Regisseur. Visionär. Schauspieler. Theatergründer. Lehrender.
Er hat das Regietheater modernisiert, reformiert, revolutioniert. Er stellte den Schauspieler von der Rampe in das Zentrum der Bühne, verlangte Opernsängern schauspielerisches Können ab. Er setzte neue Maßstäbe, ob auf der Bühne, beim Film oder bei Großrauminszenierungen. Er war ein Besessener der Darstellungskunst. Die Heranbildung einer jungen Generation von Theaterleuten durch eine umfassende Ausbildung war ihm ein wesentliches Anliegen. Sein Einfluss ist bis heute spürbar.
Max Reinhardt wird am 9. September 1873 als ältestes von sieben Kindern des Wiener jüdischen Textilkaufmannes Goldmann in Baden bei Wien geboren. Er wächst in bescheidenen Verhältnissen auf. Nach einer kurzen Banklehre und anschließendem Schauspielunterricht, seinem Wiener Debüt als Siebzehnjähriger an einem privaten Theater und einigen kleineren Engagements, wird er 1893 und 1894 am Stadttheater, dem heutigen Salzburger Landestheater, engagiert. Dort stellt er mit Vorliebe alte Männer dar denn: „da konnte ich meine Schüchternheit hinter einem langen weißen Bart verstecken.“ Karriere macht er in Berlin. Er wird 1894 Ensemblemitglied am Deutschen Theater Berlin, wo er ebenfalls im Rollenfach „alter Mann“ besetzt. 1901 gründet er zusammen mit einigen Kollegen die Kleinkunstbühne „Schall und Rauch“, das spätere „Kleine Theater“, übernimmt dessen Leitung 1903. 1905 erfolgt die Übernahme der Direktion des Deutschen Theaters. Im selben Jahr eröffnet er eine Schauspielschule, 1906 die Kammerspiele im Deutschen Theater.

Gott hat die Welt erschaffen, aber der Mensch hat sich eine zweite Welt erschaffen, die Kunst.
1910 heiratet Reinhardt die erfolgreiche Schauspielerin Else Heims (1878–1958), seit 1896 ebenfalls Ensemblemitglied im Deutschen Theater. Er hat bereits aus einer anderen Beziehung eine uneheliche Tochter, als seine Söhne Wolfgang und Gottfried geboren werden. Mit dem österreichischen Schriftsteller Hugo von Hofmannsthal verbindet ihn seit 1903 eine Freundschaft. Dessen Mysterienspiel „Jedermann“ inszeniert Max Reinhardt am 1. Dezember 1911 im Berliner Zirkus Schumann. Als Vorlage diente Hofmannsthal das englische „Everyman A Morality Play“ und Elemente aus der „Comedi vom reichen sterbenden Menschen“ von Hans Sachs sowie Lieder des Mittelalterlichen Minnegesanges. Um die besondere Stimmung früherer Zeiten zu erzeugen verfasst er das Stück in Versen einer erfundenen mittelalterlichen Sprache. Von Gerhard Hauptmann als „literarische Bijouterie“ beurteilt, hinterlässt es dort keinen bleibenden Eindruck.
Richard Strauss holt Reinhardt 1911 für die Uraufführung des „Rosenkavaliers“ nach Dresden. Der junge Bühnenreformer, der als Mann des leuchtenden und klingenden Theaters gilt, soll helfen, denn der ursprünglich mit der Inszenierung beauftragte Regisseur Georg Toller war der Aufgabe, den Sängern hohe schauspielerische Fähigkeiten abzuverlangen, nicht gewachsen. Reinhardt darf jedoch wegen dem starken antisemitischen Ressentiment an der Dresdner Hofoper die Bühne nicht betreten, sondern erteilt seine Regieanweisungen aus der Kulisse heraus. Auch wird sein Name im Programmheft nicht erwähnt. Mit dem überwältigenden Erfolg der Uraufführung des „Rosenkavaliers“ festigt Reinhardt seinen Ruf als Begründer eines neuen Regietheaters. Seine Großrauminszenierungen mit riesiger Bühnenmaschinerie mit zahlreichen Statisten werden nun auch auf zahlreichen Tourneen präsentiert, die durch Europa und die USA führen. Die Leitung der Berliner Volksbühnen übernimmt er 1915 bis 1918. Gegen Ende des ersten Weltkrieges entsteht die Idee, durch Friedensfestspiele Österreich, zumindest auf dem Gebiet der Kunst, wieder zu Europas Zentrum zu machen. Aus dem Brief an den Schriftsteller Ferdinand Künzelmann, April 1917: „Mein Ziel ist: das was ich in mehr als zwei Dezennien geschaffen, erneuert, herangebildet habe, mit dem, was sonst in deutschen und österreichischen Landen an zeitgemäßen Kräften erblüht ist, zusammenzufassen, und sie alle. Dichter, Musiker, Schauspieler, Sänger, Maler, Regisseure, an einem schönen Ort, abseits vom Alltagsgetriebe der Großstadt zu einem lebendigen, die höchste Kultur des heutigen Theater repräsentierenden Organismus wachsen zu sehen.“
Am Zenit seines Erfolges angelangt, kauft er im Sommer 1918 das Schloss Leopoldskron in Salzburg und verlässt ein Jahr später seine Familie für die sechzehn Jahre jüngere Helene Thimig, welche er bereits 1913 kennen gelernt hatte. Zusammen mit Hugo von Hofmannsthal, dem Komponisten Richard Strauss, dem Bühnenbildner Alfred Roller und dem Wiener Hofoperndirektor Franz Schalk gründet Reinhardt 1920 die Salzburger Festspiele. Als Schauspiel wählt Reinhardt „Jedermann“ von Hugo von Hofmannsthal, als Spielort den Platz vor der prachtvollen Fassade des barocken Salzburger Doms. Diese Regieidee wird von dem aufgeschlossenen Salzburger Erzbischof Ignaz Rieder unterstützt, der auch das von Reinhardt erbetene Orgelspiel und Glockengeläute genehmigt. Zum Dank verzichten die Beteiligten auf Tantiemen und Gage und der Reinerlös der Aufführungen wird verschiedenen wohltätigen Zwecken zugeführt.
Am 22. August 1920 findet die erste Aufführung statt. Sie beginnt bei Sonnenschein, als der Tod auftritt fallen erste Schatten auf den Domplatz und bei der Grablegung Jedermanns senkte sich die Abenddämmerung über die Stadt. Hofmannsthal schreibt 1920: „Wie ein Selbstverständliches wirkten die marmornen fünf Meter hohen Heiligen, zwischen denen die Schauspieler hervortraten und wieder verschwanden, wie ein Selbstverständliches die Rufe „Jedermann“ von den Türmen der nahen Kirche, von der Festung herab, vom Petersfriedhof herüber. wie ein Selbstverständliches das Dröhnen der großen Glocken zu Ende des Spiels, das Hineinschreiten der sechs Engel ins dämmernde Portal, die Franziskanermönche, die von ihrem Turm herunter zusahen, die Kleriker in den hundert Fenstern des Petersstiftes, wie ein Selbstverständliches das Sinnbildhafte, das Tragische, das Lustige, die Musik.“
In seinen Wohnsitz Schloss Leopoldskron investiert Reinhardt in den nächsten Jahren ein Vermögen, denn die ehemalige Sommerresidenz von Salzburgs kunstsinnigen Erzbischof Leopold Anton Firmian (1679–1744) befand sich nach einigen Eigentümerwechseln in einem sehr schlechten Zustand. Er will hier ein neobarockes Gesamtkunstwerk schaffen, geeignet für glanzvolle Empfänge und private Theaterproduktionen. Diese finden im Park, im Gartentheater, am Weiher aber auch im Schloss statt. Schauspieler und Publikum, darunter Europas Hoch-und Geldadel, Mäzene, Politiker, bedeutende Schriftsteller, Komponisten und Theaterproduzenten, wandern dabei von einem Raum in den nächsten. Die Nichte des späteren Reichspräsidenten Paul von Hindenburg, die Schriftstellerin und Berliner Salonniere Helene von Nostitz (1878–1944), schreibt in ihren Erinnerungen: „Ich entsinne mich noch eines Reinhardtschen Festes, zu dem mich Hofmannsthal mitgenommen hatte. Schöne Frauen, dunkel und blond, saßen auf breiten Sesseln um einen Tisch, bedeckt mit rosa Rosen, auf die ein matter Kerzenschein fiel. Die Regie, der diese Gruppierungen gehorchten, war fühlbar – und überzeugend. Denn nicht nur die Bühne, auch das Leben verlangt mitunter das Zusammenraffen von Spannung und Schönheit auf einem begrenzten Raum“
Reinhardts Theater Imperium vergrößert sich 1923 um das Wiener „Theater in der Josephstadt“ und um die Schauspiel- und Regieschule in Wien, das bis heute bestehende Max-Reinhardt-Seminar. Reinhardt brennt für das Theater, einer seiner ersten Assistenten, der spätere Bühnenbildner, technische Direktor der Staatsoper/Volksoper und Mitbegründer der Bregenzer Festspiele, der Augsburger Walter von Hoesslin, wird dieses Feuer als Professor mehr als 60 Jahre an die Studenten weiter geben. Aus seinen deutschen Betrieben zieht sich Reinhardt 1932 zurück, 1933 gibt er auch die Direktion des Theater an die Wien ab. Die ihm von den Nationalsozialisten angebotene „Ehren – Arierschaft“ lehnt er ab und bereitet seine Emigration vor. Ende August 1934 reist Reinhardt erstmals seit den 1920er Jahren wieder nach Amerika. Am 21. Mai 1935 bewirbt er sich in Los Angeles/Hollywood, wo schon seine beiden Söhne Wolfgang und Gottfried mit ihrer Mutter leben, um die Bürgerschaft der USA. Im Juni 1935 heiratet er, nach einem mehr als 16 Jahre langen zermürbenden Scheidungskrieg, in Reno Helene Thimig.
Europa verlässt er für immer 1937. „Der Entschluß, mich endgültig vom Deutschen Theater zu lösen, fällt mir naturgemäß nicht leicht. Ich verliere mit diesem Besitz nicht nur die Frucht einer 37-jährigen Tätigkeit, ich verliere vielmehr den Boden, den ich ein Leben lang gebaut habe und in dem ich selbst gewachsen bin. Ich verliere meine Heimat.“ Schloss Leopoldskron wird als „volks- und staatsfeindliches Vermögen“ sofort nach dem Anschluss 1938 von der Gestapo beschlagnahmt, wertvolle Kunstobjekte u.a. die gesamte Bibliothek werden abtransportiert. Aus einem Brief Max Reinhardts 1943 an seine Frau Helene Thimig aus New York. „Ich habe achtzehn Jahre in Leopoldskron gelebt, wirklich gelebt, und ich habe es lebendig gemacht. Ich habe jedes Zimmer, jeden Tisch, jeden Sessel, jedes Licht, jedes Bild gelebt. Ich habe gebaut, gezeichnet, geschmückt, gepflanzt und geträumt davon, wenn ich nicht da war. (…) Ich habe es immer feiertäglich geliebt; nie als etwas Alltägliches. Es waren meine schönsten, reichsten und reifsten Jahre. (…) Ich habe es verloren, ohne zu jammern. Ich habe alles verloren, was ich hineingetragen habe. Es war der Ertrag meiner Lebensarbeit.“
In den USA gründet Reinhardt 1938 die Theater- und Filmakademie: „Max Reinhardt Workshop for Stage, Screen and Radio“. 1940 erhalten er und seine Frau die amerikanische Staatsbürgerschaft. An seine frühen amerikanischen Triumpfe als „Bühnenmagier“ kann Reinhardt jedoch nicht mehr anknüpfen. Es fehlt auch an Kapital: Zitat: „Jetzt bin ich seit fünfviertel Jahren hier und suche Geld für schön Sachen. Aber die Leute stecken es lieber in die „Lustige Witwe“. Dabei kann einem schon das Lachen vergehen…Der Rest ist Kreide.“ Am 9.Oktober 1943, dem Tag des Jom Kippurfestes, verbringt er, der dem Katholizismus mit seiner barocken Pracht immer zugetan war, einige Stunden in der Synagoge. Zitat: „..ich bin ein gottgläubiger und im eigentlichen Sinn frommer Mensch. Seit meiner Kindheit finde ich im Auf und Nieder des Lebens mein inneres Gleichgewicht immer wieder im Gebet.“ Verarmt und enttäuscht stirbt er erst 70zigjährig am 31. Oktober 1943 in einem Hotelzimmer in New York an den Folgen mehrerer Schlaganfälle. Sein Grab befindet sich im Westchester Hills Cemetery in Hastings-on-Hudson, New York.