Curated Couture by Judith Bradl
Die Selbstreflexion begleitet mich (all)täglich. So denke ich ständig an mein jüngeres Ich, welches im Kinderzimmer spektakuläre Hollywoodszenen und dramatische Theaterbühnen inszenierte. Bereits als Kind war ich von der magischen Kraft und der künstlerischen Macht der Theater- und Filmwelt fasziniert. So wollte ich diese Sphäre erforschen, nachahmen und schließlich meine eigene Perspektive erfinden. Bei jenen theatralischen Selbstinszenierungen übernahm ich die Rolle der Kostümbildner, Maskenbildner, Bühnenbildner und nicht zu vergessen, auch die Aufgabe der Regie sowie die Hauptrolle jeder Darstellung. Die Stücke wurden Familie, Freunden oder Nachbarn vorgeführt und meist auch filmisch oder fotografisch dokumentiert. So fand ich vor nicht allzu langer Zeit im Familienalbum eine Fotoserie über Outfits und Kostüme, welche ich konzipierte und am Modell meines kleinen Bruders stylte. Er musste Kleider, Röcke, Schuhe mit Absatz, Kopfschmuck und Lippenstift tragen – alles für die Kamera, alles für die Bühne und meine imaginierten Shows, welche ich nicht bloß dirigierte, sondern auch viel ernster als alle anderen Kinder nahm. Stundenlang stöberte ich zwischen alten Kleidern, Karnevalkostümen sowie bunten Stoffen am Dachboden meiner Kindheit, um das perfekte Kostüm zu finden, welches zum selbst ausgemalten Skript passen sollte. All dies war der Beginn meines fantasievollen Abenteuers.
2015 saß ich schließlich an einem verregneten Sommerabend in einem überfüllten Café in Florenz und beobachtete eine Gruppe von jungen Künstlern und Mode-Schöpfern, welche sich mit großer Lebenslust über das kulturelle Geschehen und ihr künstlerisches Sein unterhielten. Dieses einsame Lauschen am Dialog über Kunst und Mode weckte in mir dieses kleine Ich, welches nun, wie nie zuvor, eine brennende Sehnsucht nach der Welt der modischen Inszenierungen verspürte. Dabei wurde Instagram, als digitale Plattform schlechthin, zu jener Bühne, welche meine »tableaux vivants« der Welt präsentieren sollte. Nach jenem Abend in Florenz begab ich mich auf eine Mission, in Begleitung meiner größten Leidenschaft und Passion. Mir war bewusst, dass ich die Welt der Schönheit und der Künste erobern wollte. Dabei reiste ich durch mein eigenes Gehirn wie durch einen neuen Planeten. In meinem Ich spielte sich eine kreative und fantasievolle Belebung jener kindlich-naiven Vorstellungen ab. Nicht selten ertappte ich mich beim »daydreaming « – plötzlich war ich mental in einem Film, in welchem ich die Hauptrolle spielte – in dem ich aber auch die Regie und »Creative Direction « übernahm. Die Reflexion dieser Filme spiegelt sich heute in meiner Arbeit wider. Als Digital Content Creator bespiele ich mittlerweile seit Jahren täglich Handy- Bildschirme und Gehirnoberflächen von zwanzigtausenden Zusehern weltweit. Ähnlich wie im Kino oder eben im Theater spielen sich dabei surreal-bizarre Szenen mit extravaganten Protagonisten und einem fesselnden Plot ab, wobei die Träumerin und Hauptdarstellerin sowie Regisseurin – mein eigenes Ich – den Zuseher an der Hand nimmt und ihn auf eine Reise in eine magische und unbeschwerte Welt entführt.
Doch zurück zur Film-Metapher: Mein Alltag besteht zu einem Großteil aus der Konzipierung sowie Umsetzung von visuell-digitalen Produktionen, welche sich vorab in meinem Kopf abspielen und daraufhin in bewegte Bilder und modische Inszenierungen verwandelt werden. Dabei spielen neben der Mode genauso die bildende Kunst sowie die Architektur und die Kulisse der Bilder eine bedeutende Rolle.
Jedes Detail eines Bildes wird von mir entworfen und ähnlich wie ein Gebäude Schicht für Schicht aufgebaut sowie spielerisch erzählt. Apropos Architektur: ein weiterer Kindheitstraum war das Studium der Innenarchitektur und das spätere Erbauen und Beleben von Räumlichkeiten. Doch auch das Studium der Kunstgeschichte, und eine sehr wertvolle Erfahrung hinter den Kulissen des prunkvollen Wiener Kunsthistorischen Museums, eröffneten mir neue Perspektiven und viele Ideen zur Umsetzung dieser Raumwahrnehmung, wie auch eine Portion an Sensibilität für die kunstvollen und schönen Dinge im Leben. Im Grunde liegen jedem digitalen Bild oder Video-Clip eine Reihe an Emotionen und eine Portion Sensibilität zugrunde. Das Resultat jener Gefühlswelt ist schließlich eine Bühne der Kreativität; so auch bei meinen Aufträgen und Projekten mit namhaften Brands und Emerging Designers.


Das sogenannte »Kopfkino« wird in unserer Gesellschaft vorwiegend negativ assoziiert, teilweise sogar belächelt und nur selten ernstgenommen; doch genau jene verträumten und teilweise infantilen Fantasien sind der Antrieb jeglicher künstlerischen Schöpfungen, so auch meiner eigenen Produktionen und Darstellungen. Vor allem die Zusammenarbeit mit Filmregisseur Wes Anderson sowie seiner Frau und Kostümdesignerin Juman Malouf anlässlich der Ausstellung »Spitzmaus Mummy in a coffin and other treasures« im Kunsthistorischen Museum Wien und später in der Fondazione Prada prägte meine Überzeugung der Wiederbelebung des vermeintlich »Veralteten « – so verbrachte Wes Anderson tagelang in den Archiven des Museums und belebte bislang unbekannte Stücke aus der Sammlung; alles dank seiner Fantasie und Ironie. Ihn auf dieser Schatzsuche zu begleiten, war eine unvergessliche und wunderbare Herausforderung, welche bewiesen hat, dass Künstler eine enorme Vorstellungskraft und Traumwelt in sich tragen.
Inspiration finde ich jedoch nicht nur in Museen und im Austausch mit Künstlern, sondern auch auf Flohmärkten und in Vintage-Archiven. Vintage ist für mich viel mehr als bloß ein aktueller Trend, welchen ich übrigens bereits seit 2016 bis ins kleinste Detail lebe und verkörpere. Vintage bedeutet in meinen Augen die Vergangenheit, die eigenen Wurzeln sowie die Welt der Traditionen und des Handwerks zu kennen und zu schätzen. Nur dann ist die Gestaltung einer respektvollen und fruchtbringenden Zukunft möglich. Die Geschichte führt uns somit in die Zukunft, und ist unmittelbar damit verbunden. Diese Liebe für alte Textilien, Kleider, Gegenstände, Bücher, Postkarten und all die Geschichten verwandle ich täglich in eine bunte Realität, dabei immer eine Portion des Verträumten und Romantischen beibehaltend, und durch Details und Bewegungen die Gegenwart und Zukunft inkludierend.
Die Welt könnte meiner Meinung nach viel mehr Surrealismus, Buntheit und Anderssein vertragen. Und gedanklich belebe ich wieder einen endlosen Film – durch Wiesen bunter Blumen laufend, in einem langen und verzierten Kleid aus Chiffon und einem Seidentuch auf meinem Kopf; jede einzelne Aufnahme sehe ich vor meinen Augen – eben wie auf einer Leinwand. Ähnlich wie meine digitalen Bühnen-und Kostüminszenierungen, soll hier ein Coutureabenteuer untersucht, aber vielmehr belebt und für zukünftige Strömungen aktiviert werden. Denn Mode und Kunst sollen und werden sich wieder annähern und Hand in Hand durch diese Seiten und Zeiten führen. Darauf lege ich Wert!
