Die Stiftsbibliothek von Neustift

Neustift besitzt eine gros­se Kir­che mit kost­ba­rem Ornat und eine gute Büche­rei. So beschreibt der Augs­bur­ger Domi­ni­ka­ner Felix Faber 1483 das Augus­ti­ner Chor­her­ren­stift Neu­stift bei Bri­xen, als er auf sei­nem Weg ins Hei­li­ge Land dort Halt macht. Die Biblio­thek stellt tat­säch­lich seit dem Spät­mit­tel­al­ter bis heu­te die größ­te und bedeu­tends­te Klos­ter­bi­blio­thek im Tiro­ler Raum dar und dies, obwohl sie im Zuge des Bau­ern­kriegs 1525, auf­grund meh­re­rer Brän­de und durch die vor­über­ge­hen­de Klos­ter­auf­he­bung zu Beginn des 19. Jahr­hun­derts gro­ße Ver­lus­te erlit­ten hat. Claus­trum sine arma­rio qua­si castrum sine arma­men­ta­rio: wie eine Rüst­kam­mer zu einer Burg gehört, zäh­len die Bücher zur Grund­aus­stat­tung eines jeden Klosters.

1142 von Bischof Hart­mann nur weni­ge Kilo­me­ter von sei­nem Bischofs­sitz Bri­xen ent­fernt erbaut, ent­wi­ckel­te sich Neu­stift schon bald zu einem bedeu­ten­den spi­ri­tu­el­len und kul­tu­rel­len Zen­trum. Zur Fei­er der Lit­ur­gie, zum gemein­sa­men und per­sön­li­chen Gebet, zur Tisch­le­sung und für die seit 1160 nach­weis­ba­re Klos­ter­schu­le war eine statt­li­che Bücher­samm­lung im Haus unab­ding­bar. Teil­wei­se als Geschen­ke dem Stift über­las­sen, teil­wei­se käuf­lich erwor­ben bzw. bei Lohn­schrei­bern in Auf­trag gege­ben, viel­fach aber von den Chor­her­ren selbst geschrie­ben, nahm die Anzahl der Bücher sehr rasch zu. Die größ­te Blü­te­zeit erleb­te die stifts­ei­ge­ne Schreib­stu­be im 15. Jahrhundert.

Reich mit Minia­tu­ren geschmück­te und in kal­li­gra­phi­scher goti­scher Tex­tu­ra geschrie­be­ne Hand­schrif­ten legen hier­von bered­tes Zeug­nis ab. Im Auf­trag des Props­tes Niko­laus Scheyber (1439–49) ent­stan­den zwei umfang­rei­che Gra­du­al­bän­de in Groß­fo­lio-For­mat (ca. 70 x 50 cm), die nur als Team­ar­beit in einem gut funk­tio­nie­ren­den Skrip­to­ri­um rea­li­siert wer­den konn­ten. Die Her­stel­lung der gro­ßen Per­ga­ment­bö­gen, die Zube­rei­tung der schwar­zen Eisen­gal­lus­tin­te sowie der ver­schie­de­nen Far­ben aus Pflan­zen und Mine­ra­li­en setz­te umfang­rei­che Kennt­nis­se vor­aus. Der Augus­ti­ner Chor­herr Fried­rich Zoll­ner, der eigens hier­für aus dem Stift Lan­gen­zenn bei Nürn­berg nach Neu­stift kam, war als Schrei­ber tätig; zahl­rei­che, nament­lich lei­der nicht näher bekann­te Hän­de ver­voll­stän­dig­ten das Prunk­werk mit Fleu­ro­née-Initia­len und Deck­far­ben­ma­le­rei, die sich durch gro­ße Detail­freu­de aus­zeich­net. Auf eine dün­ne Boluss­chicht auf­ge­tra­ge­nes Blatt­gold ver­lieh dem lit­ur­gi­schen Buch, das mehr als vier Jahr­hun­der­te in Ver­wen­dung sein soll­te, den bis heu­te fas­zi­nie­ren­den fest­li­chen Charakter.

Die Erfin­dung des Buch­drucks um 1450 soll­te die Her­stel­lung und Ver­brei­tung von Tex­ten revo­lu­tio­nie­ren. Dank der ver­kehrs­tech­nisch äußerst güns­ti­gen Lage am Kreu­zungs­punkt zwei­er wich­ti­ger Rei­se- und Han­dels­rou­ten des alpi­nen Raums, aber nicht zuletzt wohl auch wegen sei­ner guten Ver­net­zung mit ande­ren Klös­tern im süd­deut­schen Raum konn­te sich Neu­stift sehr rasch mit neu­en Büchern ein­de­cken. Nicht weni­ger als 820 Wie­gen­dru­cke wur­den allein bis 1500 ange­schafft. Bestimm­te Bücher wur­den aber wei­ter­hin von Hand geschrie­ben, galt doch das Bücher­schrei­ben als beson­de­rer „Got­tes Dienst“. Bekann­tes­tes Bei­spiel ist das vom Neu­stif­ter Chor­herrn Ste­fan Stet­ner 1524 im Auf­trag des Props­tes Augus­tin Posch (1519–27) geschrie­be­ne Mess­buch, das zu den wert­volls­ten Hand­schrif­ten im Tiro­ler Raum zählt. Das üppi­ge Fleu­ron­née sowie die orna­men­ta­len und figür­li­chen Initia­len mit rei­chem Rand­de­kor in Deck­far­ben­ma­le­rei zu den hohen Fest­ta­gen im Kir­chen­jahr gehö­ren gemein­sam mit den zwei ganz­sei­ti­gen Minia­tu­ren „zu den Spit­zen­wer­ken der süd­deut­schen Renais­sance“ (M. Roland).

Der enor­me Bücher­zu­wachs, der Wunsch nach Reprä­sen­ta­ti­on und der Anspruch, dem baro­cken Selbst­ver­ständ­nis zu ent­spre­chen, erfor­der­ten im 18. Jahr­hun­dert eine Ver­grö­ße­rung der Biblio­theks­räum­lich­kei­ten. Propst Leo­pold de Zan­na (1767–87) ließ im Süden des Stifts­ho­fes einen Neu­bau auf­füh­ren: Bau­meis­ter Giu­sep­pe Sar­to­ri aus Sac­co bei Rover­eto, einer der bes­ten Tiro­ler Archi­tek­ten sei­ner Zeit, errich­te­te in den Jah­ren 1771–78 einen dop­pel­stö­cki­gen Saal mit umlau­fen­der Gale­rie. Hans Mus­sack aus Sis­trans bei Inns­bruck stat­te­te den Saal (11 x 23 m) mit rei­chen Stu­cka­tu­ren in Weiß und Gold aus, die ihm einen äußerst fest­li­chen Cha­rak­ter ver­lei­hen. Dazu tra­gen auch die auf­wän­di­gen Por­ta­le mit Intar­si­en, der Natur­stein­bo­den in Weiß, Schwarz und Rot mit Mit­tel­ro­set­te und ins­be­son­de­re die 42 jeweils mit einem geschnitz­ten Titel­auf­satz ver­se­he­nen Wand­schrän­ke bei. Sel­ten­heits­wert haben auch die im Ori­gi­nal erhal­ten geblie­be­nen vier­flü­ge­li­gen Fens­ter mit Blei­ver­gla­sung. Ins­ge­samt wer­den in die­sem Saal etwa 20.000 Bücher auf­be­wahrt, wei­te­re ca. 76.000 Bän­de sind in den Neben­räu­men unter­ge­bracht. Sie doku­men­tie­ren bis heu­te die jahr­hun­der­te­al­te Bedeu­tung des Stif­tes als kul­tu­rel­les Zen­trum und Bil­dungs­stät­te mit gro­ßer Strahl­kraft weit über die Lan­des­gren­zen hinaus.

Augus­ti­ner Chor­her­ren­stift Neustift
Stift­stra­ße 1
I–39040 Vahrn (Süd­ti­rol)
Tel. +39 0472 836189
www.kloster-neustift.it

Beitrag teilen
geschrieben von

Studium der Geschichte und der Deutschen Philologie in Innsbruck und Besançon, Frankreich. Danach Forschungsassistentin an der Universität Innsbruck. Seit 2014 wissenschaftliche Mitarbeiterin im Augustiner Chorherrenstift Neustift.

0
    0
    Warenkorb
    Consent Management Platform von Real Cookie Banner