IRONISCH, SATIRISCH,
HUMORVOLL, ERNST,
UNSCHULDIG ODER
ZÄRTLICH?
ÜBER HEMMUNGSLOSE TIERWELTEN MIT VERSTECKTEN BOTSCHAFTEN.
Die in Madrid lebende Künstlerin Sol Felpeto wurde 1990 in Venezuela geboren. Sie ist in Argentinien und Spanien aufgewachsen. Durch die Arbeit ihres Vaters hat Felpetos Familie an verschiedenen Orten gelebt und das hatte einen großen Einfluss darauf, wer sie heute ist. Als sie die Schule abgeschlossen hatte, musste sie sich zwischen zwei Karrierewegen entscheiden: Wissenschaft oder Kunst, und sie entschied sich für Veterinärmedizin. Nach drei Jahren brach sie das Studium ab und erkannte, dass sie ihr Leben ändern wollte. »Ich zog von Buenos Aires nach Madrid und studierte Modedesign und Creative Direction«, erzählt uns Sol im Gespräch. Danach begann ihre berufliche Laufbahn als Illustratorin und Künstlerin. In ihren Werken bringt sie nicht nur ihre leidenschaftliche Verbindung zur Tierwelt zum Ausdruck, sondern setzt Tiere ganz bewusst in unterschiedlichen Kontexten als Botschafter ein. Vermischt mit den persönlichen Erfahrungen der Künstlerin entstehen Textcodes, deren Entschlüsselung den Betrachter:innen überlassen wird.
Du hast Mode und Creative Design studiert und hast schließlich die Kunst für dich entdeckt – warum?
SOL FELPETO: Das ist eine sehr interessante Frage. Als ich Modedesign und Creative Direction studierte, dachte ich zu Beginn meiner Karriere, dass ich mich definitiv der Mode widmen würde, aber im ersten und zweiten Jahr wurde mir klar, dass das, was ich an der Mode mochte, die Illustration war, und natürlich unterschied sich mein Inhalt als kreative Illustratorin sehr von dem anderer Studenten, denn meine Arbeit war eher »infantil«. Anfangs dachte ich, dass meine einzige Jobmöglichkeit die Textilillustration für Kinderkleidung sein würde. Doch im selben Monat, in dem ich meinen Abschluss machte, wurde ich zur ersten Ausstellung von Illustrationen eingeladen und auf dieser Ausstellung verkaufte ich meine Arbeiten. So spannte ich den Bogen vom kreativen Design zur Kunst. An der Universität lernt man viel über Kunstgeschichte, Marketing, Wirtschaft und eignet sich kreative Werkzeuge an, die einem viele Türen öffnen, um in jeder kreativen Disziplin zu arbeiten. Und so bin ich in der Kunst und nicht in der Modebranche gelandet.
Gibt es aus deiner Erfahrung verbindende Elemente zwischen Mode und Kunst?
SOL FELPETO: Ja, sie haben viel miteinander zu tun, es sind zwei Welten, die sich objektiv und direkt ergänzen. Die Modebranche hat viel mit dem Kunstmarkt zu tun. In meinem Berufsstudium hat man mir Werkzeuge beigebracht, die ich für meine Entwicklung in meiner künstlerischen Karriere nutzen konnte.
Leidenschaft ist das Thema dieser Ausgabe: Wie würdest du deine Leidenschaft(en) beschreiben?
SOL FELPETO: Nun, ich würde Leidenschaft als etwas beschreiben, mit dem man nicht aufhören kann. In meinem Fall wusste ich nicht, was eine Leidenschaft ist, bevor ich meine künstlerische Karriere begann. Ich hatte viele Hobbys, als ich jünger war, und ich mochte verschiedene Aktivitäten, aber jetzt, wo ich eine künstlerische Laufbahn eingeschlagen habe, ist mir klar geworden, was eine echte Leidenschaft ist: Es ist etwas, das man unter keinen Umständen aufgeben kann, es nimmt dich ein und überwältigt einen, und es gibt keine Möglichkeit, es zu kontrollieren.

Vielleicht entwickelt sich meine Arbeit, reift, wird anspruchsvoller, aber trotzdem sehe ich mich immer am selben Ort, wenn ich über meine Zukunft nachdenke und ich nenne diesen Ort »far away«.
Was bedeutet für dich der Begriff PASSION – wie viel von dieser Begrifflichkeit steckt in dir als Künstlerin und wie überträgt sich diese Leidenschaft in deine Werke?
SOL FELPETO: Wie ich schon sagte … Ich glaube, dass es die Leidenschaft ist, die einen dazu bringt, diesen verrückten Weg zu gehen und zu versuchen, eine Künstlerin zu sein, denn es ist kein einfacher Weg, und oft muss man dem Widerstand entgegenhalten: zum Beispiel äußeren Faktoren wie dem Kunstmarkt und inneren Faktoren wie dem eigenen kreativen Zweifel. Ich glaube, dass es die Leidenschaft ist, die einen dazu bringt, immer weiter zu schaffen, also ist die Leidenschaft in jeder Stunde, die man arbeitet, ständig präsent.
Was inspiriert dich – woher stammen deine Ideen für deine Werke?
SOL FELPETO: Ich lasse mich von Lebewesen inspirieren, von Katzen und anderen Tieren, und die andere Sache, die mich inspiriert, ist die Vorstellung, dass diese Katzen und Tiere das nachspielen, was ich um mich herum sehe. Wenn ich zum Beispiel einen Gladiator-Film sehe, stelle ich mir automatisch vor, dass meine Katzen, meine Comicfiguren, in diesem Film mitspielen, so dass ich gegenüber anderen Künstler*innen die Fähigkeit bzw. den Vorteil habe, dass ich mich nicht speziell von etwas inspirieren lassen muss. Ich muss nicht an Orte reisen, ich muss nicht mit Menschen sprechen, ich muss nicht bestimmte Informationen lesen, ich werde ständig von dem inspiriert, was ich sehe und was in meiner Umgebung passiert.

Mit welchen Künstler:innen und Epochen hast du dich auseinandergesetzt? Gibt es eine spezielle Vorliebe?
SOL FELPETO: Nun, das ist offensichtlich. In meinen Arbeiten erkennt man, dass ich Referenzen verwende, nämlich Picasso und den Kubismus. Und in meinem anderen Werksbereich ist meine Basisreferenz Basquiat. Das sind eindeutig meine beiden Lieblingskünstler, die mich dorthin gebracht haben, wo ich heute bin, obwohl ich zu Beginn mit anderen Künstlern experimentiert habe … Wenn ein Künstler zu schaffen beginnt, lässt er sich in der Regel von anderen Künstlern inspirieren, und ich habe mit Miquel Angel, Bosch, Sorolla, Edward Munch und einigen anderen experimentiert. Ich kann viele Stile nachempfinden, die Pinselstriche, die Farben, den Ausdruck verstehen, aber ich bin beim Kubismus und der Street Art geblieben, die mich heute am meisten inspirieren.
Was macht dich als junge Künstlerin aus – bringst du persönliche Emotionen oder gar versteckte Botschaften in deine Malereien ein?
SOL FELPETO: Was mich als junge Künstlerin ausmacht, ist, dass ich zu einer Generation gehöre, die keine spezielle Kunstausbildung braucht. Ich denke, dass vor einigen Jahren Künstler:innen, die mit einer Galerie zusammenarbeiten wollten, einen Abschluss in Bildender Kunst haben mussten. Heute habe ich den Eindruck, dass viele junge Künstler:innen weder eine Ausbildung noch eine spezielle Karriere in der Kunst haben. Einige, wie ich, haben eine, und das ist hilfreich für das Schaffen, denn man erwirbt während des Studiums Kenntnisse in verschiedenen Bereichen der Kunst, aber man trifft auch auf Leute, die Medizin oder Ingenieurwesen studiert haben, oder auf jemanden, der kein Studium hat, aber trotzdem seinen persönlichen Weg verlassen hat und sich dafür entschieden hat, Künstler*in zu sein, und ich denke, das ist etwas, das uns junge Künstler:innen heute sehr gut definiert. Unsere Generation hat weniger Hemmungen, die Gefühle direkt auf einer Leinwand auszudrücken, nicht nur, weil wir malen oder uns selbst darstellen wollen. Es gibt Porträts, die von sich selbst sprechen und sich nicht verstecken, sie sind sehr aufrichtig. Etwas, das man bei den etablierten Positionen, die vielleicht schon seit 30 oder 40 Jahren in der Kunstszene tätig sind, nicht so oft sieht. Heutzutage hat man weniger Angst, über sich selbst zu sprechen, durch seine Kunst, und ich nutze diese Ressource des Schreibens sehr oft, um über mich selbst zu sprechen, oder einfach, um Humor anzuwenden oder Geschichten zu erzählen, die Geschichten meiner Comicfiguren zu erzählen. Viele Sätze oder Texte, die sogar ironisch sind, andere sind satirisch, andere sind humorvoll, andere sind ernster, andere sind unschuldiger oder zärtlicher, aber innerhalb dieser Botschaften, die die Stimme meiner Figuren haben, erzähle ich auch Geschichten über mich. Wenn ich nicht mehr hier bin, werden sich Menschen der Aufgabe widmen, diese Botschaften zu entschlüsseln, und es wird sehr lustig sein, weil sie nicht wissen werden, welcher Inhalt meine Stimme ist und welcher die Stimme meiner Figuren, es ist alles verwoben.
Lässt du dich in der Verwirklichung deiner Arbeiten von der Inspiration leiten oder hast du einen übergeordneten »Werkplan«, den die Galerien und die Sammler erwarten?
SOL FELPETO: Ja, ich bin immer frei zu tun, was ich will … Selbst wenn die Galerien, mit denen ich zusammenarbeite, oder meine Sammler mich bitten, etwas zu erarbeiten … Für Ausstellungen muss ich immer eine bestimmte Anzahl an Werken bereithalten. Aber ich fühle mich nicht unter Druck gesetzt, und ich habe nicht das Gefühl, dass ich immer die gleiche Arbeit machen muss. Das sind natürliche Prozesse in der Zusammenarbeit zwischen mir als Künstlerin und der Galerie.
Woran arbeitest du derzeit – kannst du uns davon erzählen?
Zurzeit arbeite ich an einer Ausstellung mit dem Titel Cats Through History. Sie wird in Peking gezeigt, ich glaube im April. Ich habe noch etwa drei Monate Zeit, um Arbeiten zu produzieren, aber es ist eine ganz besondere Ausstellung für mich, weil ich so etwas schon lange machen wollte. Es ist eine Ausstellung, die viel Recherche über die historischen Bezüge erfordert, und natürlich die ausgedachte Geschichte aus meiner persönlichen Perspektive, meine Vision, in der Ereignisse der Ge-schichte von Katzen nachgespielt werden und sie sich nicht an die Regeln der konventionellen historischen Begebenheiten halten. Katzen sind frei, lustig und exzentrisch zu handeln, daher genieße ich zu 100 % den Prozess der Erarbeitung dieser Werke für die Ausstellung.
Wie reagieren eigentlich die Rezipienten auf deine Werke – beobachtest du das bei Ausstellungen?
SOL FELPETO: Das Publikum reagiert im Allgemeinen auf zwei Arten, es gibt keinen Mittelweg. Wenn sie an meinem Werk vorbeigehen, bleiben sie im Allgemeinen stehen und betrachten es mit viel Liebe und Aufmerksamkeit, sie lesen die Texte, sehen die Details, versuchen, meine versteckten Botschaften zu entschlüsseln … Sie lesen die Texte wie eine Geschichte, das ist es, was ich am meisten mag, wenn die Leute an meinem Werk vorbeigehen und sich die Zeit nehmen, die Details zu studieren. Und die andere Reaktion ist, dass die Leute einfach stehen bleiben, es 10 Sekunden lang betrachten und dann weitergehen. Das ist etwas, womit die Künstlerschaft zu kämpfen hat. Es wird immer Leute geben, die sich nicht für deine Arbeit interessieren und die sie nicht mögen, und sie brauchen sie nicht zu analysieren, um zu wissen, dass sie ihnen nicht gefällt. Das ist etwas, das uns allen passiert. In drei Sekunden weiß man, ob es einem gefällt oder nicht. Ich gebe dem Publikum, das nicht verweilt, um zu beobachten, keine Schuld, ich verstehe, dass das auch mir passiert … es passiert uns allen.
Welche Herausforderung hattest du bisher als aufstrebende Künstlerin zu meistern?
SOL FELPETO: Ich glaube, die größte Herausforderung war die ökonomische. In den ersten zwei oder drei Jahren, wenn man versucht, Künstlerin zu sein, vor allem, wenn man keine Beziehungen in der Szene hat … Man arbeitet fast 24 Stunden am Tag für diese Leidenschaft, von der ich vorhin gesprochen habe. Es war schwierig, von der Kunst zu leben. Ich habe viel gearbeitet und das hat sich als sehr gut erwiesen.
Ich kam dann zunehmend mit vielen Menschen in Kontakt … Die sozialen Netzwerke haben dabei auch geholfen. Und die Dinge entwickelten sich sehr schnell, so dass ich auch diesen Schritt sehr schnell überwunden habe. Für mich war die Überwindung des wirtschaftlichen Problems ein erstes großes Ziel, aber ich sehe bei anderen jungen und älteren Künstlerkolleg*innen, dass sie mit anderen Herausforderungen zu kämpfen haben, die nicht so sehr äußerlich, sondern innerlich sind. Ich denke, dass junge Künstler*innen mit mangelndem Selbstvertrauen, mangelnder Motivation, verschiedenen Zweifeln und der Meinung anderer über ihre Arbeit zu kämpfen haben. Ich glaube, dass viele aufstrebende Künstler:innen aufhören, Kunst zu schaffen und den Weg verlassen, weil sie nicht das Selbstvertrauen haben, sich nicht gegen das System oder, sagen wir, den Markt oder die öffentliche Meinung stellen können, und das ist etwas, das mich sehr betroffen macht. Als ich anfing, wusste ich, wer ich sein wollte, und ich wusste, wo ich hin wollte.
Welchen Stellenwert hat aus deiner Sicht die Kunst für deine Generation? Setzen sich viele junge Menschen mit Kunst auseinander oder spürst du da Hemmschwellen? Welche Rolle spielen dabei die digitalen Kommunikationskanäle?
SOL FELPETO: Ich denke, dass die Kunst für meine Generation sehr wichtig ist. Aber ich glaube, dass Kunst in allen Generationen schon immer wichtig war, und Künstler*innen verändern sich ständig, je nach vorhandenen Technologien und Medien. Jede Generation hatte ihre eigene Art von Kunst, und sie ist etwas, das nicht von den Menschen oder einer Generation getrennt werden kann. Es stimmt, dass man, wenn man nicht von Kindheit an Teil der Kunstwelt ist, zum Beispiel, wenn die Eltern keine Musiker sind, oder wenn die Eltern keine Künstler oder Galeristen sind, man die Kunst als etwas einordnet, das unmöglich zu erreichen ist. Aber ich habe als Erwachsene erlebt, auch mithilfe der sozialen Netzwerke, dass es sehr einfach ist, an der Kunstwelt teilzuhaben. Ich denke, es ist äußerst wichtig, dass junge Menschen verstehen, dass sie am Leben der Kunst teilhaben können und dass dies nicht etwas ist, das nur Menschen mit einem bestimmten Background vorbehalten ist.
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Vielen Dank für dieses offene Gespräch!
Das Interview ist in der Printausgabe 1.22 PASSION erschienen