Absolut Filmreif: Mit „Carte blanche“ durch das Leben
Er ist der Schöpfer des amerikanischen Mythos, des berühmten Motivs des Marlboro Man und bietet damit die Steilvorlage für Richard Prince diskussionswürdigstes Werk Untitled (Cowboy), das sich mittlerweile in der Sammlung des MET befindet. Dort wird es folgendermaßen beschrieben: »Das Bild von Prince ist eine Kopie (die Fotografie) einer Kopie (die Werbung) eines Mythos (der Cowboy).«
Hannes Schmid hingegen ist das Original eines authentischen Fotografen, eines realitätsnahen kreativen Menschen, der ausgehend von der Kunst als zentralen Punkt Brücken in unterschiedlichste Disziplinen schlägt. Egal, wo auf dieser Welt, für wen oder was er tätig ist, für welche Mission er sich auf den Weg macht, er hat kein definiertes Ziel vor Augen, sondern lässt sich leiten von seinem Gespür für das Besondere, das Abartige, das Andere und von dem kompromisslosen Vertrauen in seine Inspiration. Schmid schart, egal welche Herausforderungen es zu lösen gilt, Menschen um sich, die ihm Antworten auf seine Fragen geben. Er ist Netzwerker, neugieriger Freigeist und entwickelt in kritischen Situationen einen kraftvollen innovativen Zugang zu Lösungsansätzen, die selbst den großen Institutionen dieser Welt ihr Versagen aufzeigen. »Ich weiß, dass ich nichts weiß«, sagt der Ehrendoktor unverblümt, »und weil das so ist, frage ich die Leute, die etwas wissen.«

Bekannt wurde Hannes Schmid durch seine außergewöhnlichen Foto-Essays. Der 1946 geborene Schweizer wurde als Elektriker ausgebildet, fand aber seine wahre Berufung in der Fotografie, als er auf einer Arbeitsreise in Südafrika war. Er fotografierte stets des Fotografierens wegen. Diesen Moment des Abdrückens, darum ging es ihm. Danach lebte er eine Zeit lang mit Orang-Utans und wurde von Kannibalen gefangen gehalten. Als ihn ein Kollege auf ein Konzert von Satus Quo mitnahm, beeindruckte er die Band mit seiner Kannibalen-Episode und er shootete die Rockstars ganz privat in der Hotelsuite. Das war der Beginn von 8 Jahren Rockstars, hunderte Rockbands. Schmid hat das größte Archiv von zehntausenden Bildern. Als Angus Young ihn mitten in einem Konzert in der Westfalenhalle mit einem charmanten »Where are you fucking Hannes. I pay this motherfuckers and now you have to make pictures« auf die Bühne holte, schaffte er den Durchbruch. Jahrelang war Schmid für zahlreiche Rockstars der einzige Fotograf, der auf die Bühne durfte. »Ich war nie ein Reporter, ich ging in den Rock‘n‘Roll, aber die Musik hat mich nicht interessiert, auch bei den späteren Fashion Fotos hat mich die Mode überhaupt nicht interessiert. Ich war anders als alle anderen. Ich war der falsche Mann am falschen Ort und trotzdem war ich da.«
Was die Werbefotografie betrifft, so war Hannes Schmid beliebt für seine realistischen Inszenierungen. Sowohl für die Tabakindustrie als auch für Modemarken hat er Bühnen inszeniert, die die Grenze zur Realität eindeutig überschritten. Es war nicht nur die Fotografie alleine, es war vor allem Schmids Kreation einer unglaublichen unfassbaren Idee und das damit verbundene Risiko, nicht zu wissen, ob sie realisierbar ist, die auf die Lust des Nervenkitzels der großen Unternehmer traf. »Für Rothmans habe ich drei Monate ein Forschungsschiff gechartert, nur damit dieser blöde Kapitän etwas macht, wenn das Wasser über den Bug kommt«, erzählt Schmid und fährt fort: »Ich habe einen Formel 1 Rennwagen im Swimmingpool versenkt, leider aus Versehen mit dem Motor, für ein Foto mit Jacques Villeneuve. 70 Millionen Pfund haben wir verbraten, um den Landspeed Rekord mit dem Formel 1 Boliden aufzustellen. Als ich bei der Planung fragte, wie viel ich denn Budget bekäme, entgegnete der CEO: ‚Big Company, big dreams. Do you ask how much your dream is?‘ Als ich schließlich mit nur einem einzigen Foto auf dem Salzsee nach London zurückkehrte, weil der Regen kam und das Auto plötzlich im Wasser stand, meinte er lediglich: ‚Sometimes dreams took a bit longer until they become true.‘ So war das in den 90er Jahren.«

Schmid ist authentisch und wollte eben auch immer authentische Bilder haben. So war es auch in der Modefotografie. Die Models mit den großen Namen waren ihm egal. Er wollte die Menschen, die zum jeweiligen Ort passen und castete auf den Straßen vor Ort. »Ich habe die Models sogar durch die Eiger-Nordwand gejagt, um Wintermode zu shooten. Das war ich. Aber ich war auch der Einzige, der das damals gemacht hat. Wir hingen in der Wand, 2200m Luft unter den Füßen. Der Abstieg war sehr schwierig. Als ich mit den Bildern zum Herausgeber der Deutschen Vogue ging, war er entsetzt, aber die Redakteure haben es durchgekämpft. Ich war immer der Zeit voraus.« Danach engagierte ihn Kenzo und schickte Schmid in den Hurrikan nach Jamaica. Er war weltweit unterwegs und er konnte machen was er wollte. »Ich war stark genug immer alles durchzusetzen, was ich wollte, auch in der Werbung. Ich war immer geradlinig.«
Für seine jahrzehntelange unkonventionelle Arbeit ist Schmid in verschiedenen Genres der Fotografie anerkannt. Zu seinen bekanntesten Werken gehören der kultige Marlboro Man, Rockstars, For Gods Only und Human Currents, die in internationalen Galerien und Museen ausgestellt wurden. In den letzten Jahren hat er sich mit einer Vielzahl von Kunstformen auseinandergesetzt, um ein provokantes Werk zu schaffen, zu dem auch die Übertragung seines Marlboro Man auf die Leinwand zählt. Als Schmid nämlich 2003 an der Biennale in Venedig zum ersten Mal der Konzept-Kunst von Richard Prince begegnete, traute er seinen Augen nicht. Für ihn gab es nur einen Weg, sich sein Werk zurückzuerobern und widmete sich fortan der hyperrealistischen Malerei. Insgesamt sind rund 90 Gemälde entstanden, die aktuell in einem Katalog zusammengeführt werden. »Ich habe aufgehört zu malen. Die Ärzte haben mir nahegelegt, aufgrund meiner gesundheitlichen Verfassung mein Leben zu ordnen. Und genau das mache ich jetzt auch.«
Ein einschneidendes und lebensveränderndes Erlebnis war die Begegnung mit einem bettelnden Mädchen in Thailand. Das Mädchen kam aus einer Bauernfamilie in Kambodscha, ihr Vater hat es verbrannt, um es als »Bettelpuppe« verkaufen zu können, weil die Familie ansonsten nicht überlebt hätte. Schmid schmuggelte das Mädchen von Thailand zurück nach Kambodscha und brachte es dort in ein Waisenhaus. Er wollte verstehen, wie diese Armut in Kambodscha aus-sieht und begab sich auf eine riesige Müllhalde in der kambodschanischen Stadt Sihanoukville. Dort leben Tausende, vor allem Kinder. Der Fotograf zog für drei Monate in den Müll-Slum. Was er sah und fotografierte, war »schockierend. Und es braucht einiges, damit ich schockiert bin«. Kinder, die aus dreckigen Kloaken trinken. Väter und Mütter, die jeden Tag im verseuchten Abfallberg herumstochern, um Wiederverwertbares zu Geld zu machen. Menschen, die an Malaria und Typhus erkranken und sterben.
Seitdem sind es die gesellschaftspolitischen Themen dieser Welt, die die Kreativität von Hannes Schmid fordern. Sein Projekt Smiling Gecko kann man als eine »soziale Skulptur« bezeichnen, zu der ein »Smart Village« in Kambodscha gehört, von dem mittlerweile 10.000 Menschen profitieren. Schmid geht stets über die Grenzen der traditionellen Fotografie hinaus, also überschreitet er auch hier die Grenzen des Machbaren und schafft anstatt einer inszenierten Realität eine reale Struktur, die Hilfe zur Selbsthilfe bietet und eine Vorreiterrolle in Sachen Entwicklungshilfe einnimmt.
Als Künstler hat Hannes Schmid in seinem sozialen Auftrag eine eigene Herangehensweise: »Wir Künstler haben keine Berührungsängste! Wir sind nicht eingeschränkt, wir packen alles aus, analysieren es und werfen es dann wieder zusammen. Das können keine Leute aus der Wirtschaft oder Philanthropen. Es bräuchte viel mehr Künstler, die sich mit diesen schwierigen Situationen unserer Gegenwart auseinandersetzen.« Für Schmid ist die Kunst nichts anderes als Prozesse, die über Jahrzehnte in ihm vorgehen. Letztendlich ist es die konstante Transformation. Er ist der Zeit voraus, das war er immer schon. 25 Jahre investieren wir in entwickelten Ländern in ein Kind, also eine ganze Generation. In Kambodscha sieht das ganz anders aus: Die Kinder dort gehen zwei Jahre in die Schule, 80 % der Bevölkerung kann die eigene Schrift nicht lesen und die eigene Sprache nicht verstehen. »Wäre das in Deutschland so, hätten wir keinen Markt, die Leute würden kein Geld verdienen, weil sie keine Ausbildung genossen haben. Das ist ein ganz einfaches Prinzip, man muss in die Kinder und deren Bildung investieren und nicht im Gießkannenprinzip Almosen verteilen«, stellt der Künstler klar. Er hat Biss, bringt kreatives Denken ein und geht einfach immer vorwärts. »Wir müssen starke Volkswirtschaften aufbauen, damit es eine Kaufkraft gibt und einen Markt, dann haben wir vielleicht auch zukünftig ein gutes Leben.« Das sind Gedankengänge, die auf der permanenten Suche, sich weiterzuentwickeln, aufgebaut sind. »Eine tatsächliche Entwicklung dieser Länder weltweit würde uns 100 Billionen Dollar im Jahr kosten und zwar für 25 Jahre. Wir haben das Geld nicht, aber wir hätten genügend, um die Zweit- und Drittklässler zu bilden. So hätten wir eine Chance, dass die Länder den Anschluss finden und aufholen. Wenn wir nicht jetzt rigoros damit beginnen, schaffen wir das nicht mehr. Ich hatte keine Ahnung von Wirtschaft und Politik, aber durch mein Interesse kam ich in diese Kreise und urplötzlich habe ich gelernt, wie solche Dinge funktionieren.«
Für Smiling Gecko hat Hannes Schmid dieses Wissen eingesetzt. Am Anfang ist auch er gestolpert, beim Anbau, bei der Tierhaltung, bei der Fischzucht, nichts war so einfach, wie es schien. Doch dann hat er strategische Allianzen mit universitären Einrichtungen geschlossen, um Forschung zu betreiben und die einzelnen wirtschaftstreibenden Sektoren des »Smart Village« in Gang zu setzen. Es ist die erste Universität für Angewandte Wissenschaften in ganz Asien. Das Projekt hat sich sehr schnell, sehr weit entwickelt. Schmid selbst hat sich komplett aus dem Operativen zurückgezogen. Alle Mitarbeiter vor Ort sind Kambodschaner. Doch zur Ruhe setzt er sich noch lange nicht. Derzeit widmet sich der »Creator« ganz dem Bau für das »Haus der Kultur, Musik und Kunst« in Kambodscha. »Ich nehme gerade den Kontakt mit allen Künstlern auf, die in Kambodscha in der Versenkung sind.« Der Bau wird kreisförmig, inspiriert vom Gong in Ang-kor Wat, der seine Wellen schlägt. Im Zentrum ist der Gong und rundherum entstehen Kreise mit Gebäuden und Bambuswäldern. Die natürlichen Baumaterialien werden selbst entwickelt. Mit der Aktion »Ein Container voll Musik« werden aktuell in der Schweiz Musikinstrumente gesammelt, die dann nach Kambodscha verschifft werden. »Es gibt wahnsinnig talentierte Menschen, sie verdienen es entdeckt und kulturell gebildet zu werden, dafür brauchen wir auch Instrumente.«
Für Hannes Schmid ist sein Kunstschaffen ein niemals endender Brückenschlag, ausgehend von der Fotografie in viele Themenfelder des Lebens. Jede Carte blanche hat ihn letztlich immer wieder auf eine neue Spur geführt, weil er sich leiten hat lassen von den vielen einschneidenden Momenten. Rückblickend gesehen war sicherlich keiner dieser Momente ein Zufall, viel eher eine Offenbarung sich seinem Talent hin-zugeben. Schmids Geschichte ist außergewöhn-lich, sogar für ihn selbst und das ist wohl das größte Geschenk, das ein Leben bereithalten kann.«