Friedrich Gurschler
Schafe sind Symbole des Guten und Schafe sind für Friedrich Gurschler stets treue Begleiter in seinem Leben und seiner künstlerischen Kreativität. Fast lebenslang schnitzt Gurschler an seinen zwei großen Krippen. Sie sind wie Lebensbilder: reliefartig der Krippenberg mit einem Netzwerk von Gängen und Höhlen, vollplastisch die kleinen, bunt bemalten Statuetten der Menschen und Tiere. Da werden seine Herkunft aus dem Schnalstal und seine Bindung an die Kultur des Vinschgau bewusst. Die „Verbindungen von Göttlichem und Irdischem, von Mensch und Tier“ (Cescutti, 1978) sind die Prämissen für Gurschler, der 1923 in Unsere Liebe Frau in Schnals in Südtirol geboren wurde.
Gurschlers Skulpturen sind in ihrer Dimension von geschlossener Kontur und kompaktem Volumen, von sinngebender Prägnanz und kreativer Modellierung − und durch seine sensible Beobachtungsfähigkeit und ein gefühlvolles Streben nach Bewegung und Statik immer als Teil der ganzen Schöpfung erfahrbar. Eine tiefe Ehrlichkeit vor dieser Schöpfung ist ihm stets ein großes Anliegen. Friedrich Gurschler ringt in seiner Bilderwelt mit den unmittelbar in der Natur vorgegebenen Motiven, verleugnet nicht die Nähe zur Realität, aber prägt ein neues, ihm eigenes Vokabular.

Er sucht mit Beharrlichkeit seinen Formwillen einzubringen und ihn mit dem Material eins werden zu lassen.
Im Blick zurück tritt der „Schmerzensmann“ (1969) als ein Orientierungsmonument für das sakrale Werk in Erscheinung, sparsam in der Formulierung, expressiv in der Wirkung, so stark reduziert wie später das Bildwerk „Die Mutter“ (1981), in deren Folge Bildnisse der Kinder und sein Konterfei in versunkener Pose entstehen. Gurschler hat seinen Formenkanonam stärksten im religiösen Bildwerk manifestiert: konzentriert auf die innere Schau und auf die Botschaft des Heils. Die seelische Spannung im „Schmerzensmann“ wird später in der archaischen Strenge im „Auferstandenen“ in Marling (1999) oder im „Gekreuzigten“ in Partschins (2002) augenscheinlich. In diesen Christusbildern lässt Gurschler seine Gläubigkeit, die Hoffnung auf Erlösung, die Sehnsucht nach einem Leben im Jenseits Wirklichkeit werden. Sein Werk strahlt volle Zuversicht aus. Mit einer sensiblen Formulierungsfreude gestaltet er den leidenden und den auferstandenen Christus. In der Reminiszenz auf die romanische Skulptur seiner Heimat schöpft er neue Formungen. Ihm gelingt es darin, die religiösen Botschaften in abstrahiert expressiver Weise wirksam werden zu lassen: Dies zeigen etwa die bemalten Holzreliefs der Kirchenausstattung in Rabland (1997) oder die „Pietà“ im Grabmal Engl in Bozen (2010). Signifikant für dieses Ideenvokabular ist die Stele „Schöpfung – Sündenfall – Erlösung“ in Partschins (1996). Eine Bildergeschichte mit viel Symbolik und realer Sinngebung. Diesen Bildwerken sind auch die in Holz geschnitzten Reliefs wie „Das Leben“ (2009) oder zeitlich zuvor der in Marmor gemeißelte Kreuzweg in Katharinaberg/Schnals (2005) nahestehend: Es sind einprägsame Szenen, die in der schlichten Bildsprache und in der illustrativen Detailmodellierung leicht lesbar sind. Die reliefgebundene Plastizität ist wie eine Antwort auf eine lineare Erzählung. Diese Formenvielfalt wird auch in der Kupfertreibarbeit „Die Geheimnisse des Hl. Rosenkranzes“ für die Kapelle zum Hl. Freinademetz in Reischach (2009) erlebbar. Diese Linearität findet man auch in seinen Holzschnitten, in denen er seine Motive – eben wie ein Bildhauer – direkt aus dem Holzstock herausschneidet.
Das Sujet „Tier“ begleitet Gurschler lebenslang in seiner bildhauerischen Arbeit. Die Spannung an der meist glatten Oberfläche und die expressiv knappe Kontur betonen das Verharren in der Statik, aber auch die jeweils charakteristischen Körperbewegungen. In schier heroischer Statik wacht das „Pferd“ in Schluderns (1990); die „Göttin der Musen“ (1992) mit der grazilen Riffelung der Haarsträhnen und das Gespann von „Pegasus II“ (1998) sind illustrativer modelliert, ohne dekorativ zu wirken. Ziege, Schaf, Steinbock, Hirsch und Reh, Murmeltier, Fuchs, Hund und Katze, aber auch in der Rückbesinnung auf seine Studien in Nürnberg Panther und Gepard sind seine Modelle in der Tierwelt. Ein weiteres Thema ist der Frau gewidmet: Die Frauen formuliert er einerseits in einer zierlichen, fragilen Körperlichkeit wie in der introvertierten „Tänzerin“ (2012), umschließt sie in einer erzählerischen Bildsprache wie in der „Lautenspielerin“ (1988) oder den „Musizierenden Frauen“ (2005, 2010) und findet im „Liegenden Akt“ (2010) zu einer stillen Präsenz, die auch Beklemmung hervorruft.
In allen Bereichen spürt man bei Gurschler seine Zielstrebigkeit, aus der handwerklichen Meisterschaft zu einer künstlerischen Prägung zu gelangen. In seiner natürlichen und dadurch eigentlich unspektakulären Begegnung mit den Materialien Holz, Stein, Marmor, Gips, Bronze oder Kupferblech erkennt er die vom Werkstoff vorgegebene Herausforderung und wird ihr auch in der Bearbeitung gerecht. Er sucht mit Beharrlichkeit seinen Formwillen einzubringen und ihn mit dem Material eins werden zu lassen. Zudem ist er immer wieder aufs Neue bestrebt, in der Modellierung zu einer noch stärkeren Reduzierung der Plastizität zu gelangen. Für Friedrich Gurschler ist sein Werk wie sein Leben. Viele Werke sind öffentlich zugänglich. Er sieht sich darin untrennbar mit der Tradition seines Lebensraumes verbunden und er meint selbst: „Mag sein, dass es vielleicht manchmal den Anschein hat, als wäre meine Arbeit an mittelalterliche Werke angelehnt, aber auch wenn es die romanische Kunst nicht gäbe, würde ich meine Figuren sicher genauso machen, wie ich es tue“ („das Fenster“, 1989).
In der sakralen Skulptur dringt Hoffnung ans Licht, formal ist seiner Figuration – dem Akt oder Porträt – stets Leben eingehaucht. Die innige Ve rbundenheit Gurschlers zu seiner Herkunft aus dem Schnalstal ist und bleibt eine wahrhafte Grundlage für sein Wirken, vor allem in der Demut vor der Schöpfung: „Denn Gurschler transportiert in seiner ungebrochenenGläubigkeit das Religiöse nicht ins Irdische und Menschliche, sondern er belässt es in der Größe und Feierlichkeit des Ewigen.“ (Cescutti, 1978)