LANGEN FOUNDATION – Ausstellung „Kausalkonsequenz“ Alicja Kwade
Die 2004 eröffnete Langen Foundation hat ihren Ursprung in der Sammlung der Stifterin Marianne Langen und ihres Mannes Viktor. Hierfür hat der japanische Architekt Tadao Ando ein Ausstellungshaus entworfen, das auf einer ehemaligen NATO-Basis inmitten der niederrheinischen Landschaft liegt und an die heutige „Raketenstation Hombroich“ als Teil des „Kulturraums Hombroich“ angegliedert ist. Die einzigartige Architektur der Langen Foundation entfaltet sich mit ihrem Raumkonzept als eine in die Natur eingebettete, dramaturgisch-spannungsvoll komponierte Skulptur. Die Japansammlung von Viktor und Marianne Langen ist in Umfang und Qualität einzigartig in Europa. Mit rund 350 Werken gibt sie einen repräsentativen Überblick über die japanische Kunst des 12. bis 20. Jahrhunderts. Die Sammlung umfasst nicht nur religiöse Kunst, sondern auch Keramiken der vorgeschichtlichen Jomon-Zeit und buddhistische Statuen der Nara- und Heian- Periode. Das breite Spektrum des Bestandes an Malerei reicht von Beispielen höfischer Malerei der Kano-Schule, über Werke renommierter Künstler*innen wie Maruyama Okyo (1733–1795) bis zur Genremalerei des 19. Jahrhunderts. Gemäß der persönlichen Ausrichtung des Stifterpaares widmet sich die Langen Foundation programmatisch dem Dialog der Kulturen des Ostens und Westens, und dies insbesondere in Auseinandersetzung mit der Gegenwartskunst.
Aktuell geschieht dies in der Ausstellung „Kausalkonsequenz“ der Künstlerin Alicja Kwade, die zu den wichtigsten bildenden Künstlerinnen ihrer Generation gehört. Ihre Werke finden internationale Beachtung und werden in Einzel- und Gruppenausstellungen weltweit präsentiert. So nahm sie 2017 an der Biennale in Venedig teil, in jüngster Zeit wurden u. a. die umfangreichen Einzelausstellungen LinienLand im Haus Konstruktiv, Zürich (2018), Out of Ousia in der Kunsthal Charlottenborg, Copenhagen (2018), In Between Glances im MIT List Visual Arts Center, Cambridge, Massachusetts (2019) und die vielbeachtete Installation ParaPivot auf dem Dach des Metropolitan Museums, New York (2019) gezeigt.
In intensiver Auseinandersetzung mit der klaren und Kontinuität ausstrahlenden Architektur der Langen Foundation hat die in Berlin lebende Künstlerin für diesen besonderen Ort eine Ausstellung konzipiert, die bis in das weitläufige Gelände hinein wirkt und den Übergang zwischen Innen und Außen betont. So wird zum ersten Mal die monumentale Treppe zur Gänze bespielt und zu einer in beide Richtungen lesbaren Zeitskala, bezeichnet als „Die Menge des Moments“. Kwades oftmals raumgreifende Installationen untersuchen Transitions- und Transformationsprozesse, unterschiedliche Daseins-Zustände und hinterfragen immer wieder unsere Wahrnehmung von Realität. Die Künstlerin versucht verschiedene Möglichkeiten einer vermeintlichen Realität aufzutun, die der*die Betrachter*in zu sehen glaubt – weil er*sie sie so gelernt und angenommen hat.

Ihrer Ansicht nach basiert die Realität auf gesellschaftlichen Vereinbarungen, auf Systemen. Es sind diese Systeme, die Kwade hinterfragt, wie eine Art Fragestellung von Wahrheiten. Zu jeder These, so die Künstlerin, gibt es eine Antithese, es existieren also viele Wahrheiten. Sie interessiert sich für das, was dazwischen liegt: Zwischen dem, was nicht mehr vorstellbar ist, und dem, was noch gedacht und gefühlt werden kann. Sie stellt Möglichkeiten parallel existierender Welten in den Raum und stellt damit den Raum selbst in Frage.
Die Skulpturen bestehen aus mehreren Teilen: Beispielsweise das Werk „88seconds“, ein Edelstahlring, der in neun Zuständen in einer bestimmten Zeitspanne als Skulptur dargestellt wird. Es werden 88 Sekunden eines physikalischen Objekts und dessen Möglichkeiten im Raum dargestellt. Die Werke können als Narration in Form einer Skulptur gesehen werden. Der Mensch als Bezugspunkt wird in den Installationen individuell und auch gesellschaftlich als Teil eines Gesamtgefüges betrachtet. Die Arbeiten Alicja Kwades basieren auf Konzepten von Raum, Zeit, Wissenschaft und Philosophie. Es sind vornehmlich skulpturale Objekte und öffentliche Installationen im Außenraum.
Besondere Bedeutung haben für Kwade pure Materialien wie Gold, Kupfer, Kohle, Stein und Holz sowie symbolisch aufgeladene Alltagsgegenstände wie Uhren und Lampen als Verweis auf Aspekte von Zeit, Energie und Materie. Sie kombiniert diese elementaren Materialien und kulturell geprägten objets trouvés in ihren konzeptuell-präzisen und immer auch poetisch-magischen Anordnungen. Es gelingt ihr dabei, das scheinbar Offensichtliche als trügerisch vorzuführen und die Wahrnehmung der Betrachter*innen zu irritieren. Beispielhaft dafür das Werk „Reality Slot“, das sich mit den Themen Natur, Wachstum und Systeme der Natur beschäftigt und bronzegegossene Äste und Wurzeln, die aus Edelstahlrohren sprießen, zeigt. Der Baum ist systematisch in sechs Teile unterschiedlicher Höhe unterteilt, wodurch seine logische und natürliche Ordnung gestört wird. Das Werk schafft einen Tunnelblick auf die Realität und stellt unsere begrenzte Wahrnehmung in Frage; das, was wir mit unseren begrenzten Sinnen als Realität akzeptieren.
Es fühlt sich wie eine Einladung an, den Versuch zu wagen, über unseren eigenen eingeschränkten Horizont hinaus zu schauen, denn der Idee der Parallelwelten folgend, kann sich ein und dasselbe Objekt auf viele verschiedene Arten und in verschiedenen Aggregatzuständen gleichzeitig verhalten und entwickeln.
Alicja Kwade, Kausalkonsequenz
bis 08.08.2021
Langen Foundation
Raketenstation Hombroich 1
41472 Neuss
www.langenfoundation.de