In Tirol berühmt geworden
Oskar Mulley kam 1891 in Klagenfurt zur Welt. Er hatte ein angeborenes künstlerisches Talent, seit frühester Jugend galt sein Interesse zum Missfallen der Eltern weniger der Schule als vielmehr dem Zeichnen und Malen. Obwohl sein Vater für ihn die Berufslaufbahn eines materiell abgesicherten Angestellten vorsah, setzte Oskar seinen Willen durch und konnte bei den Eltern erreichen, dass er eine Ausbildung zum Kunstmaler antreten durfte.
Im Herbst 1909 begann der mittlerweile 18-jährige Mulley den Kunstunterricht an der Städtischen Gewerbeschule (Malschule) in München. Nach zwei Semestern verließ er diese Ausbildungsstätte, um sich an der Wiener Kunstakademie einzuschreiben. Die Aufnahmeprüfung dort hat Mulley mit dermaßen gutem Erfolg bestanden, dass er – was ungewöhnlich war – gleich in den zweiten Jahrgang eintreten konnte.
In Wien hatten der Jugendstil und der Symbolismus großen Einfluss auf den jungen und ehrgeizigen Kunststudenten, sie bestimmten dann auch sein Frühwerk bis etwa 1925. In Rudolf Jettmar, seinem Akademieprofessor, hat Mulley einen in Österreich führenden Vertreter des Symbolismus gefunden, der ihm nicht nur Vorbild war, sondern der ihm auch den Weg in eine Bildersprache bereitete, die für Mulley ganz neue Möglichkeiten der künstlerischen Verarbeitung seiner seelischen Zustände eröffnete. In seinen symbolistischen Bildern hat Mulley die ihn umtreibenden Verzweiflungen, Ängste, Ahnungen und Hoffnungen verarbeitet.

Die heitere Seite Mulleys zeigt sich in seinen während der Zeit in Wien entstandenen farbintensiven, meisterhaft in Perspektive, Bildausschnitt und Beleuchtung inszenierten Landschaftsbildern, die er später selbst mit der Bezeichnung »Donaulandschaften« zusammenfasste.
Nach erfolgreichem Abschluss der Kunstakademie war Mulley seit Frühjahr 1913 »akademischer Maler« und wurde noch im gleichen Jahr stellungspflichtig. Es war auch für ihn nicht zu erahnen, dass das Ende der Militärzeit in seiner Heimatstadt Klagenfurt nicht der Beginn eines unbeschwerten, freien Künstlerlebens, sondern im Herbst 1914 die Einberufung in einen Krieg sein sollte. Im Frühjahr 1916 kam Mulley an die Südwestfront (Südtirol), wo er in den obersten Stellungen das mächtige Hochgebirge und die kargen Behausungen der Bauern kennenlernte, wie er beides später so eindrucksvoll in seinen Kunstwerken zu schildern verstand. Zu Ende des Krieges wurde Mulley in das Stationskommando nach Kufstein/Tirol versetzt, wo er sich dann auf Dauer mit seiner 1917 in Bozen angetrauten Ehefrau Luise niederließ.
Als im Jänner 1919 der letzte Sold des Militärs ausgezahlt wurde, musste sich Mulley fortan seine Existenz als Künstler sichern – alles andere als eine leichte Aufgabe in einer Zeit, in der die Wirtschaft darnieder lag und sich nur die wenigsten Menschen Bilder leisten konnten. Die Festung und das Kaisergebirge hat Mulley trotz allem bald als »gangbare Verkaufsartikel« ausgemacht und so entstanden in der ersten Zeit vor allem Bilder, die der Postkartenmalerei näher kamen als jener anspruchsvollen Kunst, der sich Oskar Mulley verpflichten wollte. Neben diesen Bildern zum »Broterwerb« entstanden aber auch wahre Kunstwerke, in denen er eine Maltechnik zur Anwendung brachte, die er bereits während des Krieges für sich entwickelt hatte. Eine Mischtechnik aus unterlegten Mal- und Kohlestiften, gedeckt mit Temperafarben, die er mit dem Pinsel aufbrachte, ergab so hochwertig und ungewöhnlich anmutende Bilder, dass er damit bald größte Aufmerksamkeit in kunstverständigen Kreisen erregte. Nicht zuletzt auch mit den in dieser Zeit entstandenen »Mondscheinbildern« konnte sich Mulley bereits in den ersten Jahren in Kufstein als Künstler profilieren. Auch mit Ölgemälden trat Oskar Mulley in dieser Zeit bereits in Erscheinung und auch dafür wurde »das unverkennbar starke Talent« vom Publikum ebenso wie von der Presse in außergewöhnlicher Weise gefeiert: In Mulley steckt hinter dem Maler auch ein Dichter und Philosoph, der die rein malerische Wirkung bewußt steigert und dadurch einen nachhaltigen Eindruck erzielt, schrieben die »Innsbrucker Nachrichten« am 4. Oktober 1919.
Viel Aufsehen erregte Mulley Ende 1919 mit einem über 30 Blätter umfassenden Kohlezyklus, über den der Wiener Kunsthistoriker Ludwig von Bertalanffy am Ende eines längeren Artikels anmerkte: Mulleys Kunst – er ist Schüler unseres großen, viel zu wenig geschätzten Rudolf Jettmar – ist modern, ja gelegentlich in ihren Problemen höchst aktuell; trotzdem steht sie im Grunde außerhalb der modischen Kunstströmungen, ist also in besonderer Weise einzigartig.
1925/26 waren die Tiroler Künstler eingeladen, im Rahmen einer Wanderausstellung durch sieben große deutsche Städte einen Querschnitt ihres Schaffens zu zeigen – Mulley schuf zu dieser Gelegenheit sein erstes »gespachteltes « Ölgemälde, einen »Bergsee«. Dieses berühmt gewordene Motiv entstand mit der Zeit in mehreren Varianten und wurde – wie noch zu lesen sein wird – im Jahr 1927 in Wien mit einer goldenen Staatsmedaille ausgezeichnet. Über die damals in Tirol aktuelle, weit über das Land hinaus anerkannte und geschätzte Malerei wurde im Zusammenhang mit dieser ersten und für viele Jahrzehnte einzigen großen Gesamtschau vieles geschrieben. Betont wurde dabei immer, dass die Einzigartigkeit der Tiroler Kunst in Form und Ausdruck auf jener gewissen geographischen Abgeschiedenheit basiere, die sie immunisiere gegen die Versuchungen kurzlebiger künstlerischer Moden. Außerdem forme die Tiroler Bergwelt nicht nur den Charakter der dort lebenden Menschen, sondern sie sei (und ist) auch geeignet, für die Künstler eine dauernde und ergiebige Quelle der Inspiration zu sein.
Albin Egger-Lienz, der damals hellste Stern am Tiroler Kunsthimmel, hat die Wanderausstellung noch erlebt und stand dabei sowohl mit seinen Werken als auch in der Berichterstattung im Zentrum der Aufmerksamkeit. Als Egger-Lienz im Jahr 1926 – übrigens genau wie Mulley mit erst 58 Jahren – verstarb, wurden Oskar Mulley und Alfons Walde aus Kitzbühel, mit dem Mulley persönlich gut bekannt war, von der Kunstkritik zu den gebührenden »Nachfolgern« des Osttirolers, der seit 1913 nahe Bozen lebte, »ernannt«. Im Jahr nach dem Ende der Wanderausstellung hat die auf die Tiroler aufmerksam gewordene Wiener Secession vom 9. Juli bis 6. August 1927 eine große Bilderschau mit dem Titel »Tiroler Künstler – Repräsentative Ausstellung in der Secession« veranstaltet. Mulley war bei der Ausstellung mit drei Bildern (»Bergsee«, »Bergbauernhaus« und »Jagdstück«) vertreten und sie brachte ihm zwei außerordentlich große Erfolge: Zum einen wurde ihm für das Bild »Bergsee« eine Goldene Staatsmedaille für bildende Kunst verliehen und zum anderen wurde er auf Einladung des Präsidiums als ordentliches Mitglied in die Secession aufgenommen – eine seltene Ehre für einen Künstler, standen die Secessionsmitglieder doch mit der Güte ihres Schaffens auf einer Stufe mit so großen Namen wie Gustav Klimt, Oskar Kokoschka, Egon Schiele und auch Rudolf Jettmar, dem Akademieprofessor Mulleys.
Die Ausstellung der Tiroler Künstler in der Secession wurde vom 22. Oktober bis 22. November 1927 unter dem Titel »Tiroli reprezentatív képzömüvészeti kiállítás« (»Repräsentative Ausstellung Tiroler Kunst«) im Budapester »Nemzeti-Szalon« (Nationalsalon) gezeigt, wo sie ebenfalls mit großem Interesse aufgenommen wurde. Erneut wurde Oskar Mulley eine hohe Auszeichnung zuteil: »Einzelne Künstler fanden besondere Würdigung, und zwar wurde vom königl.-ungar. Unterrichtsminister den Malern Nepo und Mulley die goldene Medaille zuerkannt,« war im »Tiroler Anzeiger« am 16. Jänner 1928 zu lesen.
1928 jährte sich das Todesjahr von Albrecht Dürer zum 400. Mal – aus diesem Anlass beging die Stadt Nürnberg ein »Dürer-Jahr«, das von vielen kulturellen Veranstaltungen begleitet wurde. Höhepunkt war die große Ausstellung »Deutsche Kunst der Gegenwart« in der zu diesem Anlass eigens umgebauten Norishalle. Aus zahlreichen Regionen Deutschlands und Österreichs waren zeitgenössische Künstler mit ihren Werken vertreten. Von den Tirolern, die mit der Wanderausstellung 1925/26 ja bereits einen hervorragenden Ruf in Deutschland erlangten, hat der Ausstellungskurator die Maler Anton Colli, Max Esterle, Herbert Gurschner, Rudolf Lehnert, Oskar Mulley, Ernst Nepo, Arthur Nikodem, Wilhelm Prachensky, Alfons Schnegg, Erich Torggler und Alfons Walde ausgewählt. Ihnen kam die Auszeichnung zu, das Land Tirol bei dieser bis dahin bedeutendsten Kunstausstellung im deutschen Sprachraum zu vertreten.
Im »Dürer-Jahr« 1928 ist der umtriebige und weitum bekannte Nürnberger Kunsthändler Leo Corneli auf Oskar Mulley aufmerksam geworden. Die beiden kamen in Kontakt und es entwickelte sich nicht nur eine für beide Seiten lukrative Geschäftsverbindung, sondern auch eine lebenslange Freundschaft. Über Corneli fanden Bilder von Oskar Mulley in ganz Deutschland ihre anspruchsvollen und finanzstarken Käufer, Mulley-Bilder hatten mittlerweile ein beachtliches Preisniveau erreicht.
Als im Mai 1933 vom Deutschen Reich die so genannte »1.000-Mark-Sperre « gegen Österreich verhängt wurde, fügte das nicht nur dem Tourismus schwerste Schäden zu, sondern war auch für deutsche Geschäftsreisende eine enorme Hürde. Seit 1928 war der Kunsthändler Leo Corneli regelmäßig mit seinem Lieferwagen nach Kufstein gekommen, um bei Oskar Mulley Bilder zu kaufen. Diese Fahrten wurden nunmehr dermaßen teuer, dass sie fortan weitgehend unterblieben und Mulley damit mehr oder weniger von seinem wichtigen deutschen Markt abgeschnitten war. Schweren Herzens verließ die Familie Mulley (mittlerweile waren zwei Töchter zur Welt gekommen) Kufstein und übersiedelte 1934 nach Garmisch in Bayern. Dort konnte Mulley als mittlerweile renommierter und weitum bekannter Kunstmaler nahtlos an seine erfolgreichen Kufsteiner Jahre anschließen.
In seiner letzten Schaffensphase kam er ab etwa 1942 von der Spachtelmalerei ab und widmete sich in seinen Motiven fortan der stimmungsvollen Voralpenlandschaft, die er in feiner Pinselführung und meist kleineren Formaten meisterlich portraitierte. Außerdem entstanden in dieser Zeit einige wunderbare Stillleben – weitere Zeugnisse vom malerischen Können dieses außerordentlich begabten Künstlers, der 1949 nach längerem Leiden verstarb. Mulley gilt heute neben Alfons Walde und Albin Egger-Lienz als führender Vertreter der Klassischen Moderne in Tirol und wird von vielen Experten als der – auch international – beste Bergmaler des 20. Jahrhunderts gesehen.