Interview mit Gregor Eichinger
Bei der Vorbereitung auf das Gespräch mit Gregor Eichinger stoßen wir auf folgende biografische Beschreibung: Als Led Zeppelins erste LP veröffentlicht wurde, war er zwölf Jahre alt. Gregor war dreizehn, als Neil Armstrong und Buzz Aldrin auf dem Mond landeten. Als Gregor den Science-Fiction-Film Blade Runner zum ersten Mal sah, war er 26 Jahre alt. Spätestens jetzt ist klar: Kein Designer und Architekt passt besser in diese Ausgabe als er. Jene drei Sätze beschreiben eine Persönlichkeit, die neugierig ist und neugierige Menschen interessieren uns. Also treffen wir Gregor Eichinger in seinem Studio in Wien, dort, wo einst ein Kaffeehaus war, um mit ihm über die Faszination der Mondlandung, das Geheimnis der Oberfläche, die Vergangenheit der Zukunft in Form von Zeitreisen und den Zusammenhang zwischen Türschnallen und dem bewussten Leben zu plaudern.
Sie sind der Gründer und Kopf von eichinger offices. Worin sind Sie die Experten? Welchen Projektfokus verfolgen Sie?
Wir sind die Experten für maßgeschneiderte Lösungen. Wir gehen sehr intensiv auf die Bedürfnisse unserer Auftraggeber*innen ein, also keine großen Architekturaufgaben, sondern jene, die sehr nah am Menschen sind. Ich beschäftige mich schon seit Jahren mit dem Baustoff Emotion in der Architektur, den ich genauso wichtig empfinde wie Glas, Holz, Ziegel, Beton, weil wir als Menschen sehr stark damit umgehen und auch Räume damit besetzt werden. Einerseits durch ihre Qualitäten andererseits durch das, was wir darin erleben. Die Zeugen der Vergangenheit belegen, dass Emotion ein gültiges Material ist, das nicht verwittert. Es ist stabil über die Jahrtausende. Wir gestalten Lokale, Geschäfte, Bars, Restaurants, Galerien, die sichtbar sind. Wir haben auch viele private Auftraggeber*innen, die nicht wollen, dass wir deren Projekte veröffentlichen. Es interessiert uns eigentlich immer die Auseinandersetzung mit der Aufgabe und das ganze dreidimensional kondensieren zu lassen.
Die Mondlandung hat Sie fasziniert. Was genau daran?
Der Blick von außen, dass man sich wirklich mal distanziert, um etwas von außen zu betrachten. Dabei habe ich es immer als ersten kleinen Schritt gesehen, weil der Mond ist ja noch sehr nahe. Und ich denke, wenn man einmal unterwegs im Weltall ist, muss es auch sehr schön sein wieder zurückzukehren.
Ihre Leidenschaft für Filme und Cinema kommt woher?
In Filmen geht es um tiefe emotionale Momente. Ich kann dadurch viele Dinge in meinem Arbeitsprozess festmachen. Beispielsweise habe ich sehr viele Zitate aus Filmen, worüber man die Intensität des möglichen Erlebens simulieren oder auch kommunizieren kann.

Selbst wenn wir den Planeten verlassen, sind wir noch immer in der Nachbarschaft. Man entkommt ihm nicht, auch wenn man ans Ende des Universums reist.
Sie haben auch ein Hotelzimmer im Altstadt Vienna mit diesem Thema umgesetzt…
Ja, ich wäre hier noch weiter gegangen, aber das Ding muss sich ja rechnen. Hier ist man durch die Vorgaben bzw. die bereits vorhandene Struktur gebunden. Ich möchte ein Hotel anders auflösen als Korridor, Zimmer, Fluchten. Würde hier ganz andere Wege finden, eben auch im Zusammenhang mit der emotionalen Kraft der Filme. Wenn man jetzt ein Thema wie Wien hat, dann gibt es ganz tolle Filme, die würden es dann Wert sein, dass sie einen eigenen Auftritt im gesamten Hotel haben.
Sie verlassen gerne das Gebiet der Architektur und setzen sich mit Wissenschaft, Biochemie und Musik auseinander. Auch mit bildender Kunst?
Ja natürlich. Ich habe sehr viele Freunde, die bildende Künstler sind. Das, was ich so mag an den Künstler*innen, ist, dass sie Fragen stellen in ihrer Arbeit. Das ist die Basis, die eigentlich auch mir den Treibstoff gibt zu arbeiten. Die Energiequelle. Das freie Arbeiten, das nicht unbedingt ein utilistisches Ziel verfolgt. Es gibt ein freies Wachsen in der Auseinandersetzung mit einer Situation. Das fasziniert mich.
Gibt es Projekte, an denen Sie mit bildenden Künstlern gemeinsam gearbeitet haben?
Wir haben immer wieder Kunst integriert, also direkt in die Bausubstanz hineingearbeitet. Beispielsweise beim Haus am Birkensee mit Peter Kogler, Brigitte Kowanz, Eva Schlegel, Franz Graf.
Ausstellungsräume und Galerien (z.B. Westlicht, Ostlicht) gehören auch zu Ihren Projekten. Was gilt es bei der Planung und Konzeption solcher Räume besonders zu beachten?
Es gab eine Zeit, da war der Raum, in dem Kunst gezeigt wurde ein wichtiger Teil der Präsentation. Aktuell wird Kunst in white cubes präsentiert, Räume, die sich von selbst auflösen. Wenn wechselnde Ausstellungen stattfinden sollen, muss sich der Raum zurücknehmen können.
Wir behaupten, dass Sie mit Ihren Ideen stets der Zeit voraus sind. Schon Anfang der 90er haben Sie sich bei der Gestaltung Ihrer Büroräumlichkeiten vom hierarchischen Denken verabschiedet. Wie fühlt sich das an, ein „Zeitreisender“ zu sein?
Man ist dadurch alleine. Man kämpft nämlich in dieser Position darum, dass man verstanden wird. Es ist aufregend und großartig, diese neuen Welten zu erobern. Wir sind ja quasi hier in einem geschlossenen System. Auch wenn wir den Planeten verlassen, sind wir noch immer in der Nachbarschaft. Man entkommt ihm nicht, selbst wenn man ans Ende des Universums reist. In diesem System ist das Faszinierende, dass man durch das emotionale Lesen der Vergangenheit sehr viele interessante Anregungen entdeckt. Selbst in der Steinzeit war die Menschheit hochintelligent und die Ergebnisse waren faszinierend. Wenn man das aufnehmen kann, kann man das re-interpretieren. Man sieht die Zukunft, indem man in die Vergangenheit blickt. In die Vergangenheit zu reisen, kann auch wahnsinnig viel für die Zukunft bedeuten. Da habe ich dann ein großes Glücksgefühl, wenn ich etwas Neues entdecke, oder eine Melancholie, wenn ich plötzlich erkenne, dass man ja damals alles schon gehabt hätte.
Die Architektur spiegelt wunderbar den Zeitgeist und die Werte einer Zeit wider. Wie empfinden Sie aktuell diesen Zeitgeist?
Ich würde sagen, er ist dominiert durch die Möglichkeiten der digitalen Technologie. Egal wo man hinschaut, es passiert alles zeitgleich. Wenn wir uns die gastronomischen Lokale anschauen, so ist schon vor Jahrzehnten alles aus San Francisco über Berlin zu uns gekommen. Man kann diese Trends richtig verfolgen. Wie Wandervögel, die irgendwann kommen und landen. Jetzt geht das alles umso schneller. Die Restaurants sind sich auf der ganzen Welt sehr ähnlich und zwar gleichzeitig. Die gute Architektur unterstreicht die Möglichkeiten des Ortes. Mir wird zu oft der Erfolg kopiert anstatt sich selbst Gedanken zu machen, was gut ist.
Sie haben sich in einem Buch mit dem Geheimnis der Oberfläche beschäftigt (Touch me!). Dürfen Sie uns das Geheimnis verraten?
In der Oberfläche steckt die gesamte Botschaft. Man braucht nicht in die Tiefe zu gehen. Das Gefühl womit wir hantieren ist der erste Eindruck. Das gilt für Menschen, aber auch für die Oberfläche der Architektur. Ich als Mensch muss mich verstanden fühlen, falls nicht, merken wir das sofort. Nicht die Oberfläche repräsentiert das, die Oberfläche spricht zu uns. Zum Beispiel hat früher die Decke wichtige Botschaften transportiert, heute ist sie nur eine ungeliebte Instatllationswüste. Die Oberfläche des Raumes kommuniziert den Spirit und in der zeitgenössischen Architektur spricht sie vom Sparen.
Ein Thema, das Sie ebenfalls sehr beschäftigt ist das Wiener Kaffeehaus. Wie sieht das ideale Kaffeehaus 2020 in Ihrer Vorstellung aus bzw. existiert es schon?
Ich würde gerne in die Vergangenheit schweifen. Das Kaffeehaus war ein Ort um Menschen sichtbar zu machen und um zu arbeiten. Ich denke irgendwann ist es wieder unser Arbeitsplatz. Es hat viele Qualitäten: es gibt Gertränke-Service und der Ober räumt mir meinen Schreibtisch auf. Jetzt lösen wir uns von den Adressen. Die Städte sind nicht mehr durch Postadresse und Wasserleitung oder Telefonleitung zusammengebaut. Ihre Stadt ist Ihr Netzwerk. Man ist anders verortet. Eine Qualität unserer Zeit ist, dass wir das ganze Büro dabei haben können, egal wo wir sind. Dass wir physisch adressierbar sind und das persönliche Gespräch wieder Qualität bekommt, diese Lücke kann das Kaffeehaus schließen. Die Stadt Wien verabsäumt es, dass die Qualität des Kaffeehauses aufrechterhalten bleibt. Die Kaffeehäuser haben nämlich auch immer den neuesten Trend gesetzt, das sollten sie auch heute tun.
Reisen Sie gerne? Wenn ja – welches ist Ihr präferiertes Ziel und worauf legen Sie Wert, wenn Sie reisen?
Ich reise gerne in Städte, in denen man sich aufhält und vergisst, Tourist zu sein. Ich bin gerne im Norden Europas. Es ist mir wichtig, dass die Orte, die ich mir anschaue, authentisch sind.
Kreativwirtschaft und Design sind aktuell ja sehr populäre Begriffe. Wie nehmen Sie diese Entwicklung wahr? Liegt die Zukunft Europas in der Kreativität?
Ich finde das ist eine der wichtigsten Fähigkeiten, die wir haben. Kreativität, die überrascht, wird nämlich durch keine Maschine oder künstliche Intelligenz zu ersetzen sein. Das ist das, was uns ausmacht, emotionale Kreativität, und wir müssen Fehler machen, damit wir uns weiterentwickeln. Wir können nur mit wirklichem Bewusstsein weitermachen.
In einem Interview meinten Sie einmal: „Das Öffnen von Türen ist ein bewusster Akt. Wenn wir zurückschauen, in älteren Gebäuden, sind die Griffe auch höher gesetzt, damit man die Türen ganz bewusst öffnet.“ Gibt es irgendwo eine besondere Tür, die Sie gerne öffnen würden – auch im übertragenen Sinne?
Das physische Erlebnis, Türen zu öffnen, überlassen wir viel zu oft Motoren, und das ist schade, weil wir dann nicht mehr in Kontakt treten mit dem Objekt. So gesehen geht es darum, mit den Türschnallen auch das Leben in die Hand zu nehmen und dass sich dadurch Türen öffnen oder schließen. Wenn man sich selbst und seine eigenen Grenzen kennenlernt, dann würde ich sehr gerne auch da manchmal Türen öffnen können. Das ist der sehr persönliche übertragene Sinn.