SOPHIE TAEUBER-ARP
Rechtecke, Kreissegmente, abgeschrägte Flächen und Bogenformen sind wie collagiert zusammengesetzt. Violett, Rotbraun und Orange treffen auf Blau, Gelb und Grün. Alles fügt sich zu einem geometrischen Gerüst. Eine stilisierte Figur inmitten dieses abstrakten Farb-Form-Gefüges setzt sich in leuchtendem Pink ab. Am oberen Rand der klirrenden Farbkomposition erscheinen die schwarzen Buchstaben „sht“. Mit ihren Initialen, die für „Sophie Henriette Taeuber“ stehen, verewigte sich die junge Künstlerin 1920 auf dem fragilen Bildträger – einem kleinen Täschchen aus Glasperlen.

WER IST SOPHIE TAEUBER-ARP?
Das Zusammenspiel von intensiven Farben und geometrischen Grundformen ist das zentrale Thema der Schweizer Künstlerin Sophie Taeuber-Arp (1889–1943). Mit ihren frühen abstrakt-geometrischen Farbstiftzeichnungen, die später als „Compositions verticales-horizontales“ bekannt wurden, sicherte sie sich neben Künstlern wie Piet Mondrian (1872–1944) und Kasimir Malewitsch (1878–1935) einen Platz in der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts: Sie zählt zu den Pionieren der abstrakten Kunst.
Sophie Taeuber-Arp zeichnet sich nicht nur durch ihre klare Formensprache aus. Sie war experimentierfreudig und extrem vielseitig: Mit enormer Agilität und Leichtigkeit bewegte sie sich zwischen verschiedenen Genres, Disziplinen und zahlreichen kreativen Aufgaben. So überwand die Künstlerin konventionelle Gattungsgrenzen und gestaltete äußerst innovative Werke. Sie schuf Arbeiten auf Papier, Gemälde, Skulpturen und Reliefs, entwarf Textilien, Einrichtungsgegen-stände oder ganze Innenräume. Sie befasste sich mit Tanz und Performance, entwickelte Bühnenbilder und Marionetten, war Herausgeberin und Redakteurin der internationalen Kunstzeitschrift „Plastique-Plastic“. Das abstrakt-geometrische Formvokabular blieb dabei eine durchgängige Konstante: Vom klassischen Ölgemälde über das rätselhafte Dada-Objekt bis hin zur gestickten Tischdecke. Höchster künstlerischer Anspruch und handwerkliche Präzision waren weitere wichtige Begleiter, denn die in Davos geborene Avantgardistin erhielt eine vielseitige praktische Ausbildung an renommierten und reformorientierten Kunstgewerbeschulen in St. Gallen, München und Hamburg. Das Kunsthandwerk nimmt überhaupt eine zentrale Stellung in ihrem Schaffen ein. Über ein grundlegendes Prinzip der Textilkunst, der Kreuzung von Kett- und Schussfäden in der Weberei, gelangte Sophie Taeuber-Arp zum geometrischen Strukturierungsprinzip ihrer Arbeiten.

Ihre künstlerische Karriere verbrachte Taeuber-Arp an Orten, an denen sich die Protagonisten der wichtigsten künstlerischen Bewegungen des frühen 20. Jahrhunderts zusammenfanden. Bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs ließ sie sich wie viele Künstler und Intellektuelle in Zürich nieder. Hier begegnete sie auch ihrem späteren Ehemann, dem Künstler und Dichter Hans Arp (1886–1966) und wurde Teil der Dada-Bewegung. Ab 1916 leitete die junge Künstlerin die Textilklasse der Zürcher Kunstgewerbeschule und prägte mit ihren ästhetischen Idealen nachfolgende Kunsthandwerkerinnen und Kunsthandwerker. Internationale Anerkennung erhielt Sophie Taeuber-Arp mit ihren ausgefallenen Marionetten, die sie 1918 für die dadaistische Parodie von Carlo Gozzis (1720–1806) Stück „König Hirsch“ entwarf. Zusammen mit Hans Arp und dem niederländischen De Stijl-Künstler Theo van Doesburg (1883–1931) ent-wickelte sie Ende der 1920er-Jahre ein konstruktivistisches Raumkonzept für den Straßburger Vergnügungskomplex „Aubette“. 1929 zogen die Arps in die Nähe von Paris. In der Kunstmetropole war das Paar gut vernetzt, schloss sich den avantgardistischen Künstlergruppen „Cercle et Carré“ und „Abstraction-Création“ an und stand im stetigen künstlerischen Aus-tausch mit den Zeitgenossen. Im Zweiten Welt-krieg floh das Künstlerpaar vor den deutschen Besatzungstruppen nach Südfrankreich. Hier fertigte Sophie Taeuber-Arp fast ausschließlich Arbeiten auf Papier und konzentrierte sich auf filigrane, dynamisch-geschwungene Linienbilder in Bleistift oder Farbstift (Abb. 4). 1943 endete ihr künstlerisches Schaffen abrupt. Sophie Taeuber-Arp starb mit nur 53 Jahren an einer Kohlenmonoxidvergiftung.
KÜNSTLERISCHER NACHLASS WIRFT FRAGEN AUF
Nach dem Tod seiner Frau sorgte Hans Arp dafür, dass sie im Bewusstsein der Öffentlich-keit präsent blieb. Er organsierte Ausstellungen, stiftete ihre Werke an öffentliche Institutionen und initiierte ein erstes Werkverzeichnis. Einen berühmten Künstler als Ehemann und Kollegen zu haben, mag dazu beigetragen haben, dass Sophie Taeuber-Arps Werk nicht ganz unbekannt blieb – aber auch überschattet wurde. Hans Arps Bemühungen sind heute durchaus kritisch zu sehen, denn die Rezeption des Œuvres und der Person Sophie Taeuber-Arps waren lange Zeit stark durch ihn beeinflusst. Der Name der Künstlerin ist immer noch eng mit dem ihres berühmten Ehemanns verbunden. Heute weiß man, dass das Werkverzeichnis von 1948, welches nur rund 500 Werke erfasst, einen erheblichen Teil ihres kunsthandwerklichen Schaffens ausblendet. Auch schreckte Hans Arp offenbar nicht da-vor zurück, Werke seiner verstorbenen Frau nachträglich zu bearbeiten, gar „neue“ Werke unter ihrem Namen zu schaffen und aus-zustellen. Sophie Taeuber-Arps künstlerischer Nachlass – insbesondere Hans Arps Umgang mit ihm – wirft Fragen auf, denen nun in einem Forschungsprojekt nachgegangen wird.
SOPHIE TAEUBER-ARP RESEARCH PROJECT
Nahezu eintausend Arbeiten von Sophie Taeuber-Arp mit ausführlichen Werkinformationen sind bisher in einem Online-Werkkatalog erfasst und seit Kurzem auf der Website www.sophietaeuberarp.org öffentlich zugänglich. Der chronologische Überblick des digitalen Verzeichnisses spiegelt die Entwicklung des facettenreichen Œuvres der Avantgardekünstlerin wider: von den Anfängen im Zürcher Kunstgewerbe bis hin zu den letzten Tuschezeich-nungen, den „Constructions géométriques“, die kurz vor ihrem tragischen Unfalltod entstanden. Eine Suchfunktion ermöglicht die gezielte Recherche nach Titeln, Entstehungsdaten oder Standorten. Neben den berühmten Marionetten oder Schlüsselwerken wie „Tête dada“ (Abb. 2), können Gemeinschaftsarbeiten mit anderen Künstlern und bisher kaum beachtete Werke entdeckt werden. So geben etwa zahlreiche Entwurfszeichnungen Ein-blick in den Arbeitsprozess der Künstlerin und veranschaulichen, wie sie ihre abstrakten Kompositionen entwickelte und perfektionierte. Die Werksammlung verdeutlicht nicht nur die Themenvielfalt und Komplexität des Œuvres, sondern offenbart Zusammenhänge und bietet genügend „Stoff“ für neue Forschungsfragen.
Der noch im Aufbau befindliche Online-Werkkatalog steht im Mittelpunkt des Sophie Taeuber-Arp Research Project, kurz STARP. Dabei handelt sich um ein fortlaufendes Kooperationsprojekt zweier Forschungseinrichtungen, die sich gemeinsam für die wissenschaftliche Dokumentation des bedeutenden Œuvres der Künstlerin einsetzen: Der Verein Stiftung Arp e. V., mit Sitz in Remagen und Berlin, betreut einen großen Teil des künstlerischen Nachlasses von Hans Arp und Sophie Taeuber-Arp. Zu seinen zentralen Aufgaben gehören die Dokumentation, Erforschung und Vermittlung der Werke beider Künstler. Das Gerhard-Marcks-Haus, das Bremer Museum für moderne und zeitgenössische Bildhauerei, betreut den Nachlass von Gerhard Marcks (1889–1981), zeigt wechselnde Ausstellungen und forscht zur Geschichte der modernen und zeitgenössischen Bildhauerkunst. Das Sophie Taeuber-Arp Research Project entwickelte sich aus einem vorangegangenen Gemeinschaftsprojekt zum bildhauerischen Gesamtwerk von Hans Arp und profitiert von den Synergien, die sich aus der Zusammenarbeit beider Institutionen ergeben: Während die Stiftung Arp e. V. mit einem über Jahrzehnte angelegten sowie gepflegten Archiv und der eigenen Sammlung von rund 400 Werken Taeuber-Arps die Basis und die Expertise liefert, bringt das Gerhard-Marcks-Haus als forschendes Museum kunsthistorische Fragestellungen und das nötige Know-how in Sachen Katalogisierung mit.
Neben der wissenschaftlichen Dokumentation des Gesamtwerks von Sophie Taeuber-Arp geht es bei diesem Projekt in erster Linie um die Bereitstellung von Forschungsgrundlagen. Dabei wird auf eine kleine, agile – dem Œuvre der Künstlerin angepasste – Datenbank gesetzt. Verknüpfungen zwischen den einzelnen Kunstwerken mit Literaturhinweisen, Ausstellungen oder Bezügen zu anderen Werken ermöglichen eine intensive Auseinandersetzung mit dem Werk von Sophie Taeuber-Arp. Die Rechercheplattform entwickelt sich zu einem zentralen Ort der Taeuber-Arp-Forschung und bietet der Fachwelt wie auch Interessierten Gelegenheit zum wissenschaftlichen Austausch. So können in Zukunft weitere Forschungslücken geschlossen werden. Erst kürzlich fanden neueste Erkenntnisse aus kunsttechnologischen Analysen direkt Eingang in den digitalen Werkkatalog: Im Rahmen der Vorbereitung für die vom MoMA New York, der Tate Modern London und dem Kunstmuseum Basel organisierte Retrospektive „Sophie Taeuber-Arp: Living Abstraction“ (Kunstmuseum Basel), an der sich auch die Stiftung Arp e. V. mit rund 100 Leihgaben beteiligt, wurden zahlreiche Arbeiten der Künstlerin genauer unter die Lupe genommen. Schritt für Schritt nähert man sich dieser Künstlerin und ihrem vielseitigen Werk.