Ihre vergänglichen Kunstwerke sind eine Liebeserklärung an Kambodscha
Aufgewachsen in den Slums außerhalb von Phnom Penh, arbeitet Mariya Un Noun heute als Chef de Cuisine für die kambodschanische Küche im Smiling Gecko Farmhouse Resort and SPA. Die Mutter zweier kleiner Mädchen begann dort ihre Laufbahn als Küchenhilfe und fiel mit ihrer großen Leidenschaft für das Kochen und ihrem natürlichen Talent schnell auf. Smiling Gecko ermöglichte ihr einen Besuch der Hotelfachschule Luzern und Trainings bei Schweizer Spitzenköchen, wie Andreas Caminada. Die junge Kambodschanerin lässt die lokale Küche auf ihre eigene kreative Weise aufblühen und entwickelt die Gerichte intuitiv und mit ihrem individuellen Gespür für hochwertige lokale Zutaten. Wir erreichen Hannes Schmid, den Gründer von Smiling Gecko in Kambodscha, und er ermöglicht es uns, aus der Ferne mit Unterstützung von Dolmetschern ein Interview mit Mariya Un Noun zu führen.

Welche Elemente prägen Ihrer Ansicht nach die Esskultur in Kambodscha?
MARIYA UN NOUN: Das ist schwer zu beantworten, da sich eine richtige Esskultur in Kambodscha erst wieder etablieren muss. Die Roten Khmer haben während ihrer Schreckensherrschaft alles zerstört, was sie als westlich und dekadent erachtet haben. Essen wurde zur reinen Nahrungsaufnahme degradiert. Aber ich bin zuversichtlich, dass sich das gerade ändert. Und ich bin froh, wenn ich ein Teil dieser Kultur sein darf.
Was macht die typische kambodschanische Küche aus? Welche Zubereitungsarten und Produkte stehen im Vordergrund?
In der kambodschanischen Küche dreht sich alles um Aromen. Die verwendeten Produkte unterscheiden sich dabei nicht so sehr von denen, die wir aus anderen Küchen Südostasiens kennen. In der Zubereitung und was das Würzen angeht, haben wir jedoch eine ganz eigene Philosophie und Komplexität. Während zum Beispiel in Thailand viele Gerichte wahnsinnig scharf sind, ist die kambodschanische Küche sehr mild und damit gerade für Europäer auch deutlich besser verträglich. Vielleicht kennen Sie Kampot-Pfeffer, der im Südwesten Kambodschas auf einem schweren, mineralischen Lehmboden wächst. Seine fruchtig sanfte Schärfe ist einzigartig und zurecht gehört er zu den teuersten der Welt.
Welches Erlebnis/Gefühl möchten Sie Ihren Gästen mit Ihrer Küche vermitteln?
Außerhalb Kambodschas ist die Khmer Küche wenig bis gar nicht bekannt. Das möchte ich ändern, um den Menschen so gleichzeitig die Schönheit und Natürlichkeit meiner Heimat näher zu bringen. Jeder Teller, jedes Gericht ist eine Liebeserklärung an Kambodscha. An die wundervollen Menschen, die hier leben, an die Kultur, die so lange verschüttet war. Sind Sie schon in Kambodscha gewesen? Sie müssen kommen. Und bringen Sie viele Freunde mit. (lacht)
Wie intensiv setzen Sie sich mit den Lebensmitteln und ihrer Herkunft auseinander? Wie wichtig ist Ihnen beispielsweise der Austausch mit dem Farmer und dem Fischer, um die Produkte besser zu verstehen?
In einem armen Land wie Kambodscha ist die Suche nach qualitativ hochwertigen Grundstoffen und Zutaten eine echte Herausforderung. Man kann nicht einfach in ein Geschäft gehen, um Lebensmittel zu kaufen. Jedenfalls nicht, wenn diese eine gewisse Qualität haben sollen. Für das Farmhouse produzieren wir darum auf dem 150 Hektar großen Smiling Gecko Campus die Lebensmittel – wo immer möglich – selbst. Wir ernten unser eigenes Bio-Gemüse, haben eine eigene Fisch- und Hühnerzucht und mästen sogar unsere Schweine und Rinder zum großen Teil auf dem Gelände. So können wir sicher sein, garantiert keine Pestizide oder Antibiotika im Essen zu haben. Bei Lebensmitteln, die wir nicht selbst produzieren können, haben wir mittlerweile ebenfalls ein Netzwerk an verlässlichen Lieferanten aufgebaut. Das hat Jahre gedauert, kann ich Ihnen sagen.
Welche Rolle spielt dabei die Natürlichkeit der Produkte? Und wie gelingt es Ihnen, diese Natürlichkeit in der Verarbeitung und für das Auge beizubehalten?
Wie gerade schon gesagt, sind wir in der komfortablen Situation, von unserer Farm großartige Grundprodukte zu bekommen. Sie schmecken fantastisch und meine Passion ist es, daraus etwas Feines zu kochen ohne das Wesen der Produkte zu verändern. Ich will authentische Gerichte, die auch so aussehen. Natürlich habe ich auch gerne schönes Geschirr und dergleichen. Aber es bleibt für mich nur die Leinwand, für das, was uns die Natur schenkt. Und von der ich das Glück habe, es zubereiten zu dürfen.
Wann ist Ihr Traum geboren, Köchin zu werden? Wie haben Sie zu dieser Leidenschaft gefunden bzw. gab es einen
Auslöser?
Wissen Sie, ich bin ein Kind aus den Slums. Wenn ich mich an das Essen meiner Kindheit erinnere, dann fällt mir als erstes ein, dass es nie genug war. Meine Großmutter und meine Mutter kochten das, was es gerade gab. Einfache Khmer Gerichte für einfache Leute. In so einem Umfeld denkt man nicht daran, Köchin zu werden. Ich jedenfalls nicht. Ich wurde früh verheiratet und arbeitete in einer Fabrik. Das Leben mit meinem damaligen Mann war die Hölle und mein Leben fing eigentlich erst an, als ich durch einen glücklichen Zufall über einen Freund zu Smiling Gecko auf den Campus kam. Dort wurde ich zur Küchenhilfe. Eines Abends gab es ein großes Essen, bei dem auch der Gründer von Smiling Gecko, Hannes Schmid, anwesend war. Die Küchenchefin war voll ausgelastet und ich bot ihr an, eines meiner Khmer Gerichte zu kochen. Das muss ich wohl gut gemacht haben. Jedenfalls kam Hannes Schmid zu uns in die Küche und fragte mich, ob ich am nächsten Tag wieder für ihn kochen würde. Das tat ich und von da an änderte sich mein Leben total. Smiling Gecko beantragte einen Pass für mich und zwei Monate später saß ich im Flugzeug in die Schweiz, um mich an der Hotelfachschule in Luzern ausbilden zu lassen. Ohne Deutsch oder auch nur Englisch sprechen zu können, aber mit dem unbedingten Willen, eine gute Köchin zu werden. Es war wie im Traum. Ich durfte mit Franck Giovannini kochen und dann mit Tino Staub im Hotel Widder in Zürich. Ich wurde zur Gastköchin im Palace in Gstaad und im Chedi in Andermatt. Und als wenn das nicht schon alles verrückt genug gewesen wäre, wurde auch noch Andreas Caminada auf mich aufmerksam. Auch unter ihm durfte ich mehrfach kochen und so bin ich nun also das, was ich bin: Executive Chefin der Küchen im Farmhouse Resort. Unglaublich, oder?
Das klingt wirklich wie im Märchen. Aber natürlich wissen wir, welche harte Arbeit dahintersteckt. Heute sind Sie ein Vorbild für viele andere Kambodschanerinnen. Woraus haben Sie diese Kraft geschöpft, nach vorne zu blicken und die Chance zu ergreifen?
In Kambodscha bekommt ein einfaches Mädchen wie ich leider noch viel zu selten eine Chance. Aber wenn, dann hast du die Verpflichtung, sie zu nutzen und dann musst du auch ein Vorbild sein. Für deine Familie und eben auch für all die jungen Frauen, die noch auf ihre Chance warten. Schon alleine, damit sie nicht wirklich warten, sondern aktiv werden. Davon bin ich überzeugt und so gestalte ich mein Leben außerhalb der Küche. Ich habe in den Sozialen Medien mehr als eine Million Follower. Ich lasse sie an meinem Leben teilhaben, damit sie sehen: Es lohnt sich, eine Ausbildung zu machen, ehrgeizig zu sein. Das Glück wird dir nicht auf dem Silbertablett serviert, du musst es suchen.
Sie haben eindeutig Talent – wann ist Ihnen das richtig bewusst geworden?
An dem denkwürdigen ersten Abend mit Hannes Schmid dachte ich noch: Komisch, ich kann doch gar nicht kochen. Ich mache doch nur das, was meine Mutter oder meine Großmutter in dieser Situation auch gemacht hätten. Aber nachdem ich mit immer mehr Spitzenköchen arbeiten durfte und von ihnen gelobt wurde, wusste ich dann schon: Irgendwas machst du wohl richtig und scheinbar hast du Talent, denn eine langjährige Ausbildung hatte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht und habe ich letztlich ja heute auch noch nicht.
Für Sie war es stets wichtig, von anderen zu lernen. Mit wem standen Sie schon in der Küche und gibt es Chefs, die Sie inspirieren?
Das erste Mal vollkommen aus dem Häuschen war ich, als ich zu Franck Giovannini in die Küche durfte. Die schiere Größe hat mir den Atem verschlagen. Dort arbeiten mehr als 20 Köche und wie hier mit dem Essen umgegangen wird: sagenhaft. Meine größte Inspirationsquelle ist aber sicher Andreas Caminada. Er hat eine einmalige Gabe, aus dem Nichts unglaubliche Kreationen zu zaubern. Wie er sie auf dem Teller präsentiert, da bekomme ich eine Gänsehaut. Ein Rockstar unter den Spitzenköchen und vor allem – ein ganz feiner Mensch.
Bei Smiling Gecko pflegt ihr aktive Kooperationen mit Schweizer Institutionen – auch was die Küche angeht. Was können Sie uns darüber erzählen?
Genau. Smiling Gecko ist sehr gut vernetzt und davon profitieren wir natürlich auch im Farmhouse, das innerhalb der Organisation unter anderem als größter Ausbildungsbetrieb eine Sonderstellung einnimmt. So haben wir zum Beispiel eine Kooperation mit »Fundaziun Uccelin«, der Organisation von Andreas und Sarah Caminada, die regelmäßig talentierte Jungköche zu uns schicken, damit wir voneinander lernen. Victorinox unterstützt uns und auch V‑Zug fördert Smiling Gecko und mich ganz persönlich, indem sie uns ihre unglaublichen Küchengerätschaften zur Verfügung stellen. Ganz neu werde ich auch von Mercedes Benz gefördert. Ich werde dort demnächst kochen und bin schon sehr gespannt darauf. Vielleicht bekommen wir ja irgendwann mal einen Bus für das Team. Oder einen Transporter, dann können wir mit dem zum Markt fahren.
Sie sind im Farmhouse Resort die Chefin in der Küche, tragen Verantwortung für Ihr Team. Was ist Ihnen in Sachen Teamführung wichtig?
Der Philosophie von Smiling Gecko folgend, rekrutieren wir den Großteil unseres Teams hier aus der Region, um ihnen eine Ausbildung zu ermöglichen, mit der sie irgendwann für sich und ihre Familien sorgen können. Praktisch alle stammen also aus einfachsten, bildungsfernen Verhältnissen. Niemand, der im Farmhouse anfängt, hat zuvor schon mal auf einem gewissen Niveau in einer Küche gearbeitet. Das macht die Teamführung recht anspruchsvoll und ich muss viel Zeit in die Weitergabe der Basics investieren. Das kann man sich in Europa vielleicht nicht vorstellen, aber wenn man aus einem Land stammt, in dem es eigentlich keine wirkliche Schulbildung gibt, muss man manche Sachen eben nicht nur drei Mal, sondern zwanzig Mal erklären.
In einem Interview meinten Sie einmal, dass Sie aus dem Herzen kochen. Wir sind überzeugt davon, dass Kochen und Essen sehr viel mit Emotionen zu tun hat und dass die Herzensebene ausschlaggebend dafür ist, dass es schmeckt und dem Körper guttut. Spüren Sie das in der Interaktion mit Ihren Gästen?
Ich koche nicht nur mit dem Herzen, ich packe auch all meine Liebe in meine Gerichte. Ich lasse unsere Gäste gerne an meinen Gefühlen teilhaben und es ist mir eine große Freude, sie mit auf eine kulinarische Reise durch Kambodscha zu nehmen. Die Restaurants im Farmhouse sind dafür der perfekte Ort, weil auch die Umgebung inmitten unserer Plantagen und mit dem angrenzenden Dschungel so viel über meine Heimat erzählen.
Sehen Sie Parallelen zwischen Küche und Kunst und wenn ja, welche? Haben Sie persönlich schon mit Künstlern zusammengearbeitet?
Sind nicht alle großen Köche auch Künstler? Ich finde schon. Ab einem gewissen Niveau ist Kochen ganz sicher eine Kunstform, die gleich mehrere Sinne anspricht. Sie ist gleichermaßen visuell, olfaktorisch und sensorisch. Hannes Schmid, der ja nicht nur Gründer von Smiling Gecko ist, sondern auch ein sehr berühmter Fotokünstler, sagt immer, wie sehr er mich dafür beneidet, dass ich mit meinen Gerichten vergängliche Kunstwerke auf die Teller zaubere, die ich jeden Tag aufs Neue erfinden kann und muss. Wenn er ein Bild macht, ist es irgendwann fertig und lässt sich nicht mehr verändern.
Welche Projekte stehen in nächster Zukunft für Sie an?
Wir arbeiten aktuell an einem Kochbuch und sind auch in der Planung eines Foodorientierten Lifestyle-Magazins für den südostasiatischen Markt. Aber am wichtigsten ist natürlich, dass ich weiterhin so oft und so viel wie möglich selbst in der Küche stehe. Denn nur durch Kochen, Kochen, Kochen kann ich besser werden. Und das ist mir, ehrlich gesagt, am wichtigsten.