Das Theater war immer ein Ort meiner Sehnsucht
Es ist nicht ganz so einfach als einfaches Redaktionsmitglied, als das ich mich sehe, über den berühmten, grossartigen Sprach- und Redekünstler, Dramatiker, Dichter und Schriftsteller, Peter Turrini, eine einleitende „Hommage“ zu einem Interview zu verfassen. so halte ich es kurz und lasse ihn, den oftmals ausgezeichneten und preisgekrönten, gebürtig in St. Margarethen im Lavanttal, zu wort kommen. Turrinis Werke wurden in viele Sprachen übersetzt, seine Theaterstücke wurden weltweit gespielt. Auf diesen Seiten geht es vor allem auch um seine zum Titel passende Meinung zum Thema „Revolution“. Revolutionär waren auch die sozialkritischen Erstlingswerke von Peter Turrini wie „Rozznjogd“ (1971), Sauschlachten (1972), die fantastische „Alpensaga“, eine legendäre Fernsehserie der 70er- Jahre, um nur einige wenige zu nennen. Sie alle lösten eine „Revolution“ aus; sowohl in der österreichischen Literaturgeschichte als auch in den Köpfen und Herzen der Leser und Zuseher. Heftige Reaktionen folgten Jahre später auch auf das Turrini-Stück „Alpenglühen“ (Inszenierung: Claus Peymann, Aufführung im Burgtheater 1993). Große Erfolge erntete Turrini unter anderem mit dem Theaterstück „Josef und Maria“. Für die Oper „Der Riese vom Steinfeld“, Uraufführung in der Wiener Staatsoper 2002, verfasste Turrini das Libretto.
Lieber Peter Turrini, wann hatte alles begonnen?
Sehr früh. Als ich mich in diesem Kärntner Dorf der 50er-Jahre mehr und mehr ausgeschlossen fühlte, habe ich mich in die Sprache, in Ausdenkungen geflüchtet. Das war noch kein eigentliches Schreiben, sondern ein Versuch, mir eine Welt in Gedanken zu errichten, in der ich mich beheimatet fühlen könnte. Sehr bald, mit 15 Jahren, entstanden die ersten Szenen und Gedichte.
Als 1971 dein erster großer Theatererfolg „Rozznjogd“ über die Bühne des Volkstheaters lief, nein, donnerte, was empfandest du dabei?
Eine große Seligkeit, denn das Theater war immer der Ort meiner Sehnsucht. Bei dieser Uraufführung, die du ansprichst, war das Publikum außer sich, das Theater glich einem explodierenden Hexenkessel. Überall Schreie und durchdrehende Menschen. Ich stand auf der Bühne mit verschränkten Armen und dachte mir: „Jetzt bist du endlich am Ort deiner Sehnsucht angekommen und von dort holt dich niemand mehr weg.“ Der Regisseur rief aus der Gasse ständig, ich solle doch endlich wieder abtreten, aber ich blieb da stehen und war glücklich.
Und was empfindest du heute, nach 45 Jahren, nach all deinen großartigen, preisgekrönten Erfolgen? Sind die Emotionen noch dieselben?
Mein Schriftstellerleben bestand nicht nur aus großartigen und preisgekrönten Erfolgen, sondern auch aus Verzweiflung und Niederlagen. Aber das Glück, ein Theaterdichter zu sein, dessen Werke immer wieder und weltweit gespielt wurden und werden, das hat nicht aufgehört.
Peter, du arbeitest an einem neuen Werk. Dürfen wir darüber etwas erfahren?
Es ist ein Stück über Hedy Lamarr. Sie galt in den 30er-Jahren des vorigen Jahrhunderts als schönste Frau der Welt, war Hollywoodschauspielerin und die erste, die mit entblößtem Busen über die Leinwand lief. Zu Unrecht ist nur das von ihr geblieben, in Wahrheit war sie eine große Erfinderin und hat mit ihrer Erfindung („Frequency Hopping“) wesentlich zur Entwicklung der Telekommunikation und der heutigen Handys beigetragen. Es hat mich diese Kombination von Geist und Schönheit fasziniert und ich wollte dieser außergewöhnlichen Frau ein Denkmal setzen. Im Augenblick bin ich mitten in der Endfassung des Stückes.
„Im Augenblick agiert die Europäische Union gegenüber den Flüchtlingen kleinlich, hartherzig, verschanzt sich in ihrer Wohlstandsburg und zieht Grenzen auf, wo es nur geht.“
Was bedeutet für dich das Wort „Revolution“?
Das Wort Revolution bedeutet heute überhaupt nichts mehr. Wenn jeder Autokonzern sein neuestes Modell als Revolution hinstellt, wenn selbst irgendwelche Plastiktaschen als Revolution im Verpackungsbereich ausgegeben werden, dann ist dieser Begriff beliebig geworden und hat seine ursprüngliche Bedeutung, eine Bezeichnung für radikalen Widerstand, verloren.
Die Denkmodelle der 68er sind bis heute in vielen Köpfen präsent. Wenn du dich an diese Zeit erinnerst, was konntest du mitnehmen?
Wie viele meiner Generation bin auch ich in einer reaktionären und postfaschistischen Nachkriegszeit aufgewachsen. Es sollte die soeben in Trümmer gelegte Welt wieder aufgebaut werden, es sollte Ruhe herrschen und vor allem, es sollten keine Fragen zum Faschismus gestellt werden. Wir aber suchten Antworten, wir wollten wissen, warum unsere Vätergeneration die Welt in Schutt und Asche gelegt hatte und spätestens in den Endsechzigerjahren wurden diese Fragen so laut und wild gestellt, dass sie nicht mehr zu überhören waren. Wir wollten alle Modelle der Vergangenheit, von der Ehe bis zur Kirchengläubigkeit, auflösen – und vieles von dem Furor der damaligen Zeit ist auch heute noch in mir.
Wenn du die heutige Zeit, die aktuellen Flüchtlingsdramen, die immense Radikalisierung, die „eventuelle“ Verhärtung der Politik gegen den Flüchtlingsstrom, Stichwort geschlossene Grenzen, mitverfolgst, was bewegt dich dabei? Die Europäische Union erhielt 2012 den Friedensnobelpreis.
Diesen Friedensnobelpreis hat die Europäische Union zu Unrecht bekommen. Im Augenblick agiert sie gegenüber den Flüchtlingen kleinlich, hartherzig, verschanzt sich in ihrer Wohlstandsburg und zieht Grenzen auf, wo es nur geht. Und auch in den Herzen vieler Europäer entstehen diese Grenzziehungen. Das angeblich Fremde soll draußen bleiben. Diese Menschen, die da zu uns wollen, sind gar nicht so fremd. Sie haben mehr mit uns zu tun, als wir glauben. Der Großteil der Kriegsmaterialien, mit denen getötet wird, zum Beispiel in Syrien, stammt aus europäischen Waffenschmieden. Wir sind zum Helfen aufgerufen und nicht zum Abwehren.

Peter Turrini (* 26. September 1944 in Sankt Margarethen im Lavanttal) ist ein österreichischer Schriftsteller. Er ist bekannt für seine gesellschaftskritischen und, vor allem in seinen frühen Werken, provokanten Volksstücke. Peter Turrini ist der Sohn des italienischen Kunsttischlers Ernesto Turrini und der steirischen Hausangestellten Else Turrini, geborene Reßler. Er wuchs in Maria Saal in Kärnten auf. Über den Tonhof der Sängerin Maja-Weis-Ostborn und des Komponisten Gerhard Lampersberg kam er früh in Kontakt mit Vertretern der Wiener Avantgarde. Von 1963 bis 1971 war er in verschiedenen Berufen tätig, unter anderem als Magazineur bei Huber-Trikot, als Werbetexter bei einer amerikanischen Agentur, als Hotelsekretär in Bibione, als Hilfsarbeiter in Neuwied am Rhein. 1967/68 lebte er auf Rhodos. Seit 1971 lebt er als freier Schriftsteller. 2005 wurde er zum korrespondierenden Mitglied der Deutschen Akadamie für Sprache und Dichtung gewählt.