Plamen Dejanoffs Bronze House war 2018 auf dem Alexander-Batten-berg-Platz in Sofia aufgestellt und löste eine öffentliche Kontroverse aus. Ein Jahr später waren davon nur mehr die Bodenbefestigungen zu sehen. Im Blick zurück mag die Heftigkeit der Auseinandersetzung erstaunen: Die zwölf Meter hohe modulare, selbsttragende Konstruktion aus über 2000 Einzelelementen in Bronzeguss ist Architektur, Skulptur und Denkmal gleichermaßen. Material und Konstruktion strahlen Wertigkeit aus und schreiben sich damit in weit zurückreichende Traditionen der Bildhauerei ein.
AUSGANGSPUNKT UND ÖFFENTLICHE KONTROVERSE
Der Künstler Plamen Dejanoff ist in Veliko Tarnovo geboren und studierte in Sofia und Wien Bildhauerei. Der Künstler beschäftigt sich seit langer Zeit, auch in anderen Werkserien, mit traditionellen Bauweisen und deren Einfluss auf die internationale Moderne. Damit verbindet Dejanoff zeitgenössische Kunst mit dem kulturellen Erbe eines Landes, das über Jahr-hunderte von enormer geostrategischer Bedeutung war und sich heute an der Peripherie der europäischen Union befindet. Die aufeinander folgenden EU-Präsidentschaften Bulgariens und Österreichs boten 2018 einen willkommenen Anlass, das Bronze House in Sofia aufzustellen – ganz im Sinne eines grenzüberschreitenden europäischen Projekts.
Der Alexander-Battenberg-Platz bot sich in mehrfacher Hinsicht an: Im Herzen von Sofia gelegen, ist er eng mit der Nationalgeschichte Bulgariens verbunden – wie bereits der Name des Platzes deutlich macht. Alexander von Battenberg wurde 1879 zum ersten Knjaz (Fürsten) des Landes gewählt. In den Königspalast zog nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs die Nationale Kunstgalerie. Auf dem Platz wurde 1949 das Mausoleum des ersten kommunistischen Führers des Landes, Georgi Dimitrow, errichtet und nach dem Zerfall des sozialistischen Bulgariens 1999 gesprengt. Mehrere Festivals und der Weihnachtsmarkt machen den Alexander-Battenberg-Platz heute zu einem der belebtesten Plätze in Sofia.

Das Bronze House aktivierte gleichermaßen Fragen nach der Geschichte, dem kulturellen Gedächtnis und der Zukunft von Kunst im öffentlichen Raum sowie nach dem gesellschaftlichen Stellenwert von Kunst und Öffentlichkeit.
Die Aufstellung eines Kunstwerks an diesem historisch wichtigen Ort wurde von den einen als Zumutung begriffen, von anderen als willkommene und längst schon überfällige Setzung begrüßt. Dass zeitgenössische Kunst im öffentlichen Raum in Bulgarien generell einen schweren Stand hat, liegt nicht zuletzt an strukturellen Lücken: Es fehlt an rechtlichen Rahmenbedingungen, Ausschreibungen und Beteiligungsmöglichkeiten für Künstler*innen. Entsprechend wurde begleitend zur Dauer der Aufstellung des Bronze House eine mehrmonatige Diskussionsreihe ins Leben gerufen, die sich Kunst im öffentlichen Raum und öffentlicher Kunst, Verschiebungen in den Auffassungen von Öffentlichkeit und Veränderungen in den Vorstellungen von Kunst widmete. Diese Reihe wurde von Vanessa Joan Müller und der Kunsthalle Wien konzipiert. Die öffentlichen Auseinandersetzungen um das Bronze House fielen teilweise sehr heftig aus und reichen bis in die Gegenwart. In sämtlichen Medien des Landes wurde berichtet, diskutiert, Stellung dafür oder dagegen bezogen. Das Bronze House aktivierte gleichermaßen Fragen nach der Geschichte, dem kulturellen Gedächtnis und der Zukunft von Kunst im öffentlichen Raum sowie nach dem gesellschaftlichen Stellenwert von Kunst und Öffentlichkeit.
FOUNDATION REQUIREMENTS
Auf den ersten Blick scheint Dejanoff beim Bronze House einem klassischen – um nicht zu sagen – konventionellen Kunst- und Werkbegriff zu folgen. Dies trifft auch auf ein weiteres Projekt zu, das ebenfalls in Bulgarien seinen Ausgangspunkt genommen hat: Foundation Requirements.
Im Zuge eines Restitutionsverfahrens wurden der Familie Dejanov vom bulgarischen Staat ein Wohnhaus aus dem 15. Jahrhundert, ein Badehaus aus dem 16. Jahrhundert in Arbanassi sowie drei Häuser aus dem 17., 18. und 19. Jahrhundert in Veliko Tarnovo, restituiert. Zusammen mit 18.000 historischen Dokumenten zur Geschichte Bulgariens, 190 Werken zeitgenössischer Kunst, mehr als 2.000 Büchern über Kunst, Architektur, Mode, Film und Design wurden diese Gebäude in eine Stiftung eingebracht. Sie bilden die Grundlage für das Kunstprojekt Foundation Requirements. Weil es in Bulgarien weder eine entwickelte Infrastruktur für zeitgenössische Kunst noch nennenswerte öffentliche oder private Unterstützung gibt, ist es das Ziel der 2010 gegründeten Kunststiftung, zeitgenössische Kunst in der öffentlichen Wahrnehmung Bulgariens zu verankern und spezifische Projekte – wie etwa Bronze House oder Foundation Requirements – umzusetzen. Die Stiftung wird von einer Reihe von Institutionen und Privatpersonen unterstützt – darunter auch von Bernhard Hainz.
Veliko Tarnovo und Arbanassi sind nicht nur mit der Biografie Dejanoffs eng verbunden, sondern auch mit der Geschichte Bulgariens. Sie sind im Grunde bis heute Teil einer nationalen Erzählung, die immer wieder überschrieben wurde. Jährlich reisen hunderttausende Tourist*innen an diese Orte, deren Bedeutung einem auf Schritt und Tritt begegnet. Überraschen mag hingegen das Interesse Le Corbusiers an den kubisch schlichten wie reich dekorierten Holzhäusern. Er besuchte als Student 1911 unter anderem Bulgarien. In Skizzen hielt er die mittelalterliche, von traditioneller Handwerkskunst geprägte anonyme Architektur in Veliko Tarnovo und Arbanassi fest. Dejanoff hat diese Zeichnungen 2001 in der Fondation Le Corbusier in Paris entdeckt, während seiner Recherchen für seine Einzelausstellung im Palais de Tokyo 2002.
Wie der berühmte Architekt der Moderne, war auch der Künstler Dejanoff von der sogenannten »Stecktechnik« fasziniert, die heute noch in vielen alten Gebäuden – und eben auch in jenen von Dejanoff – zu finden ist. Sie liegt sowohl den Skulpturen der Foundation Requirements, aber auch dem Bronze House zugrunde. Dabei werden die einzelnen Teile nur durch Holzstifte und ‑winkel zusammengehalten. Diese Technik wird heute kaum mehr eingesetzt, ihre Ausführung ist einfach zu aufwendig und teuer.

ÄSTHETISCHE UND KONZEPTIONELLE STRATEGIEN
Ich habe bereits erwähnt, dass vor allem die »bulgarischen Projekte« den Anschein erwecken können, Dejanoff würde einen klassisch-konventionellen Kunst- und Werkbegriff bedienen. Dieser Eindruck trügt. Denn die Wahl der Materialien beziehungsweise die jeweilige Präsentations-weise der Objekte ist ästhetischen und strategischen Entscheidungen des Künstlers gleichermaßen geschuldet. Es geht nicht alleine um die Artefakte selbst, sondern auch um Umstände und Entscheidungen, die zu den Objekten führen und um Ereignisse und Diskurse, die von ihnen ausgelöst werden. Auf das gesamte Werk Dejanoffs übertragen bedeutet dies: Auseinandersetzungen mit der Zirkulation von Kunstwerken, Kunstmarkt, Ausstellungsroutinen, Kunstbegriffen, Vorstellungen von der Rolle des Künstlers (des »Künstler-Seins«), und nicht zuletzt mit Branding-Strategien von Werk, Künstler und auch Orten sind Bestandteil des Gesamtœuvres. Dieses Interesse umfasst darüber hinaus rechtliche Rahmenbedingungen, PR und Finanzierungsmodelle. Dazu gehört letztlich auch die Gründung seiner Stiftung. Das mag zunächst verwirrend klingen.
Sowohl Bronze House als auch Foundation Requirements stehen in engem Zusammenhang mit dem zeitgenössischen internationalen Kunstbetrieb. Im Rahmen verschiedener Ausstellungen von Dejanoff wurde etwa immer wieder ein Element für das Bronzehaus gefertigt, wobei die entsprechenden Kunstinstitutionen und Kunstgalerien auch die Finanzierung übernahmen. Bis zur Realisierung in Sofia war das Bronze House eine fragmentierte internationale »Wanderskulptur« – so bezeichnete Vanessa Joan Müller das Werk vor seiner Aufstellung in Sofia. Auch bei Foundation Requirements zirkulieren vom bulgarischen Kontext losgelöste Architekturfragmente – wie Wände, Fußböden, Türleibungen usw. Mit ihrer Machart, Materialität und Dekorativität verweisen sie auf einen abwesenden, entfernten Ort und auch auf eine andere Zeit. Damit gelingt es Dejanoff, Aufmerksamkeit für kulturelle Traditionen und alte Handwerkstechniken zu erzeugen. Nicht nur außerhalb Bulgariens, sondern – für ihn ganz wesentlich – im Land selbst.
Dessen reiches kulturelles Erbe – schon damals mit der Welt eng verflochten und in Austausch – dringt nur sehr langsam ins öffentliche Bewusstsein der Bulgar*innen. Das meiste, das man vor Ort zu sehen bekommt, ist stark folkloristisch überformt. Dejanoff geht es in seinen Projekten nicht um Authentizität, sondern darum, Konstruktionen und Bautraditionen sprichwörtlich freizulegen – in den Ausstellungen, aber auch mit seinen Interventionen in den Gebäuden vor Ort. Er möchte diese künftig öffentlich zugänglich machen und ebendort Ausstellungen zu ihrer Geschichte sowie zur zeitgenössischen Kunst zeigen. Dejanoff sucht mit Bronze House und Foundation Requirements nicht zuletzt einen öffentlichen Diskurs darüber anzuregen, ob es tatsächlich noch ein Hotel, ein Restaurant oder einen Souvenirshop in Veliko Tarnovo und Arbanassi braucht, beziehungsweise ob es nicht an der Zeit ist, der Baukultur selbst mehr Stellenwert einzuräumen.
Dejanoff nutzt also Strukturen und Mechanismen eines globalisierten Kunstbetriebs, um mit seinen Stiftungsprojekten Aufmerksamkeit für Handwerkstraditionen, seine Projekte vor Ort, aber auch für eine Region zu erreichen, die von eben diesem Kunstbetrieb abgekoppelt ist. Umgekehrt fordert er den zeitgenössischen Kunstbetrieb mit seinen Objekten heraus, die mit dem Dekorativen und Traditionellen flirten, aber doch streng konzeptuell angelegt sind.
Dieser Artikel ist in der Printausgabe collector’s choice edition SAMMLUNG HAINZ erschienen.
Foto ganz oben: Plamen Dejanoff, The Bronze House, 2018, Alexander Battenberg Square Sofia, In Collaboration with Kunsthalle Vienna, Courtesy the artist, LAYR Vienna, Photo: Daniel Nenov, © Plamen Dejanoff Foundation & Kunsthalle Vienna