Seine Freude am Grotesken ist unbändig

Peter Kohl

Kohls Wer­ke sind ein lei­den­schaft­li­ches Bekennt­nis zur Fan­ta­sie, zum Absur­den und zum Aben­teu­er Kunst. Sein Uni­ver­sum ist Licht­jah­re von all dem ent­fernt, was in den Ver­dacht von Eti­ket­te und Kon­ven­ti­on gera­ten könn­te. Bei ihm sind Schwei­ne grün, der GröFaZ aus Brau­nau trägt eine rosa Unter­ho­se, und Micky Maus ist eine Rat­te. Anzie­hung oder Abscheu, Schön­heit oder Schre­cken − wo ist der Unter­schied? Wer ange­sichts die­ser Wesen nicht vor Furcht zurück­schreckt, der kann laut über sie lachen. Die­ses Spiel mit Far­ben,  For­men und kur­zen Tex­ten ist ein Ereig­nis, das mit­ten ins Herz trifft.

Peter Kohl

Peter Kohls Freu­de am Gro­tes­ken ist unbän­dig, und mit Lust ver­schiebt er die Realitätsebenen. 

Auf sei­nen Lein­wän­den wird die sicht­ba­re Welt irre­al und das Irrea­le Wirk­lich­keit. So malt er die Toten leben­dig und die Leben­di­gen tot. Kon­kret heißt das: Der Geist muss sein „Leben“ mit einer Gas­mas­ke schüt­zen („nature.ghost“, 2017), dafür hat der Mann mit der schwar­zen Hasen­oh­ren­kap­pe Engels­flü­gel und ist start­klar für die Him­mel­fahrt („mind.RACER“, 2017). Kohl ist nichts hei­lig, und so for­men sich in sei­nen Arbei­ten dras­tisch­ma­ka­bre Bild­ge­schich­ten, bizarr­ex­pres­si­ve Gestal­tun­gen und nar­ra­ti­ve, male­risch-zeich­ne­ri­sche Kom­men­ta­re, wel­che lust­voll die Gren­zen des so genann­ten guten Geschmacks über­schrei­ten. Liest man Kohls Gedich­te, die oft­mals eng mit sei­nen Bil­dern in Ver­bin­dung ste­hen, so ähnelt die Art, wie er Begrif­fe ver­wen­det, sei­ner bild­ne­ri­schen Vor­ge­hens­wei­se: Kohl kopiert und zer­schnei­det, mon­tiert und col­la­giert, sein Vor­ge­hen ist von einer asso­zia­ti­ven Den­kund Hand­lungs­wei­se geprägt. Eine Anlei­tung zur Dechif­frie­rung sei­ner geschrie­be­nen, gemal­ten oder gezeich­ne­ten Geschich­ten legt der Künst­ler nicht bei. Viel­leicht, weil es auch gar kei­ne gibt; denn sei­ne Wor­te, Farb­fle­cken und Krit­ze­lei­en befin­den sich in einem Fluss, der sei­ne Schön­heit und Tie­fe aus der per­ma­nen­ten Ver­wand­lung bezieht.

Peter Kohl lebt inzwi­schen wie­der auf dem ehe­ma­li­gen Hof sei­ner Eltern in Eben­thal, Kärn­ten. Er ist ein Mensch, der Platz braucht, ein uner­müd­lich Han­deln­der, dem es nicht schwer fällt, die mit alten land­wirt­schaft­li­chen Gerä­ten ange­füll­ten Scheu­nen mit Leben zu fül­len. Es fällt aller­dings auf, dass den Wesen, die Ein­gang in sei­ne Bild­welt gefun­den haben, oft­mals die Hän­de und Fin­ger feh­len, sie qua­si hand­lungs­un­fä­hig sind. Die­se Wehr­lo­sig­keit wird ver­stärkt durch rie­si­ge, hilf­los zu den Sei­ten sich weg­stre­cken­de Brüs­te, die mit­un­ter an die Stel­le von Armen getre­ten sind. Auch wenn die Micky Maus-Rat­te auf „mind.RACER“ schon vol­ler Vor­freu­de grinst, ihren Revol­ver wird sie mit die­sen plum­pen Stümp­fen nicht zie­hen können.

In Kohl ruht eine tie­fe Skep­sis gegen­über dem, was die Gesell­schaft antreibt und was sie an Grund­wer­ten zu bie­ten hat. Die Figu­ren auf sei­nen Bil­dern ver­ber­gen ihr wah­res Gesicht nicht hin­ter einer Mas­ke, son­dern die Mas­ke zeigt den Men­schen so, wie er wirk­lich ist. Wenn sein kla­rer Strich mit­un­ter abrupt abbricht und die Mar­kie­rung zer­brö­selt, dann spie­gelt die Zer­stö­rung der gestalt­ge­ben­den Kon­tur auch die Brü­chig­keit der „hei­len Welt“. Ein Werk von 2013 trägt den Titel „Wan­der­weg in mei­ne Welt“. Ein Zitat des Künst­lers lau­tet: „Für mich bedeu­tet mei­ne Arbeit, den Weg in mich zu fin­den.“ Zu die­sen Aus­sa­gen passt, dass sein pro­mi­nent ins Bild geschrie­be­ner Name mit der Jah­res­zahl mehr als nur eine Signa­tur und Datie­rung ist. Untrenn­bar gehört die­se Set­zung zur Bild­kom­po­si­ti­on und ist ein State­ment, das dem Betrach­ter „Es gibt mich“ und „Ich war hier“ entgegenschreit.

Kohls oft­mals gewalt­sam anmu­ten­de, mit wil­der Ges­te gemal­te, gezeich­ne­te, geschrie­be­ne, gekratz­te und gespray­te Wer­ke öff­nen der Phan­ta­sie alle Tore. Nun möch­te man mei­nen, dass einem Künst­ler, der über ein der­art unan­ge­pass­tes Gestal­tungs­vo­ka­bu­lar ver­fügt, jeder Per­fek­tio­nis­mus von Grund auf suspekt sein müss­te. Doch schaut man genau­er hin, dann gibt es hier ganz und gar kei­ne Belie­big­kei­ten. Auch wenn sei­ne Kom­po­si­tio­nen über eine Viel­zahl von gleich­ran­gig agie­ren­den Figu­ren, Zei­chen, Farb­fle­cken und Text­frag­men­ten ver­fü­gen, so befin­det sich doch jedes Detail genau da, wo es hin­ge­hört. Dre­hun­gen und Über­schnei­dun­gen, das Über­ein­an­der­le­gen von unzäh­li­gen Farb­flä­chen und die Über­zeich­nung von Bild­par­tien sind wohl­durch­dacht und ver­mit­teln die Illu­si­on einer Räum­lich­keit, hin­ter der kein flucht­punkt­per­spek­ti­vi­sches Ord­nungs­prin­zip steht.

Die Bild­ele­men­te ent­stei­gen einem Grund, ver­har­ren dort für einen Moment und könn­ten jeder­zeit wie­der in ihn zurück­sin­ken. So ent­las­sen Kohls Gebil­de den Betrach­ter auch in die Fra­ge, wo der Anfang und wo das Ende ist und wie es wohl links und rechts, oben und unten wei­ter­ge­hen könn­te. Inner­halb die­ses Gewirrs aus Farb­fle­cken, Über­schnei­dun­gen, vor- und zurück­tre­ten­den Bild­ele­men­ten scheint mehr­fach ein schön gefal­te­tes und per­spek­ti­visch getreu wie­der­ge­ge­be­nes Papier­schiff­chen auf. Es ankert in einer Welt, die uns ver­traut ist. Sei­ne schö­ne, plas­ti­sche Form beru­higt das umher­ir­ren­de Auge, und über­dies könn­te es einen Grö­ßen­maß­stab für das übri­ge Bild­per­so­nal lie­fern: Sind also Geist und Tiger gar nicht so rie­sig? Es bleibt ein Rest von Zwei­fel, denn bei Peter Kohl weiß man nie. Sei­ne Papier­schiff­chen könn­ten durch­aus die Grö­ße von Oze­an­rie­sen haben.

Peter Kohl projekt base

Kunst von Peter Kohl in Inns­bruck bewun­dern, sich über sein Werk infor­mie­ren, Bera­tung aus ers­ter Hand und Kunst­wer­ke ankaufen.

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geschrieben von

studierte Kunstgeschichte, Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie sowie Klassische Archäologie in Würzburg und Freiburg i.Br. Sie ist als Kuratorin, Kunstjournalistin und Dozentin in Freiburg i.Br. tätig.

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