RÖMER + RÖMER verewigen die flüchtigen Momente Temporärer Gemeinschaften
Das Werk des Künstlerkollektivs Römer + Römer ist alles andere als spontan, es ist vielmehr ein Kontrast zur Spontaneität. Jahrelang bewegen sich die beiden durch einen Prozess, um zu recherchieren und aus tausenden Fotos erlebter Situationen Bildmaterial zu analysieren und zu reflektieren. Die Vorbereitung zur Malerei erfolgt in einer Vorstufe am Computer und der gemeinsame Malprozess ist aufwendig, geduldig und fordert Lebenszeit. Gemalte Flächen und Pixel vereinen sich zu groß-flächigen gegenständlichen Motiven, die bei Annährung an Abstraktheit gewinnen. Das Ergebnis auf der Leinwand ist ein flüchtiger Moment, den das Künstlerpaar für ewig festhält. Steht man vor den Werken, die erst kürzlich in der Galerie Peithner-Lichtenfels GPLcontemporary in Wien ausgestellt waren, stockt einem der Atem: Es ist ein Staunen, eine Bewunderung über die Erweiterung des Möglichen. Um mehr über die Arbeiten und die künstlerische Herangehensweise zu erfahren, haben wir mit Nina und Torsten Römer ein aufschlussreiches Interview geführt.
Wo habt ihr euch kennengelernt und wie und wann habt ihr als Künstlerkollektiv Römer + Römer schließlich zusammengefunden?
TORSTEN RÖMER: Am 15. Februar 1998 haben wir uns in der Kunstakademie Düsseldorf während der Jahresausstellung (Rundgang) der Hochschule kennen gelernt. Nina stellte damals als Gasthörerin von A. R. Penck und ich als Student von Siegfried Anzinger Bilder aus. Auf Ninas Frage, ob ich ihr erklären könne, wie ich arbeite, reagierte ich mit der Bemerkung, sie solle doch bitte einen toten Hasen mitbringen, dem ich dann meine Bilder erklären kann. Dies war natürlich eine Anspielung auf Joseph Beuys, den wohl bekanntesten Professor der Akademie, der bis zu seiner Entlassung 1972 in Düsseldorf gelehrt hatte. Ich hatte an dessen Performance »Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt« (Galerie Schmela, Düsseldorf, 1965) gedacht. Nina kam eine Stunde später zurück und brachte anstatt des Hasen ein tief gefrorenes Huhn mit – ein Multiple, das sie einem Kommilitonen für 5 DM abgekauft hatte. Seit der Abschlussparty des Rundganges waren wir dann ein Paar fürs Leben und in unserer Kunst. Im Jahr 1999 zogen wir zusammen in eine Wohnung in Köln und mieteten in der Nähe dann auch ein gemeinsames Atelier an. Nach einer anfänglichen »Testphase« beschlossen wir Jahr fortan alle Werke gemeinsam anzufertigen und zu signieren. Seitdem sind keine getrennten Arbeiten mehr entstanden, so wie wir auch unsere anderen Aktivitäten zum Beispiel Performances oder das Kuratieren von Ausstellungen immer zusammen machen. 1999 sind wir im Studium als Künstlerpaar zu A. R. Penck in die Klasse gewechselt und 2000 sind wir noch während des Studiums nach Berlin umgezogen und reisten danach zu den Klassentreffen immer nach Düsseldorf an. Penck lebte damals in Dublin. Er mochte sehr, dass wir zusammenarbeiten, stellte uns ein gemeinsames Formular für unsere Meisterschülertitel aus und den Studienabschluss machten wir 2003 in der Klasse mit einer gemeinsamen Ausstellung. Ich denke, unsere Ost-West-Verbindung erschien Penck auch interessant (Nina kommt ursprünglich aus Moskau und ich aus Westdeutschland). Seine Klasse war sehr international mit zahlreichen Studentinnen und Studenten aus Osteuropa und der ehemaligen Sowjetunion. In Kürze erscheint übrigens ein Buch im Kettler Verlag über die Penck Klasse, an dem wir auch mitgearbeitet haben.
Habt ihr diesen, euren ganz eigenen Malstil der Verpixelung, also der Aneinanderreihung und Überlagerung der Farbpunkte, gemeinsam entwickelt?
NINA RÖMER: Unseren Malstil haben wir über die Jahre gemeinsam immer weiterentwickelt. In der Anfangszeit der Zusammenarbeit gab es sehr verschiedene Ansätze von komplett abstrakten Werken und verschiedenen Bildkonzepten und Arbeitstechniken. Zu Beginn haben wir eher abwechselnd an den Bildern gearbeitet und dann aber immer mehr gleichzeitig zusammen, wie es heute generell der Fall ist.
Ihr denkt euer Motiv in Bildpunkten?
NINA RÖMER: Die Bildpunkte sind ein wichtiger Teil unserer Werke, aber erst in dem Zusammenspiel von gemalten Flächen und »Pixeln« entstehen die gegenständlichen Motive, die von der Nähe in eine abstrakt wirkende Anmutung zerfallen.

Euer Stil sorgt für einen hohen Wiedererkennungswert – ein Werk von Römer + Römer bleibt in Erinnerung und der Stil kann eindeutig zugeordnet werden. War das beabsichtigt oder ist der hohe Wiedererkennungs-wert eine zufällige »Nebenwirkung«?
TORSTEN RÖMER: Mit der Zeit haben wir immer mehr eine Bildästhetik gefunden, die uns zusagt und innerhalb derer wir auch immer neue Aspekte ausloten können. So war unsere letzte Bildserie über das amerikanische »Burning Man Festival« vor allem eine Auseinandersetzung mit nächtlichen Lichterscheinungen und wie wir diese in Ölfarbe und gesprayten Flächen bannen.
Gibt es, bezogen auf eure künstlerische Arbeit, Vorbilder, die euch in irgendeiner Form geprägt haben?
NINA RÖMER: Ich denke, wir sind von vielen verschiedenen Künstlerinnen und Künstlern aus verschiedenen Zeiten geprägt worden. Zu nennen wären dabei Jan Vermeer van Delft und andere holländische und flämische Künstler seiner Zeit, der amerikanische Realist Edward Hopper, der sowjetische Konzeptmaler Erik Bulatov und das Performance-Künstlerpaar Abramovic und Ulay.
Euer Werk schließt viel mehr ein als die reine Malerei. Euer Schaffens-prozess beginnt mit den Reisen rund um die Welt, der Teilnahme an Festivals und Partys (Karneval von Rio, Burning Mann …), stets auf der Suche, den einen Moment, die eine Atmosphäre mit der Digitalkamera einzufangen. Mit welchem Blick nähert ihr euch dem Geschehen, um das Wesentliche zu entdecken?
TORSTEN RÖMER: Aus unserer Beschäftigung mit der Performancekunst lenkte sich Anfang der 2000er Jahre unser Blick auf das Vergängliche und Performative in verschiedenen Lebenssituationen und ‑welten. So erscheint es uns spannend, verschiedene »temporäre Gemeinschaften« zu beobachten und in unserer Malerei zu thematisieren. Dabei nähern wir uns den Situationen mit einem offenen Blick an ohne schon vor-her genau zu wissen, was für unsere Malerei dabei relevant sein wird. Das ergibt sich dann erst in dem Prozess, wo wir tausende Fotos der er-lebten Situationen anfertigen und später in einem mehrstufigen Prozess das entstandene Bildmaterial analysieren und reflektieren, was für uns am Interessantesten für die Umsetzung in Malerei erscheint. Am Computer entstehen dann viele Entwürfe dafür.
In euren unterschiedlichen Werkserien kann man feststellen, dass es häufig um Motive geht, die dynamisch sind, um Menschen, die in Bewegung, im Gespräch oder im Austausch miteinander sind. Geht es euch hier auch um ein sozialkritisches oder politisches Statement?
NINA RÖMER: Es ist bei den verschiedenen Bildserien immer et-was unterschiedlich, was uns daran jeweils am meisten interessiert. So haben wir zum Beispiel vor vielen Jahren einen Nachmittag am Stadtstrand der koreanischen Stadt Busan erlebt. Die in Schuluniformen gekleideten Jugendlichen waren sehr ausgelassen im Wasser und am Strand. Wir haben uns entschieden, darüber eine Bildserie zu erstellen, bei der der Blick aufs Meer das Verbindende ist, so dass man in der Ausstellung aller gleich hohen Formate der Serie das Gefühl hat, vom Meer umgeben zu sein. Das ist der eher sinnliche Aspekt, aber es gab auch einen politischen. Das Meer wird meist bezeichnet als »Japanisches Meer«, aber in verschiedenen Bildtiteln haben wir dann die alternativen Bezeichnungen für das Meer als »Ostmeer«, »Meer des Friedens« oder Meer der Freundschaft« gegeben, wobei die Beziehungen zum Nachbarland Japan thematisiert werden. Bei dem Karneval in Rio fanden wir es spannend, dass neben dem offensichtlichen Party-Aspekt auch starke sozialkritische oder politische Anliegen eine Rolle spielen. Viele Sambagruppen kommen aus den ärmeren Gegenden, den Favelas und zum Karneval feiern dann alle zusammen mit den Menschen aus den wohlhabenderen Bezirken. Jede Sambagruppe hat ein Jahresthema und jeder einzelne Wagen sogar auch eine eigene Thematik. In dem Jahr, als wir dort waren, war zum Beispiel die Geschichte der Sklaverei in manchen Teilen sehr drastisch dargestellt worden.
Ihr macht eindeutig auch den Drang zu Visualisierung in der multimedialen Welt zum Thema – ihr bringt ein digitales Foto zurück in einen analogen Zustand. Schafft aus den schnelllebigen und reizüberflutenden Bildwelten, in denen wir Dank Instagram & Co leben, etwas Langlebiges (Ewiges), das sich nur auf den einen wesentlichen Moment konzentriert und diesen voll auskostet. Wird einem das bewusst, so blickt man auf diese Werke mit Ehrfurcht und ertappt sich als Betrachter*in dabei, wie oberflächlich man mit »Bildern« umgeht. Wie erlebt ihr das bei euren Ausstellungen mit eurem Publikum?
TORSTEN RÖMER: Uns wird oft sehr viel Respekt dafür entgegengebracht, dass wir so aufwendig und geduldig unsere Energie und Lebenszeit zur Umsetzung derart flüchtiger Momente einsetzen. Die Betrachterinnen und Betrachter reflektieren über den Sinn dieses entschleunigenden Aktes und die damit verbundene Achtsamkeit unserer »Lebenswelt« gegenüber.

Ausgehend von der Bildrecherche und dem geeigneten Motiv, das euch als digitale Datei vorliegt, gibt es dann weitere Schritte in dem Prozess bis hin zum finalen Kunstwerk? Könnt ihr uns diese bitte erklären?
NINA RÖMER: Ausgehend von den am Computer erstellten Entwürfen beginnen wir die Bilder mit großflächigen Untermalungen und gesprühten Flächen. Die Untermalungen sind bei unserer aktuellsten Bildserie über das »Burning Man Festival« mit einigen sehr dünn lasierend gemalten Farbflächen angelegt, aus denen später das Licht heraus zu leuchten scheint. Mit immer detaillierteren Übermalungen kommen wir nach und nach zur immer gegenständlicher erscheinenden Umsetzung mit den Farbpunkten, die wir mit sehr kleinem Pinsel auftupfen.
Was ihr macht, ist vom Ablauf her auf den ersten Blick alles andere als spontan. Dennoch könnte man meinen, dass ihr es schafft, spontane unwiederholbare Momente, ähnlich der Historienmalerei, für nachkommende Generationen festzuhalten. Gibt es im Schaffensprozess ab und zu Augenblicke, in denen ihr mit Spontaneität spielt, in denen spontane Bauchentscheidungen eine Rolle spielen?
TORSTEN RÖMER: Wir treffen recht komplex die Entscheidungen darüber, welches Bild, welcher Ausschnitt davon in welcher Größe und Farbigkeit gemalt werden. Die Authentizität der Situation ist für uns wichtig, auch wenn wir manches collagieren bzw. zusammenfügen.
Spontane Entscheidungen gibt es selbstverständlich auch, was beispielsweise den Farbauftrag betrifft. So sind manche Flächen gesprüht, gerollt oder frei gepixelt, um ein Farbrauschen zu erzielen.
Ihr verbringt sehr viel Zeit miteinander, malt beide zugleich an einem Werk. Gibt es da auch manchmal Konfliktpotenzial oder Spannungen – und wie geht ihr damit um?
NINA RÖMER: Wenn wir bei manchen Dingen mal unterschiedlicher Meinung sind, wird ausdiskutiert. Wir werden oft gefragt, ob wir beide unsere Bilder immer gleich gut finden und das ist natürlich nicht der Fall. Wenn einem von uns ein Motiv/Thema überhaupt nicht zusagt, wird es nicht umgesetzt. Aber jeder/jede von uns hat trotzdem andere »Lieblingsbilder«. Wenn wir Fotos durchschauen, ist es manchmal der Fall, dass eine/einer von uns ein Plädoyer für ein Motiv hält, damit es »bildwürdig« wird. Die Selektion kann manchmal sehr lange dauern. Wir haben recht unterschiedliche Temperamente und denken, dass sie sich ganz gut zusammenfügen.

Eure Serien entstehen im Laufe mehrerer Jahre, ihr benötigt viel Zeit für die Entwicklung und malerische Umsetzung. Es handelt sich um ein Kunstschaffen, dessen Kraft im Detail liegt. Wie kommt ihr mit dem schnelllebigen Kunstmarkt zurecht?
TORSTEN RÖMER: Uns persönlich kommt der Kunstmarkt nicht so drastisch schnelllebig vor. Wir haben so über die Jahre einen gewachsenen und sich erweiternden Kreis von Menschen, die unsere Arbeit schätzen, sei es als Sammler, Galeristen, Kuratoren oder Künstler. Wir arbeiten immer weiter an unseren Themen und wollen uns nicht abhängig machen von kurzfristigen Trends und Moden. Wir zielen darauf ab, dass unsere Arbeit nachhaltig ist. Die Kunstwelt und der Kunstmarkt an sich haben schon teilweise erstaunliche Auswüchse, von denen wir uns nicht beirren lassen wollen.
Während der Pandemie sind große Festivals ja ausgefallen – wart ihr dennoch auf Bildrecherche? Gibt es ein Projekt, an dem ihr aktuell arbeitet?
NINA RÖMER: Ja, wir haben ein neues Projekt, an dem wir arbeiten und wofür wir auch auf Recherche gegangen sind, aber das wollen wir jetzt noch nicht verraten. Die Ergebnisse werden dann demnächst in einer Ausstellung zu sehen sein.
Auf welche zukünftigen Ausstellungsprojekte dürfen wir uns freuen?
TORSTEN RÖMER: Wir hatten gerade eine Einzelausstellung bei Georg Peithner Lichtenfels (GPLcontemporary) in Wien. Er möchte neben den folgenden Aktivitäten in der Stadt unsere Werke im kommenden Jahr auch auf Kunstmessen zeigen. Seit Anfang dieses Jahres arbeiten wir erfolgreich mit der Schweizer Galerie Urs Reichlin (Zug) zusammen, welche uns auch im kommenden Jahr präsentieren wird. Im Herbst 2022 ist eine Einzelausstellung in München bei Michael Heufelder geplant. Ansonsten sind mehrere Projekte in der Pipeline, welche noch nicht ganz spruchreif sind. Es ist insgesamt sehr erfreulich, dass nach Corona die Kunstwelt wieder zum Leben zu erwachen scheint. Die uns vertretende Galerie Lachenmann Art (Frankfurt/Konstanz) hat uns mit einer großen Einzelausstellung letztes Jahr in den schwierigen Zeiten zwischen zwei Lockdown-Phasen präsentiert und realisiert aktuell auf unsere Initiative hin eine sehenswerte Ausstellung mit unserer ehemaligen Klasse A. R. Penck in Frankfurt mit über 50 Künstlerpositionen.
Was wünscht ihr euch als Künstlerduo für die fernere Zukunft – gibt es eine Vision, der ihr folgt?
NINA UND TORSTEN RÖMER: Wir möchten, dass Kunst und Kultur als absolut systemrelevante Bereiche die Gesellschaft weiter zum Besseren verändern können und möchten mit unseren eigenen Aktivitäten als Menschen – Künstler – Kuratoren dazu beitragen.
Dankeschön für diese wunderbaren Einblicke in eure facettenreiche Lebens- und Arbeitswelt.
Mit Spannung blicken wir auf die kommenden Projekte.