
Das Bild der Mutter in der Kunst hat tiefe und vielfältige Wurzeln, die auf verschiedene Kulturen und Epochen zurückgehen. Seit dem Jungpaläolithikum, kurz vor 8000 v. Chr., werden Darstellungen der Mutterfigur mit Fruchtbarkeit und Leben in Verbindung gebracht, wie die Statuetten von Frauenfiguren zeigen, die den paläolithischen Venusfiguren relativ ähnlich sind und Mutterschaft und Wohlstand symbolisieren.
Die fruchtbare Frau und der Stier sind zwei Symbole, die der landwirtschaftlichen Fruchtbarkeitsära nur wenig vorausgehen und sich dank der frühen Landarbeit des Menschen entwickelt haben. Sie sind grundlegende Elemente zum Verständnis der neolithischen Religion des 6. Jahrtausends. Die anthropomorphe mesopotamische Vasenfigur ist das Bild des schöpferischen Prinzips, auf das sich das große Kreuz bezieht, das die Brüste umschließt und sich vom Hals entlang der weiblichen Hüften erstreckt. Die Macht der neolithischen Göttin ist durch die Modellierung sowohl der Entwicklung des Schamdreiecks, das bis zum Boden reicht, als auch der Position der Hände, die die Brüste stützen, gekennzeichnet.
Seit der Antike werden Mütter daher als Beschreibungen der weiblichen Psyche dargestellt und mit Themen wie Fruchtbarkeit und Überfluss assoziiert, die schon in den frühesten künstlerischen Darstellungen durch die entwickelten Brüste und den Unterleib einer schwangeren Frau symbolisiert wurden. Seit der Jungsteinzeit – vor dem Aufkommen der Hieroglyphen-Schrift im 3. Jahrtausend – war in Ägypten parallel zu den östlichen Kulten eine archaische Kultur der Lebensgöttin verbreitet. Die religiöse Botschaft aus dem Erstaunen über die ursprüngliche Schöpfung von Erde, Licht und Mensch im Chaos wird imaginiert und in das Geheimnis des Lebens des Kosmos verwandelt.
Das Leben und sein heiliger Charakter sind das göttliche Werk schlechthin, das von den zahlreichen ägyptischen Gottheiten bewacht wird, die durch ein geheimnisvolles Symbol – das Ankh-Zeichen oder »Schlüssel zum Leben« – dargestellt werden, das aus prähistorischer Zeit bis ins koptische Christentum reicht. Die Darstellung der Isis, die ihren Sohn Horus stillt, gehört zur ikonografischen Tradition der sogenannten *Isis lactans* oder »stillenden Isis«, die in der 25. Dynastie (746–655 v. Chr.) entstand. Der Kult der Mutter und des Säuglings war in Ägypten weitverbreitet. Die Muttergöttin Isis wird oft mit der Krone der Himmelskönigin dargestellt und hält Horus auf ihrem Schoß.
Bronzestatuette der Göttin Isis, die mit ihrer linken Hand den Körper des kleinen Horus hält, der auf ihrem Schoß ruht, und ihm ihre linke Brust reicht. Hellenistische Epoche, 332–30 v. Chr. Turin, Museo Egizio
Im östlichen Mittelmeerraum fasste der Isis-Kult während der hellenistischen Periode auf Sizilien, Sardinien und in Italien schnell Fuß; um 88 v. Chr. war diese Religion bereits fest etabliert. Das bekannte Fresko in der Priscilla-Katakombe in Rom aus dem 3. Jahrhundert (230–240) ist die älteste bekannte Darstellung der Jungfrau und des Kindes mit einem Propheten, der auf einen Stern über Marias Kopf zeigt. Die Person, die auf den Stern zeigt, kann mit dem alttestamentarischen Propheten Bileam identifiziert werden, der das Kommen Christi voraussagt.
In allen Aspekten des Kultes, des Mythos und des Bildes der Isis sind ägyptische Elemente vorherrschend: Im alten Ägypten war sie eine Heilsgöttin, die mit der Fruchtbarkeit der Erde verbunden war. Die Vorstellung von Frauen als Heilerinnen, Beschützerinnen und Mütter war im gesamten antiken Mittelmeerraum verbreitet. Sowohl Maria als auch Isis wurden von den Gläubigen verehrt, wenn auch auf unterschiedliche Weise: Isis als eigenständige Göttin, während die Jungfrau Maria insofern von Bedeutung war, als ihre Funktion eng mit dem Gottessohn verbunden war, den sie geboren hatte und der deshalb Mensch wurde.
Die koptischen Mönche übernahmen dieses Bild der *Isis lactans* aus dem bekannten ikonografischen Repertoire der Isis und anderer ägyptischer Muttergöttinnen für ihre Andacht. Der gleiche Gedanke der ikonografischen Entlehnung für den sakralen Gebrauch kann für die symbolische Verwendung des Ankh-Kreuzes übernommen werden.
In den frühesten Beispielen der abendländischen Kunst ist die ikonografische Konstruktion epiphanisch: Die Jungfrau blickt wie aus der Ferne vor sich hin und bewahrt das königliche Bild der Gottesmutter der byzantinischen Ikonen. Die Madonna der Barmherzigkeit ist in der Tat eine der fünf ältesten erhaltenen Marien-Ikonen aus dem Mittelalter. Ihre Nähe zum Aufkommen des Christentums ist einer der Gründe, warum sie als göttliches Bild angesehen wurde.
Die Ikonografie der mit einer Krone und einer Perlenkette geschmückten und auf einem Thron sitzenden Maria (»Maria Königin« – *Regina Coeli* oder *in Majestät*), die das Jesuskind in einem und ein Kreuz im anderen Arm hält, bringt sie in die Nähe der östlichen Tradition. Die Ursprünge des Gemäldes sind unter Gelehrten umstritten, der Autor ist anonym. Es wird angenommen, dass es in Rom im Auftrag des griechischen Papstes angefertigt wurde. Das Mosaik an der Fassade der Basilika Santa Maria in Trastevere stammt aus dem 13.Jahrhundert und zeigt ebenfalls eine Madonna, die auf einem Thron sitzt und das Kind stillt – inmitten von Prozessionen von Heiligen, die Lampen tragen, und den beiden kleinen Opfern zu ihren Füßen.
Auf dem Altarbild des Maestro della Maddalena, eines florentinischen Künstlers aus dem 13. Jahrhundert, sitzt die Jungfrau auf einem reichen Thron. Ihr Kopf ist kaum geneigt, behält aber eine starre und stilisierte Struktur, während sie in einem Arm das Kind hält, das wie ein kleiner Erwachsener aussieht, gekleidet wie ein Philosoph, mit einer purpurnen Toga, der Schriftrolle in der einen und in der anderen Hand die Geste des Segens.
Die ikonografische Tradition ist die der Muttergottes der Milch, die auf das 6. Jahrhundert zurückgeht. Zu der Zeit bildete sich die Legende, dass die Jungfrau in einer Höhle unweit der Geburtsbasilika in Bethlehem in Palästina in ihrer Eile, das Kind zu füttern, einige Tropfen Milch auf den Boden verschüttete, während die Soldaten des Herodes eindrangen. Der Stein an diesem Ort wurde weiß. Die Crypta lactea oder Crypta lactationis, arabisch Meharet Sitti Mari- am (Grotte der Muttergottes) zog im Laufe der Jahrhunderte und zieht auch heute noch Frauen an – christliche und muslimische –, die die Jungfrau um Schutz bei der Geburt und reichlich Milch für ihre Kinder bitten. In der ersten Version der Ikonografie der Milchmadonna wird Maria also frontal als Mutter Gottes und Schutz- patronin der Mütter bei der Geburt dargestellt: Das Werk hat einen intimen und mütterlichen Charakter und bringt neben der göttlichen auch die menschliche Natur zum Ausdruck, die Chris- tus innewohnt. In der zweiten Komposition hin- gegen geht es darum, die Vorliebe Marias für eine konkret gelebte Figur zu zeigen, die, um der Gemeinschaft der Gläubigen als Vorbild für die Kirche zu dienen, im Akt des Empfangens des Wohlwollens der Jungfrau dargestellt wird. Eine realistische Darstellung der schwangeren Jungfrau kursierte in der Toskana bereits seit der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts.
Dieses ikonografische Motiv wurde »Madonna der Geburt« genannt und stellt die Madonna allein, frontal und sichtbar schwanger dar. Ursprünglich ist das Unterscheidungsmerkmal das geschlossene Buch, das auf dem Bauch ruht, eine Anspielung auf das fleischgewordene Wort. Das Buch stellt in der Tat das Alte Testament dar und damit das Wort Gottes, das durch die Jungfrau fleischgeworden und zu den Menschen herabgestiegen ist. Die Madonnen der Geburt, von denen das Fresko im Altar der kleinen Kirche von Monterchi von Piero della Francesca stammt, standen somit theologisch im Gegensatz zu den Darstellungen des Kindes, das als Lichtstrahl in den Leib der Jungfrau eintritt. Beide Vorstellungen wurden jedoch vom Konzil von Trient (1545–1563) endgültig für häretisch erklärt.
Der überwiegend intime Charakter, der der häuslichen Andachtsfunktion von Masaccios Tafelbild eigen ist, tritt in der Darstellung der mit ihrem Sohn spielenden Jungfrau hervor. Im Gegensatz zu Masolinos Madonna der Demut erneuert die Madonna des Kitzelns die spätgotische Bildkultur um die Menschlichkeit, die sich gegenüber der stereotypen Darstellung des Marienbildes (Madonna der Milch) durchsetzt. Die Mutter verweilt mit ihren spitz zulaufenden Fingern unter dem Kinn des Kindes, bis es durch das Kitzeln laut auflacht. Das Kind zeigt seine eigene Zerbrechlichkeit, indem es sich in einem plötzlichen Abwehrreflex mit beiden Händen an den Unterarm der Mutter klammert – selbst in der gelassenen Ernsthaftigkeit ihres meditativen Profils, das den Tod des Sohnes vorwegnimmt, symbolisiert durch die Kette mit dem Korallenanhänger, die durch die Bewegung des Kindes zu ihrer Schulter gelangt ist.
Auch in Donatellos Skulptur unterstreicht das ruhige Lächeln der Mutter sowohl die Betrachtung als auch die Fürsorge für das Kind, das sie in ihren Armen hält. Die Frau beherrscht kaum die Aufregung des Kindes, die sich in den geröteten Wangen zeigt, die durch das Wachstum der ersten Milchzähne verursacht werden und die nicht einmal der Daumen in ihrem Mund lindern kann. Das menschliche und einfühlsame Verständnis des Ehepaars Madonna Mellon zeichnet auch den anderen Protagonisten der frühen italienischen Renaissance aus.
Ein toskanisches Mäzenatentum kennzeichnet die Tafel der Madonna der Demut des berühmten flämischen Meisters. Selbst in der Lentikularität der kostbaren, in Öl gemalten Details gibt Jan van Eyck die innige Beziehung zwischen den durch einen verständnisvollen Blick im Moment des Stillens verbundenen Personen wieder. Die häusliche Dimension ist durch die Gegenstände gekennzeichnet, die den Innenraum wesentlich bereichern: Der Glaskübel mit kristallinem Wasser, der auf dem Regal rechts von der Jungfrau steht, spielt auf das Dogma der Unbefleckten Empfängnis an.
Die Figur der Madonna mit Kind – ein Symbol der Liebe und Hingabe – zeigt Menschlichkeit und Verletzlichkeit. Im 19. und 20. Jahrhundert wandelte sich die Mutterfigur weiter und spiegelte den gesellschaftlichen sowie kulturellen Wandel wider. Mit dem Aufkommen der romantischen Bewegung bis hin zur symbolistischen Bewegung des späten 19. Jahrhunderts wird die Figur der „bösen Mutter“ häufig verwendet, um die Spannungen zwischen mütterlicher Pflicht und persönlichen Bestrebungen zu erkunden. Künstler wie Edvard Munch mit Werken wie Madonna oder Giovanni Segantini mit Der Engel des Lebens und Böse Mütter spiegeln die Ängste und Frustrationen wider, die mit der Mutterschaft verbunden sind; sie legen nahe, dass die Mutterfigur auch eine Quelle der Angst sein kann. Die oft idealisierten Mütter zeigen selbst in der traditionellen Ikonografie zunehmend menschliche Züge.
Giovanni Segantini, Die bösen Mütter, 1894. Wien, Österreichische Galerie Belvedere
Das Bild der „bösen Mutter“ ist in der Kunstgeschichte sehr präsent und wird häufig verwendet, um komplexe Themen im Zusammenhang mit Mutterschaft, Schuldgefühlen und sozialen Erwartungen zu untersuchen. Diese Figur wurde auf unterschiedliche Weise dargestellt und spiegelt die Ängste und Befürchtungen der Gesellschaft in Bezug auf die Rolle der Mutter wider. Vom „kurzen Jahrhundert“ bis zur Gegenwart wird die Ebene schräg – und die Beziehung zur Vergangenheit immer komplexer und symbolträchtiger, wenn auch flüchtig.
Auch heute noch ist die Mutterfigur ein immer wiederkehrendes Thema in der zeitgenössischen Kunst, das häufig zur Auseinandersetzung mit Fragen der Identität, des Geschlechts und der Kultur genutzt wird. Vor allem zeitgenössische Künstlerinnen haben unterschiedliche Erfahrungen zum Ausdruck gebracht, traditionelle Darstellungen infrage gestellt und das Verständnis von Mutterschaft erweitert. Frida Kahlo (1907–1954), wegen ihrer Unfähigkeit, ein Kind zu gebären, und Louise Bourgeois (1911–2010), wegen ihres problematischen Verhältnisses zur Mutterfigur, setzten sich beispielsweise mit der Komplexität der Mutterschaft auseinander und erforschten Trauer, Verlust und Entfremdung. Ihre Werke stellen gesellschaftliche Normen und Erwartungen an die Mutterrolle infrage und verdeutlichen persönliche Erfahrungen und innere Kämpfe.
Lucia Marcucci (Florenz, 1933) führt in Viaggio von 1962 einen Dialog mit ihrem Sohn in visueller Poesie – eine Metapher für die mütterliche Beziehung. Die Inschriften auf dem bedruckten Papier sind manchmal ausradiert, um eine kryptische Sprache hervorzuheben, die sowohl intim als auch universell ist, die aber nur durch die Widmung für Außenstehende sichtbar wird und neben der Poetik der Künstlerin die menschliche Mutterliebe hervorhebt, die zur Autonomie des Irrtums neigt: die, die eigene Reise nicht antreten zu können. Die Sicht des Sohnes auf seine Mutter taucht als idealer Kontrapunkt zu Marcuccis Werk in dem anrührenden Melodram Mommy auf, das dem damals 25-jährigen kanadischen Regisseur Xavier Dolan (1989) im Jahr 2014 den Preis der Jury bei den Filmfestspielen von Cannes einbrachte und ihn zum Sieger erklärte:
Wenn es ein Thema gibt, das ich besser kenne als jedes andere, das mich bedingungslos inspiriert und das ich über alle anderen liebe, dann ist es sicherlich meine Mutter. Und wenn ich meine Mutter sage, dann meine ich DIE Mutter im weitesten Sinne, die Figur, die sie darstellt. Denn sie ist es, zu der ich immer zurückkehre. Sie ist diejenige, die ich die Schlacht gewinnen sehen möchte; sie ist diejenige, für die ich Probleme erfinden möchte, deren Lösung ihr zugeschrieben werden kann; sie ist diejenige, durch die ich mich selbst infrage stelle; sie ist diejenige, die ich schreien hören möchte, wenn wir kein Wort zueinander gesagt haben. Sie ist es, von der ich will, dass sie recht hat, wenn wir uns geirrt haben. Sie ist es, die immer das letzte Wort bei allem hat.
Autorin: SILVIA MORETTI schloss ihr Studium der zeitgenössischen Kunstgeschichte an der Universität Parma unter der Leitung von Arturo Carlo Ottaviano Quintavalle ab und spezialisierte sich darauf. Sie unterrichtet Kunstgeschichte am Liceo Artistico »F. Arcangeli« in Bologna und führt dabei transdisziplinäre, in das Gebiet integrierte Lehrversuche durch.