Auf den Couture-Spuren einer modeaffinen Stilikone der Neunziger
Renate Hirsch Giacomuzzi war nicht nur in den 1990er Jahren, sondern ist bis heute, nach beinahe 10-jährigem »Todesjubiläum«, eine außergewöhnlich inspirierende Figur der europäischen Haute Couture Szene. Madame Hirsch war eine rare und zugleich authentische Modeikone. Ihre Mode-Affinität machte die Stilikone, mit jener hinreißenden Marilyn Monroe Ausstrahlung, zu ihrem Lebensinhalt, welche schließlich zu ihrer Leidenschaft und einer unfassbar faszinierenden Modesammlung führte. Bereits bei Eintritt in das Modearchiv, oder vielmehr in das Modeparadies von RenateHirsch, spürt man die turbulente Energie der Neunziger Jahre, welche sie zwischen Supermodels wie Naomi Campbell, Claudia Schiffer und Kate Moss verbrachte.

Die sogenannte Ära der Supermodels war für die Mode- und Runway Industrie revolutionierend und sorgte für einen weltweiten Image-Boost von zahlreichen europäischen Designhäusern. Einflussreiche Frauen und Supermodels wie Claudia Schiffer, Stephanie Seymour oder Linda Evangelista wurden wie Superstars gefeiert, bekamen als Belohnung ihrer Laufstegerfolge Filmrollen und wurden zu Musikvideo-Protagonistinnen sowie Markenbotschafterinnen. Zurück zu einer raren Stilpersönlichkeit – Renate Hirsch: Ihre Modeaffinität und ihren ausdrucksstarken Kleidungsstil als Spiegel ihrer verspielten Seele, entdeckte Madame Hirsch bereits in ihrer Kindheit. Aufgewachsen in einer Familie von Textilherstellern in der Nähe von München, pflegte sie schon in sehr jungen Jahren ein besonders enges und vor allem ein ungemein vertrautes Verhältnis zum Kosmos der Stoffe sowie der Kleiderproduktion. Hirschs Sohn Leander erinnert sich: »Ihr Herz brannte für edle Stoffe, ausgefallene Verzierungen, Swarovski-Glitzersteine, farbenfrohe Hüte, und dazu passende Schuhe mit Absatz. Ein Look war nur dann perfekt, solange Muster übereinstimmten und Farbschattierungen präzise harmonierten.
Als ehemaliges Model für den italienischen Designer Gianfranco Ferré, war Renate Hirsch mit Modegrößen wie Gianni Versace oder Valentino Garavani persönlich befreundet; zu ihren Lieblingsdesignern zählten unter anderem die beiden französischen Modeschöpfer Yves Saint Laurent und Jean Louis Scherrer, welche sie regelmäßig in den Pariser Ateliers besuchte. Neben den Haute Couture Präsentationen in der französischen Metropole zählte Madame Hirsch auf dem Wiener Opernball, den Salzburger Festspielen und dem Filmfestival in Venedig zu den gern gesehenen und geladenen Stargästen. Am roten Teppich war sie stets von Fotografen umringt, und für jede mondäne Veranstaltung wurde ein neues und glanzvolles Kleid maßgefertigt.
Wer jedoch das Glück hatte, Frau Hirsch persönlich kennenzulernen, der erlebte hautnah, wie sehr jene theatralischen Selbstinszenierungen Teil ihres Alltags waren; Frau Hirsch und ihr hollywood-ähnliches Leben in jenen prunkvollen Atmosphären, auf roten Teppichen und zwischen weltweit famosen Filmstars, spiegelte, eine harmonische Symphonie sowie eine nostalgische Sehnsucht nach der Schönheit und Eleganz einer verträumten Galaxie, wider. Ihr glanzvolles Leben ähnelte von außen einem Filmskript; in Wahrheit verkörperte ihr reines Wesen jedoch, wie in einem Orchester, einen sanften Rhythmus, im Rahmen einer bemerkenswerten und zugleich eleganten Dramaturgie. Sie war quasi die Erfinderin der Hauptrolle ihres selbst kreierten Films, welcher originelle Präsenz und hoffnungsgebende Buntheit vermittelte.
Renate Hirsch war es nämlich durch das genuine Tragen und Sammeln der maßgeschneiderten und exklusivsten Haute Couture Roben gelungen, eine bewegte Lebhaftigkeit und eine individualisierte Seele, anhand der Kleider, zu verkörpern. Täglich befasste sie sich mit der Materie und den Designs, welche sie in den Showrooms von Paris und Mailand betrachtete und nicht selten auch erwarb. Dadurch trennten sich die Kleider von der Abstraktion und Kunsthaftigkeit einer reinen »Zur-Schau-Stellung« und flossen in eine Sphäre der Lebendigkeit und Greifbarkeit über. Vom morgendlichen Frühstückstisch, bis hin zu sportlichen Schwimmaktivitäten am Nachmittag und abendlichen Gala-Dinners lebte Madame Hirsch ihr einzigartiges Modebewusstsein in einem stilsicheren und filmreifen tableaux-vivant aus.
Neben der Mode war sie außerdem von der Kunst der Fotografie angetan; das Medium der Fotografie lernte Renate Hirsch vor allem mit und durch Brigitte Niedermair, ihrer persönlichen Fotografin, kennen und schätzen. Niedermair beschränkte ihre Arbeit nicht auf die bloße Repräsentation oder fiktive Dokumentation der stilvollen Etappen, sowie mondänen Auftritte, zwischen St. Moritz, Paris und Wien; vielmehr begleitete sie Madame Hirsch durch ihren edlen Alltag und nahm an familiären Festlichkeiten teil. In den hyperrealistischen und zugleich surrealen Portraits und Momentaufnahmen, welche wie »film stills« wirken, steht Frau Hirsch im erforschten Blickwinkel. Der Zuseher scheint jedoch, genau wie die Fotografin, am Bild und am Alltag von Lady Hirsch teilzunehmen.
Die Bilder mögen ein Spiel zwischen Fiktion und Wirklichkeit andeuten; doch erinnert sich Hirschs Sohn Leander G. sehr gut an den authentischen und greifbaren Lebensstil seiner Mutter. Regelmäßig begleitete er sie auf Reisen; auf der Suche nach der nächsten und aktuellsten, maßgeschneiderten Mode. Dabei war Renate Hirsch voll und ganz in ihrem Element, und blieb ihrem kreativen und experimentierfreudigem Stil stets treu. So sehr Renate Hirsch große und namhafte Modeschöpfer kannte und schätzte, wünschte sie, ihre erworbenen Kleidungsstücke sehr bald zu personalisieren; diese Neigung zur eigenen künstlerisch-kreativen Entfaltung führte Mitte der 1990er Jahre zur Realisierung ihrer eigenen Kreationen durch die Anfertigung einer Reihe von Kleidern, Hüten sowie Taschen nach den fantasievollen Vorstellungen von Frau Hirsch. Bei den Entwürfen und deren Ausführungen, in Zusammenarbeit mit einer Kostümbildnerin der Münchener Oper, legte Madame Hirsch besonders auf grazile Details und glanzvolle Verzierungen wert. Auf der Suche nach hochwertigen und einzigartigen Stoffen, begab sich die Stilikone unter anderem auf eine Reise nach Indien und lernte dort Stofflieferanten persönlich kennen. Dass Renate Hirsch gerne mit der Mode ihrer Zeit spielte, und diese auch nicht allzu ernst nahm, dürfte kein Geheimnis sein. So verwandelte sie beispielsweise zwei Handtücher der Künstlerin Niki de Saint Phalle in eine sensationelle Handtasche. Ihrer Kreativität setzte sie keine Grenzen, und ihre freien Gestaltungen schmückte sie mit einer großen Portion Neugier und Lebenslust, angetrieben von den inspirierenden Erfahrungen und Reisen. Ihr Sohn versteht heute, dass sie den Sinn für Ästhetik in den Farben und Nuancen des Alltagslebens suchte und dort auch fündig wurde. So erzählt er in einem Gespräch: »Ich erinnere mich sehr gut, wie sich meine Mutter primär an Farbpaletten orientierte; auf einem Spaziergang in den Schweizer Bergen knipste sie beispielsweise ein Foto eines Sonnenunterganges und verwendete jenen orange-roten Farbton als Basis für das nächste selbst entworfene Kleid. Sie war von der Welt und der Natur fasziniert, und darum fand sie in jedem kleinsten Detail eine Form der Schönheit. Niemals ging sie unbewusst durch die Straßen von Paris und niemals bereiste sie ferne Länder, ohne sich dabei inspirieren zu lassen. Ihre Augen waren stets auf der Suche nach einem märchenhaften Wunder.
In der Tat erzählt jedes einzelne Sammlerstück der Modeikone eine Fabel.
Curated Couture by Judith Bradl