Das Künstlerpaar Daniel Mettler und Pascale Wiedemann

Bei uns passt nichts“

Lie­bes­paar, Künst­ler­paar, Eltern: Pas­ca­le Wie­demann und Dani­el Mett­ler sind in vie­ler­lei Hin­sicht eine Ergän­zung mit aus­rei­chend Rei­bungs­flä­che. „Bei uns passt nichts“, kon­sta­tie­ren die bei­den unver­blümt und den­ken zugleich schon in der Lösung: „Wir machen es pas­send“. Eine essen­ti­el­le Rol­le für den soge­nann­ten gemein­sa­men Nen­ner spie­len seit mitt­ler­wei­le zwan­zig Jah­ren die Kunst und eine Paar­the­ra­pie. Wir tref­fen die bei­den in ihren krea­ti­ven und pri­va­ten Räum­lich­kei­ten in Zürich zu einer Unter­hal­tung über die­se sehr tie­fe Ver­bun­den­heit zwei­er grund­ver­schie­de­ner Per­sön­lich­kei­ten als Künst­ler­kol­lek­tiv und Paar.

Dani­el Mett­ler und Pas­ca­le Wie­demann im Sport­zen­trum Heu­ried, Zürich, 2020

Wir zei­gen uns, geben viel von uns preis, las­sen das Publi­kum hin­ein­bli­cken: Nehmt und schaut, erfahrt und lernt! Wir haben nichts zu verstecken. 

Seit 2002 arbei­ten Pas­ca­le Wie­demann (*1966) und Dani­el Mett­ler (*1965) als Künst­ler­paar an einem Werk, das in sei­ner Kom­ple­xi­tät und Viel­falt aus dem Rah­men fällt. In ihren Arbei­ten ver­ei­nen wiedemann/mettler auf poe­ti­sche Wei­se Sinn­lich­keit und Ratio­na­li­tät. Das Künst­ler­duo setzt in sei­nen Aus­stel­lun­gen die unter­schied­lichs­ten Medi­en und Mate­ria­li­en neu zusam­men. Die ein­zel­nen Arbei­ten wer­den auf sub­ti­le Wei­se zuein­an­der posi­tio­niert. Durch das Zusam­men­spiel der Wer­ke schaf­fen wiedemann/mettler im Gale­rie­raum ein Modell der Welt: eine Matrix aus Quer­ver­wei­sen und Bezie­hun­gen, die das Publi­kum in ihren Bann zieht.

Ohne Paar­the­ra­pie und ohne Kunst weiß ich nicht, ob wir noch zusam­men wären“, er-klärt Dani­el Mett­ler im Gespräch mit uns und meint: „Wir sind sehr bemüht, in der Kunst unse­ren Kon­sens zu fin­den und eine ange­mes­se­ne Streit­kul­tur zu leben.“ Pas­ca­le Wie­demann schließt sich dem an und ergänzt: „Wir sind ein Künst­ler­paar, ein Lie­bes­paar, wir sind Eltern, es gibt vie­le Ver­bin­dun­gen zwi­schen uns, die aber eben auch Druck erzeu­gen. Bei uns passt nichts – doch, die Lie­be, die passt schon, aber alles ande­re müs­sen wir pas­send machen. Auch mit sehr viel Kon­flikt.“ Und Mett­ler fährt fort: „Wir leben eine total gleich­be­rech­tig­te Bezie­hung, eine extrem eman­zi­pier­te, auf bei­den Sei­ten. Anders wür­de es nicht gehen mit uns. Das ist so gewachsen.“

düs­te­re Aus­sich­ten, gestopf­te Leg­gins, ver­chrom­tes Sys­tem, 100x100x200cm, 2008 / I won’t let the sun go down on me, Decotex, 330x570cm, 2016

Dani­el Mett­ler ist der offe­ne­re, für ihn ist nichts unmög­lich und das ist laut sei­ner Part­ne­rin Pas­ca­le Wie­demann „sei­ne her­aus­ra­gends­te Qua­li­tät. Du kannst dich auf etwas Neu­es ein­las-sen. Ich wür­de auch sagen, dass du dich mehr ver­än­dert hast als ich.“ Bei­de sind sich einig, dass die Kunst das Bin­de­glied ist. Wäh­rend in der Dis­kus­si­on rund um die Erzie­hung des gemein­sa­men Soh­nes vie­le offe­ne Fra­gen im Raum ste­hen blei­ben, eben auch dem Frie­den zulie­be, funk­tio­niert das in der Kunst nicht. Da müs­sen die bei­den zusam­men­fin­den und das macht die Bezie­hung leben­dig, erklärt Mett­ler: „Ich möch­te mit Pas­ca­le alt wer­den, weil es mit ihr span­nend ist. Es bleibt aktiv und inter­es­sant“ und Wie­demann fährt fort: „Wir haben die­ses Jahr 20jähriges Jubi­lä­um. Ich lie­be ihn mehr als vor 20 Jah­ren. Wenn ich zurück­bli­cke, was wir als Men­schen gemein­sam erreicht haben in die­ser Zeit, dann ist das beacht­lich und es ist grö­ßer und inten­si­ver als jede Ero­tik.“ In die­sen zwei Jahr­zehn­ten haben bei­de an sich und vor allem auch am „WIR“ gear­bei­tet. Das lässt sich in deren künst­le­ri­scher Arbeit groß­ar­tig nach­voll­zie­hen. Für bei­de hört die­ser imma­nen­te künst­le­ri­sche Pro­zess nie auf und fängt nie an, son­dern ist immer im Fluss. Wenn es Dis­kus­si­ons­stoff gibt – und den gibt es reich­lich, ver­si­chern bei­de – dann bro­delt das so vor sich hin, es wer­den E‑Mails hin und her geschrie­ben und jeder über­legt sich, wie er dem ande­ren die Idee bes­ser ver­kau­fen könn­te, es braucht Argumente.

Pas­ca­le Wie­demann war stets Ein­zel­kämp­fe­rin, schon als Jugend­li­che im Wett­kampf­sport als Schwim­me­rin und danach als Künst­le­rin. Mett­ler hin­ge­gen ist ein tota­ler Team­play­er. „Wir hat­ten am Anfang auch Macht­kämp­fe. Ich hat­te jah­re­lang das Gefühl, ich bin die Künst­le­rin. Es ist immer noch ein The­ma, wer Recht hat und wer bes­ser ist in der Argu­men­ta­ti­on. Bevor ich Dani­el kann­te, bin ich in sol­chen Situa­tio­nen ein­fach ver­stummt oder habe mich getrennt. Mit ihm woll­te ich das nicht. Ich woll­te nicht auf­ge­ben. Ich woll­te das schaf­fen“, erklärt Wiedemann.

Es war wohl für bei­de nicht der leich­tes­te Weg, aber einer, der auch nach zwan­zig Jah­ren noch span­nend ist. „Das war ein schwie­ri­ger Weg. Für Dani­el schwie­rig, in mei­ne Welt ein­zu­tre­ten und für mich, ihn zu akzep­tie­ren. Noch schwie­ri­ger war es in den ers­ten zehn Jah­ren mit dem Publi­kum. Die Men­schen haben unse­re gemein­sa­me Arbeit immer mit mei­ner Arbeit asso­zi­iert. Auch das hat sich mit der Zeit geändert.“

Das Kol­lek­tiv lässt die Betrachter*innen tief in ihr Leben bli­cken. Statt einem klas­si­schen Künst­ler­ge­spräch in einer Gale­rie, per­for­men die bei­den lie­ber gemein­sam mit ihrer ver­trau­ten The­ra­peu­tin eine Paar­the­ra­pie­stun­de. Das bedient ein wenig den Voy­eu­ris­mus und zwingt das Publi­kum dazu, selbst in den Spie­gel zu schau­en. „Wir zei­gen uns, geben viel von uns preis, las­sen das Publi­kum hin­ein­bli­cken: Nehmt und schaut, erfahrt und lernt! Wir haben nichts zu ver­ste­cken“, unter­streicht Pas­ca­le Wie­demann. Tat­säch­lich bre­chen die bei­den ein Tabu und stel­len das The­ma der Ver­bun­den­heit auf eine höhe­re Ebe­ne. Die­se Chan­ce bleibt vie­len Paa­ren ein Leben lang ver­wehrt. Man kann eben genau dann wach­sen, wenn es genug Rei­bungs­flä­che gibt und man den Mut hat, sich die­sen Kon­flik­ten auszusetzen.

In ihrem künst­le­ri­schen Pro­zess arbei­tet das Kol­lek­tiv wiedemann/mettler ger­ne mit The­men, die durch­aus auch ande­re Men­schen umtrei­ben. Für die Aus­stel­lung „Mer­cy“ in der Gale­rie Lucia­no Fascia­ti in Chur 2009 setz­ten sich wiedemann/mettler bei­spiels­wei­se mit Sys­tem­mö­beln aus­ein­an­der. Die bei­den inter­es­sie­ren sich gene­rell für Sys­te­me und für vor­ge­ge­be­ne Ras­ter als Her­aus­for­de­rung für die Krea­ti­vi­tät. So sind in rund zwei Jah­ren zahl­rei­che Objek­te, Instal­la­tio­nen und Foto­gra­fien aus und mit Sys­tem­mö­bel­ele­men­ten ent­stan­den. Im Rah­men der Aus­stel­lung „bet­ter safe than sor­ry“ im Haus für Kunst Uri hat das Künst­ler­duo 2014 das Kunst­haus in eine Arche ver­wan­delt. Insze­niert wur­de das The­ma Sicher­heit in sei­ner gan­zen Ambi­va­lenz. Für ihre Aus­stel­lung Lovers‘ Lane in der Zür­cher Gale­rie Lul­lin + Fer­ra­ri 2020 erar­bei­te­ten wiedemann/mettler eine Werkse­rie, die sich noch inten­si­ver auf den direk­ten Aus­tausch des Paa­res kon­zen­trier­te. Ent­stan­den ist ein Pfad der Lie­ben­den aus 33 Bil­der­paa­ren, jeweils eine Foto­gra­fie von Dani­el Mett­ler und eine Male­rei auf Samt oder Schnitt­ar­beit auf Lycra-Stoff von Pas­ca­le Wie­demann. Gehängt wur­den die Bild­paa­re ähn­lich einer Film­stre­cke, die das Publi­kum im Gehen erkun­den kann. Ent­wi­ckelt wur­den die Paa­re durch Akti­on und Reak­ti­on, wie ein Fra­ge-Ant­wort Spiel, bei dem die Ant­wort nicht immer klar sein muss oder wie ein Dis­kurs zwei­er Reso­nanz­kör-per mit teils offe­nem Ergebnis.

Die Wahl der The­men ist ganz stark geprägt von Inter­es­se und Lust. „Ein sehr trei­ben­des Ele­ment in unse­rem Schaf­fens­pro­zess ist die Lust. Wir müs­sen uns nach nie­man­dem rich­ten, son­dern wir dür­fen unse­rer Lust fol­gen“, sagt Pas­ca­le Wie­demann begeis­tert und Mett­ler ergänzt: „Natür­lich sind wir auch gebun­den an Ent­ste­hungs­kos­ten und Räum­lich­kei­ten. Völ­lig los­ge­löst von finan­zi­el­len Hin­ter­grün­den wür­den wir noch instal­la­ti­ver arbei­ten. Wenn es ganz unab­hän­gig wäre, wür­de ich bei Instal­la­tio­nen noch viel mehr Mög­lich­keits­räu­me sehen.“ Den Wer­ken und Instal­la­tio­nen des Künst­ler­paa­res wohnt eine Qua­li­tät inne, die gesell­schaft­li­che und poli­ti­sche Fra­gen ein­schließt. In ihren Aus­stel­lungs­kon­zep­ten ent­fal­ten sie ihren per­sön­li­chen Blick auf das Zusam­men­spiel von Bil­dern in einer glo­ba­li­sier­ten Gemein­schaft – und legen dabei tie­fe Hohl­räu­me und Bli­cke auf die Wahr­neh­mung frei, die uns alle ein­la­den, unse­re Auf­merk­sam­keit zu schär­fen und Wer­te zu hin­ter­fra­gen. Im Okto­ber 21 bespiel­ten wiedemann/mettler das Waren­haus Jemo­li in Zürich wie ein Muse­um und die bei­den fan­den die­se Her­aus­for­de­rung sehr span­nend: „Das Gefäß muss anschei­nend auch im Han­del erwei­tert wer­den und man ist auf uns gesto­ßen. Bau­haus hat ja schon so gedacht, die Wie­ner Werk­stät­ten oder auch das Arts and Crafts Move­ment. Wir machen kei­nen Unter­schied zwi­schen Ange­wand­ter und Bil­den­der Kunst. Ob wir ein Kis­sen kre­ieren, ein Klei­dungs­stück, ein Foto oder ein Bild – da machen wir kei­nen Unter­schied. Wir lieb­äu­geln ger­ne mit sol­chen The­men, wie eben dem Waren­haus.“ Es wird also alles ande­re als still im Denk‑, Werk‑, Kon­flikt- und Mög­lich­keits­raum des Künstlerkollektivs.

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