dine nimmt Anfang der 90er Jah­re schon vor­weg, wel­che Spu­ren der Mas­sen­tou­ris­mus am Berg hinterlässt.

Im unte­ren Geschoß wid­met sich die Aus­stel­lung dem Spie­len als schöp­fe­ri­scher Erfah­rung, vom kind­li­chen Spiel bis zum Gesell­schafts­spiel. Sie zeigt Pup­pen- und Schat­ten­thea­ter und fin­det in den öffent­li­chen Spie­len der Anti­ke die Wur­zeln der heu­ti­gen Spiel- und Wett­kampf­kul­tur. Sie beleuch­tet, war­um so vie­le Künst­ler – von Ernst Lud­wig Kirch­ner über Mar­cel Duch­amp und Max Ernst bis hin zu Alfred Hrdli­cka oder Fran­çois Morel­let – dem stets mit einer Pri­se Genia­li­tät umweh­ten, Schach­spiel ähn­lich lei­den­schaft­lich zuge­tan waren wie dem Box­kampf, dem Andy War­hol und Jean-Michel Bas­qui­at frön­ten. Dazu zeigt das Kurator*innen-Team unter ande­rem ein berühm­tes Foto, das bei­de mit Box­hand­schu­hen zeigt. Wer Bas­qui­ats Werk kennt, weiß, dass er sich, wie vie­le afro-ame­ri­ka­ni­sche Jugend­li­che sei­ner Gene­ra­ti­on, mit Box­stars wie Muham­mad Ali iden­ti­fi­zier­te. Hier scheint die sport­li­che Atti­tü­de aber eher dem künst­le­ri­schen Schlag­ab­tausch zwi­schen dem wei­ßen Grün­der­va­ter der Pop Art und dem viel jün­ge­ren neo­ex­pres­si­ven Shoo­ting­star zu gelten.

Heu­te begeis­tern Frei­zeit­ak­ti­vi­tä­ten, ob in Form von Sport, von Spiel oder von Müßig­gang, die Mas­sen und bie­ten Bewe­gung, Erbau­ung und Inspi­ra­ti­on. Kein Wun­der also, dass sich auch die bil­den­de Kunst die­ses The­mas durch alle Zei­ten hin­durch, beson­ders aber in der Moder­ne und der Gegen­wart, bemäch­tigt hat. Im Sin­ne des Frei­raums fin­den in der Aus­stel­lung auch abs­trak­te Arbei­ten ihren Platz. Richard Dea­cons sich frei ent­fal­ten­de Form aus Bug­holz bei­spiels­wei­se: »Rut­schig bei Näs­se«. Es sind enor­me Kräf­te, die hier wal­ten, um eine solch flie­ßen­de Dyna­mik zu erzeu­gen. Die Skulp­tur ist ein star­kes Bild für den frei­en Fluss der Gedan­ken. For­mal passt sie groß­ar­tig zum Werk »Ska­ter­park« von Rai­ner Fet­ting und zur Arbeit »Show Me a Gar­den that‘s Burs­tin’ into Light« von Don­na Stolz: Eine Wali­se­rin, die in Karls­ru­he stu­dier­te und jetzt in Ber­lin lebt und arbei­tet. Mit der andro­gy­nen Rücken­fi­gur, die ins Offe­ne hin­ein­schwebt, iden­ti­fi­ziert man sich sofort, ähn­lich wie in den Figu­ren von Cas­par David Fried­rich. Man nimmt eine Per­son wahr, die sich gut fühlt, zeit­ge­nös­sisch und den­noch in einer sehr klas­si­schen Pose. Die Fris­bee-Schei­be in der Hand könn­te eben­so gut ein Dis­kus sein. Sie ist mit sich, ihrem Kör­per und ihrer Umge­bung im Ein­klang, frei!

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