Ein Dialog mit Eglė Otto 

Aktuelle Ausstellung:
Verräumte Dekonstruktion: Neue Legenden
bis 29. Juli 2023 in der Galerie Melike Bilir

Wenn Eglė Otto (*1976 in Litauen) ein Buch liest, ist sie nicht passive Leserin, sondern führt ein Gespräch oder gar eine Debatte mit den Urheber:innen. Aktuell ist Bell Hooks dabei ihr Gegenüber, die in einer sehr direkten Art darüber spricht, was zwischen Mann und Frau funktioniert, wo Männer feministische Ideen unterstützt haben und dass jede Frau sich nach der Liebe eines Mannes sehnt. Für Otto ist das divergent: »Was? Ich frage mich doch, ob und wen ich liebe und nicht, wer mich liebt!« In ihrem künstlerischen Ausdruck bricht Eglė Otto gerne mit Dualismen. Sie malt sich von Fragestellung zu Fragestellung und zeigt weder den femininen noch den maskulinen Körper, sondern die Möglichkeiten dazwischen und darüber hinaus.

Eglė Otto: First Creatures, 2023, Öl auf Leinwand, 200 x 250 cm

 »Als kleines Mädchen hatte mich eine Frage extrem beschäftigt. Wo kommen wir her und wie kommen wir in diese Welt? Dass ein Mensch aus dem Körper gepresst wird, war undenkbar. Und ich hatte die klare Eingebung, mir ein Bild davon zu machen und arbeitete intensiv auf dem Papier. Als ich fertig war, war ich zufrieden, habe mich zugleich aber auch dafür geschämt. Mein Vater hat die Malerei gefunden und es gab Ärger. Ich habe etwas gemalt, das mir in meinem alter nicht zustand.« Damals lebte Eglė Otto noch in Litauen, weil die ursprünglich deutsche Familie ihres Vaters sich dort angesiedelt hat. ihr Vorname bedeutet übersetzt Tanne und kommt in einem Volksmärchen vor, in dem Eglė eine  Heldin ist. Als die Familie dann aus einer Gesellschaft des Mangels nach Deutschland übersiedelte, war Eglė zehn Jahre alt. Sie war sprachlos, zum einen, weil sie eine neue Welt entdeckte, und zum anderen, weil sie der Deutschen Sprache noch nicht mächtig war. »Ich kam aus einer Kultur, die dem Individuum ein Pflichtbewusstsein gegenüber der Gesellschaft predigte und die den Gedanken eines Kollektivs propagierte. Erst im Westen lernte ich die offene, kritische Debatte basierend auf humanistischen Ideen der Meinungsvielfalt kennen. Das hat mich sofort begeistert und ich wollte schnell die Sprache lernen, um mich daran beteiligen zu können.«

Über das Mal-Verbot des Vaters hat sich Eglė Otto hinweggesetzt. sie stellt sich mit den Mitteln der Kunst Fragen und arbeitet diese ab. Die Kunst wird Teil ihrer Identität und ist die einzige Vorstellungskraft, die für sie Sinn macht. Und diese Kraft führt sie dahin, stets weitere Erzählungen hinzuzufügen. »Mir war es wichtig Referenzen zu eruieren und aus der Betrachtung der vorhandenen Bilder unserer Kunstgeschichte ergab sich für mich offensichtlich eine Lücke und die wollte ich füllen. Wo etwas nicht erzählt wurde, bin ich eingestiegen«, so die Künstlerin. Sie forscht nach Referenzen in der Kunstgeschichte und zeitgenössischen gesellschaftlichen Themen, sucht nach Farben und Formen für ihre Erzählungen. »Wenn ich mich mit Körpern beschäftige, denke ich da-rüber nach, wie ich malerische Entscheidungen treffen kann, die ein Zugewinn sind. Eine eigene Formsprache, die mich selbst überrascht.«

Eglė Otto im Gespräch mit Magdalena Froner

Für ihre Ausbildung setzte sie trotz Widerstand des Elternhauses alles auf eine Karte, bewarb sich an der Hochschule für bildende Künste Hamburg und wusste, wenn sie angenommen wird, würde sie diesen Weg kompromisslos einschlagen. Die Ausbildung war konzeptuell; Otto lernte zu verstehen, was eine Auseinandersetzung ist, wie eine Debatte aufgebaut werden kann. In dieser Zeit beschäftigte sie sich auch mit Fotografie und experimentellem Film. aber immer wieder führten sie diese Abwege zurück zur Malerei, die ihre Sprache wird.
Während des Studiums entschied sich die Künstlerin Mutter zu werden, als Akt eines Wiederstandes gegen vorherrschende Gender spezifische Klischees einer Unvereinbarkeit von Mutter-chaft und künstlerischer Karriere. »Das ist doch eigenartig. Vatersein ist in der Kunst gar kein Thema, aber Muttersein schon«, erzählt Eglė Otto nachdenklich. Mit der Arbeit »Eglė Otto signiert ihre Kinder« thematisiert sie diese Auseinandersetzung. Das Foto zeigt Otto, wie sie ihre Unterschrift auf den Arm ihrer Tochter und ihres Sohnes setzt. Es ist eine Referenz auf Piero Manzonis »Sculture vivent«, der alles, was seine Unterschrift trug, im künstlerischen Macho-Gestus als Kunst erklärte. Durch die Gestaltung ihrer Kinder als Kunstwerk schreibt Otto sich nicht nur selbst in die Kunstgeschichte ein, sondern implementiert auch »her story« in die »history«. Gleichzeitig zeigt sie auf, dass Frauen heutzutage verschiedene Rollen einnehmen können – Malerin, Mutter und kritische Künstlerin – ohne dass dies als außergewöhnlich empfunden werden sollte.

Ausstellungsansicht: Verräumte Dekonstruktion: Neue Legenden bis 29. Juli 2023 in der Galerie Melike Bilir

Heute arbeitet Eglė Otto in Hamburg und Berlin. Vom Regisseur Detlev Buck wurde ihr erst kürzlich ein charakteristischer Dachboden am Ku’damm zur Verfügung gestellt. Die Künstlerin öffnet ihr Atelier auch für Besucher:innen. Anlässlich des Gallery Weekends hat sie gemeinsam mit der Kuratorin Isabelle Meiffert kunstsinnige Gäste bekocht und Gespräche geführt.
Auf dem gemeinsamen Streifzug durch die Räumlichkeiten sehen wir neue Werke und auch einige aus dem Jahr 2018. Es gelingt, die Entwicklung der letzten fünf Jahre nachzuzeichnen. 2018 im Gemälde »Kammer« formte Eglė Otto Körpermassen, die sich bündeln: Bündel aus Erfahrungen, Vorstellungen und Angeboten. Man kann Fortpflanzungsorgane, pralle Brüste, Andeutungen von langem Haar, die Kraft eines Wikingers, in den Farbauftrag gekratzte Bordüren oder Strumpfbänder assoziieren. Es formiert sich etwas, bevor wir wissen, wo es hingeht; wird es männlich, wird es weiblich, wird es hassen, wird es lieben? Aus der Fragestellung und aus dem Abstrakten heraus entstehen direkt auf der Leinwand Impulse und Reize: über Körperwahrnehmung oder über den Moment vor der Abreise. Die Künstlerin arbeitet auf der Leinwand Ideen ab. Das Gehirn treibt und das Auge überprüft, mit der Absicht, dass im Ergebnis über etwas gesprochen werden kann.

An einer Wand weiter hinten steht das Werk »First Creatures« von 2023, eine Referenz an Helen Frankenthaler. Die Formen sind gelöster als im Werk von 2018. »Wir verfangen uns in Identitätsfragen, die spalten. Ich möchte zu-rück an den Punkt, bevor wir es kategorisiert und bewertet haben; es ist dieser Zustand, der mich interessiert«, erklärt Otto. Daher auch der Titel: »Es geht exakt darum. Das in die Welt kommen. Dieser erste Moment, in dem es sich formiert. Wird es laufen können, werden sie miteinander kämpfen oder werden sie sich einig? Der Grat ist so unendlich schmal, und so spannend, weil daraus etwas Großes entsteht. Das ist das, was ich ausdrücken möchte, ich möchte mich dieser Ahnung nähern.« Wir nehmen auf der Leinwand Isolation, Verletzlichkeit und Einsamkeit wahr, aber zugleich auch Hoffnung und Verbindung.

Eglė Otto: Put a Spell, 2023, Öl auf Leinwand, 210 x 150 cm

Und dann stehen wir plötzlich vor »Put a Spell«. Körper fügen sich auf der Leinwand in den Raum. Figurative Formen scheinen sich aufzulösen. Ein großes Ohr führt zur vermeintlichen Assoziation Am Anfang war das Wort. Die dunklen Farben, das Materielle am Boden und zum Geistigen hin, in der »Birne« wird es hell. Der Granatapfel steht für den Moment der Verführung und dazu gesellt sich der Stachel des Todes. Es ist eine regelrechte Flut von aha-Momenten, die seitens der Urheberin wohl bewusst provoziert wurden: »Ich wollte, dass es lecker wird! Ein Moment der Transformation. Du saugst die Information auf, beschreibst sie und wirst Teil davon«, sagt Eglė Otto. Es gelingt ihr, mittels ihrer Malerei Lücken zu erschließen und zugleich Möglichkeiten aufzuzeigen, uns von Konventionen und Denkmustern zu befreien.