Klaus Stein
Was zuerst auffällt, wenn man Klaus Stein trifft, ist seine extreme Feinfühligkeit. Er ist ein Mensch, der im Gegensatz zu den Themen, die er in seinen Bildern anspricht, grosse Zurückhaltung übt.
Seine Malerei ruft bei den Betrachtern Reaktionen über den desolaten Zustand unserer Gesellschaft hervor, ohne sich bei ihnen anzubiedern. Zunächst verwirrt von ihrer offenkundigen Aussage, die kaputte Welt darzustellen, merkt der Betrachter sehr schnell, dass die Bilder tatsächlich anfangen zu leben − und das ist etwas ganz anderes, als sie einfach irgendwo aufzuhängen. Auf einmal sind sie brandaktuell und offenbaren schonungslos das Spiegelbild unserer Hilflosigkeit und unserer Verzweiflung. Sie zeigen künstlerisch einzigartig interpretiert das Dilemma, in dem wir uns befinden. Auf der einen Seite steht die Sehnsucht nach einer Welt, in der uns Kitsch dominiert, um die Realität zu verschleiern, auf der anderen Seite steht der kindische Versuch, uns bewusst in die Irre zu führen. Klaus Stein fügt die Zwischentöne kontrapunktisch ein, die Peinlichkeit und letztendlich Verzweiflung erzeugen, und das in einer technischen Perfektion, die diese Situation noch unerträglicher macht. Das Spießertum hinterlässt nur verbrannte Erde; für ihn ist die Gesellschaft viel zu sehr angepasst und aufgeräumt. Durch die Darstellung des plumpen Materialismus zeigt er, wer wir in Wirklichkeit sind − käufliche Wesen, die versuchen, sich unter der Decke des Konsums zu tarnen.
Klaus Stein will nicht gefallen und nicht angepasst sein, er will uns wachrütteln − erst durch eine gewisse Ratlosigkeit, dann irgendwie in einer Art Wut.
Er hat eine kinematografische Sprache, die sich auf starke, aber kurze Impressionen stützt und den Betrachter aus dem Winterschlaf reißt. Adornos Aussage „Kunst ist Magie, befreit von der Lüge, Wahrheit zu sein“ prägte sein gesamtes künstlerisches Leben. Ist Klaus Stein ein Politmaler? Seit dem Mittelalter haben Maler immer wieder große Schlachten gemalt. Ihre Werke sollten den Krieg verherrlichen und den Monarchen in seinem Glanz verewigen. Sie waren politische Dienstleister eines Regimes. Eine Haltung, die Klaus Stein mit Recht gesellschaftlich verwirft, auch wenn daraus Meisterwerke der Malerei entstanden sind. Das hat auch Bonaparte mit Jacques-Louis David als Hofmaler so gewollt. Es war keine kritische Darstellung der Ereignisse, es war reine Propaganda. Ganz anders Goya, der 1808 Hinrichtungen von Aufständischen malte und von 1810 bis 1814 den Zyklus „Desastres de la Guerra“ vollendete, um die Grausamkeiten der napoleonischen Besetzung scharf zu verurteilen. Es war die Darstellung des Widerstandes. Otto Dix zeichnete zwischen den zwei Weltkriegen Kriegsszenen, die er im Ersten Weltkrieg als Freiwilliger erlebt hatte. Es waren grausame Szenen, die als Botschaft hatten: „Nie mehr Krieg“. Auch hier war es eine deskriptive Art, um die Politik an den Pranger zu stellen. Aber das ist nicht der Weg, den Klaus Stein verfolgt, sondern vielmehr einer der verschiedenen Expressionisten, denen auch Otto Dix angehörte, der in den 20er Jahren als Künstler die Dekadenz in Berlin eindrucksvoll schilderte. Sie hatten sehr genau erfasst, wohin die Republik steuern würde, und wurden deshalb nach der Machtübernahme verfolgt. Eines der eindrucksvollsten Beispiele engagierter Malerei gegen Willkür und schiere Gewalt ist „Guernica“ von Pablo Picasso (1937), ein Schrei gegen die Diktatur Francos.
Diese Beispiele gehen von historischen Tatsachen aus, aber viel schwieriger ist der Versuch, prospektiv zu arbeiten. Klaus Stein bietet eine höchst dramatische Darstellung aktueller Problematiken, und er muss sich immer wieder die Frage stellen, wie er die Menschen erreichen kann. Als Politmaler ist er darauf angewiesen. Seine Bilder müssen Aktionen und Reaktionen verursachen und haben die Aufgabe, unmittelbar zu reizen. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang der chinesische Konzeptkünstler, Bildhauer und Kurator Ai Weiwei mit seiner genialen Waldinstallation, die den richtigen Weg für die Rettung unserer Umwelt dargestellt hat, indem er tote Bäume großflächig in einem Raum aufstellte. Eine eindeutige Aussage, die alles Nötige sagt, und das ohne Worte.
Klaus Stein wäre sicherlich ebenfalls ein hervorragender Karikaturist. Mit den Mitteln der Ironie und der Selbstkritik stellt er die Menschen vor einen Spiegel – in der Hoffnung, dass sie sich entdecken und reagieren.
Es gilt das gesprochene Wort.
Zitat Klaus Stein
Autoren

PETRA M. JANSEN
Petra M. Jansen ist Texterin, Marketing-Fachfrau, freie Journalistin, Konzeptionistin und Autorin. Sie wurde am 2.12.1962 in Frankfurt am Main geboren. Studium an der AMK, Frankfurt / Main (FH) mit Schwerpunkt Kommunikationswissenschaften, PR, Betriebswirtschaftslehre.

PIERRE MATHIAS
(am 15. März 1946 in Winterthur in der Schweiz geboren) ist Journalist, Filmemacher und Theatermann. 1963 erhält er als Regieassistent im „Grand-Théâtre“ von Genf sein erstes Engagement. Er war Bühnenbildner und Regisseur an der Oper von Marseille.