Im Lichte der Omnipräsenz von digitalen Plattformen und zeitgenössischen Entwicklungen betreten zahlreiche Modelabels und Couturiers das Boot des Metaversums, das sie in eine erstaunlich kreative Leinwand transformieren. Auf die Frage, was in der Mode noch alles möglich sei, antworten sie mit einer farbenfrohen Leichtigkeit und einer skulpturalen dreidimensionalen Ästhetik – ohne jegliche Begrenzung der Diversität oder Originalität.
Vor allem die Aufnahme von innovativen Branchen in die Modewelt spielt eine große Rolle. An der Spitze der zukunftsorientierten Avantgarde steht derzeit ohne Zweifel der Designer William Shen mit seinem futuristischen Label »Christopher Raxxy«.Die Raxxy-Couture-Teile sind einzigartig und (noch) unangetastet. Diese spiegeln die kreative Interpretation der Digitalisierung und Technologie wider, übersetzt in ein ästhetisch-künstlerisches Vokabular. Beim Anblick der Modekollektionen des chinesischen Couturiers und Modedesigners tippe ich anfänglich auf eine Beeinflussung der künstlichen Intelligenz. Doch inspirieren ihn primär mathematische Formeln, die er in seinem Œuvre neu verwandelt. Durch die Verwendung von federleichten Materialien und einer dreidimensionalen Symmetrie verleiht er seinen Kreationen einen futuristisch-skulpturalen Hauch – und gibt der Fashionszene somit eine Vorschau auf deren Zukunft. Shen fühlte sich als mathematisches Genie bereits während der Schulzeit zur Mode hingezogen. Daher entschloss er sich, die Logik der Mathematik in seine Auffassung von Mode und Kunst zu integrieren. Seinen Kindheitstraum, Mathematikprofessor zu werden, hat er dabei nicht ganz aufgegeben; stets versucht er, die Formel der Logik in eine Formel der Ästhetik umzuwandeln. Seinen Horizont erweitert er mit Inspirationen durch das Studium der Modegeschichte und des Modedesigns. Im Juni 2020 debütierte Raxxy auf der Shanghai Fashion Week, wo er mit seinen mutigen Designs beeindruckte.
Mit dem Beginn seines Designprozesses ist ihm bewusst geworden, dass er modische Grenzen sprengen und diese neu überdenken möchte. Seine erste Kollektion präsentierte Shen als Hommage an die traditionelle chinesische Kultur. Dabei hat er eine neue Webtechnik entworfen, bei der er die Kleidungsstücke nach Vorlage der chinesischen Scherenschnitttradition zuschneidet. Diese neue Perspektive auf eine traditionsgebundene Handwerkskunst resultierte in einer grafischen Stilinnovation. Im Jahr 2021 präsentierte Raxxy seine zweite Kollektion mit dem Titel »The Great Wall«. Als Laufsteg und Shooting-Location diente dabei nichts Geringeres als die chinesische Mauer. Ausgehend von einer konventionellen Bambuswebtechnik hat William Shen dabei ein fünfdimensionales Daunenjackenkonzept entwickelt, das neue Welten und geometrische Modeformen eröffnet. Im Gegensatz zur gewohnten zweidimensionalen Stofflichkeit der Modeschöpfung geht Raxxy von einem dreidimensionalen Körper aus. Jene pionierwürdige Konzipierung ergründet blockartige dreidimensionale Strukturen, die der klassischen Daunenjacke nicht mehr ansatzweise ähneln. Als ich Raxxys Jacken zum ersten Mal trage, verspüre ich eine Sensation der Schwebhaftigkeit. Zugleich umhüllt mich ein Gefühl der modischen Geborgenheit und der kreativen Sorglosigkeit. William Shen gelingt es, die Merkmale der Haute Couture durch seinen interdisziplinären Ansatz zu modernisieren und um eine neue Dimension zu erweitern. Seine dreidimensionale Konstruktionen bieten endlose Möglichkeiten, die als modisch-futuristische Prophezeiung gedeutet werden können. Im Februar 2023 präsentierte Christopher Raxxy die innovativen Luxusjacken auf der prestigeträchtigen Mailänder Fashion Week und im Oktober 2023 kooperierte das Label mit Moncler; zwei Beweise, dass die Modebranche der innovativen Ära mit offenen Armen gegenübersteht.
Mindestens genauso avantgardistisch ist die Dress-X-Plattform. Diese arbeitet seit 2020 daran, dem Überfluss an Modekonsum mit digitalen Alternativen entgegenzusteuern. Durch die Zusammenarbeit mit zahlreichen digitalen Designern stellt die App sowie deren Onlineshop eine nachhaltige und zeitgleich modische Gegenposition zur Fast-Fashion-Szene dar. Daria Shapovalova und Natalia Modenova, die beiden Gründerinnen von Dress X, sind überzeugt, dass sich die Zukunft der Modeindustrie sowie der Modeproduktion virtuell abspielen wird. Dabei werden NFT-Kleider mit realen Fotografien ergänzt, als Folge entstehen fantasievolle und umweltschonende Outfits. Unter dem Motto »Don’t buy less – shop digital fashion« bietet die Plattform mehr als tausend NFT-Kleidungsstücke für jeden Stil und Geschmack; einige davon sind virtuelle Unikate. Im Zuge einer Recherche der Gründerinnen im Jahr 2019 haben diese herausgefunden, dass 9 % aller Modekonsumenten in hochentwickelten Ländern Kleidung nur erwerben, um diese auf Social-Media-Kanälen fotografisch in Szene zu setzen. Dieser Prozentsatz wird mit größter Wahrscheinlichkeit rasant ansteigen. Fast Fashion dient prinzipiell zur optisch gesteuerten und trendorientierten Kommunikation und wird vermehrt für Medieninszenierungen und deren Hype konsumiert. Daria und Natalia übersetzen diesen »Massenkonsum« in eine digitale und somit zeitgemäße Sprache:
»We strongly believe that the amount of clothing produced today is way greater than humanity needs. We share the beauty and excitement that physical fashion creates, but we believe that there are ways to produce less, to produce more sustainably, or not to produce at all.«
Eine Initiative, die vom Wandel in der Modeindustrie überzeugt ist und beweist, dass die neue (Mode-)Welt und Luxusindustrie mit vermeintlichen »Fremdkörpern« harmonieren, neue Ebenen erforschen und durch technologische Formeln und virtuelle Übersetzungen noch nie gesehene Formen erfinden wird. Dieser Wandel bringt Hoffnung auf Veränderung. Denn im Grunde überlebt Couture ausschließlich im Kontext einer revolutionären Metamorphose.