Das Zurich Art Weekend hat sich seit seinem Bestehen als bedeutendes Ereignis im Kalender der Kunstwelt etabliert. Als integraler Bestandteil der Kunst- und Kulturszene in Zürich zieht die alljährlich im Vorfeld der Art Basel stattfindende Veranstaltung Kunstbegeisterte und Fachleute aus aller Welt an. Die siebte Ausgabe vom 7. bis 9. Juni markiert – neben den über 130 kuratierten Veranstaltungen in der ganzen Stadt – eine besondere inhaltliche Erweiterung: Erstmals wird ein umfassendes Performance-Programm präsentiert, das über die traditionellen Kunsträume hinaus, in den öffentlichen und halböffentlichen Raum vordringt. So können tiefgreifende Dialoge über Themen initiiert werden, die die gegenwärtige Gesellschaft bewegen.
In einer Zeit, in der der künstlerischer Ausdruck vermehrt als Mittel zur Reflexion und zum Verständnis globaler Herausforderungen genutzt wird, nimmt die Performance eine besondere Rolle ein. Performance-Kunst ist eine vielschichtige Form des Ausdrucks, die ihre Wurzeln im frühen 20. Jahrhundert hat, wo das Kabarett und Varieté Aspekte der dadaistischen Performance inspirierten, um den Anspruch populärer Kunstformen und massenkultureller Ansprache zu erfüllen. Schon damals bot Zürich wohl die beste Umgebung, denn genau dort eröffnete Hugo Ball 1916 sein berühmtes Cabaret Voltaire. Das Publikum war kritisch: Tanz in einem Kostüm ohne Bewegungsfreiheit, Lyrik ohne Gedicht, sondern als eine Abfolge einzelner Buchstaben und ein Durcheinander der Genres. In den 1960er-Jahren wurde die Performance schließlich durch Künstler:innen wie Yoko Ono, Marina Abramović und Chris Burden zu einer etablierten Kunstform. Ihre Flüchtigkeit und ihre zeitgebundene Natur machen sie einmalig. Sie kann in ihrer Originalform nicht wiederholt werden. Diese Einmaligkeit schafft eine besondere Verbindung zwischen den Künstler:innen und dem Publikum, die in traditionelleren Medien wie Malerei oder Skulptur so nicht vorhanden ist. Performance nutzt zumeist den Körper als primäres Medium, wodurch eine unmittelbare und oft intensive Erfahrung sowohl für die Ausführenden als auch für das Publikum entsteht. Anders als in passiven Kunstbetrachtungen wird das Publikum aktiv in das Kunstwerk eingebunden – sei es durch direkte Interaktion, durch das Erleben von sensorischen Erfahrungen oder durch die Teilnahme an einem dialogischen Prozess. Diese Interaktion ruft eine unmittelbare Reaktion hervor und erweitert die Grenzen dessen, was traditionell unter Kunst verstanden wird. All diese Eigenschaften verleihen dem performativen Akt die Fähigkeit, entscheidende und provokante Themen aufzugreifen: Fragen der Identität, Politik, Gesellschaft und des menschlichen Befindens.
Themen, die auch Teil des Performance-Programms vom Zurich Art Weekend sind, das sich wie ein Netz über die ganze Stadt legt, um die breite Teilhabe »einzufangen«: vom Schauspielhaus Zürich, dem Kunsthaus Zürich, dem Theaterhaus Gessnerallee, dem Cabaret Voltaire, dem Löwenbräukunst Areal und der Shedhalle bis hin zu Galerien und Off-Spaces wie der Barbara Seiler Galerie, der Galerie Gregor Staiger, dem OnCurating Project Space und WE ARE AIA | Awareness in Art. Die Inhalte sind umfangreich: in der Galerie Gregor Staiger eine Einzelausstellung von Nora Turato, die 2022 im MoMA auftrat; eine Gruppenausstellung von Performance-Künstler:innen in der Barbara Seiler Galerie mit Martina-Sofie Wildberger, Gregory Tara Hari, Latefa Wiersch, Shana Lutker, Sophie Jung, Guillaume Pilet und Dina Danish; Performances im Kunsthaus Zürich von der Gewinnerin des Swiss Art Award (2023) und des Swiss Performance Art Award (2022) Latefa Wiersch und de:r international anerkannte:n Schweizer Künstler:in Izidora | LETHE; sowie eine ortsübergreifende Serie der britischen Turner-Preisnominierten Monster Chetwynd.
Die Performance »To Die« von Shana Lutker in der Barbara Seiler Galerie erweckt die avantgardistischen Tanzstile von Valeska Gert aus den 1920er-Jahren zu neuem Leben, indem sie das Publikum einlädt, Teil der Aufführung zu werden und die Grenzen gesellschaftlicher Konventionen zu erkunden. In »YOU’VE CROSSED THE LINE!« schafft Dina Danish eine Umgebung, die die Besucher:innen unmittelbar in die Performance einbezieht, indem sie eine physische und metaphorische Grenze innerhalb des Galerieraumes zieht. Dies fordert das Publikum heraus, über die Konsequenzen des Überschreitens von Grenzen nachzudenken – sowohl im physischen als auch im übertragenen Sinne. Ebenfalls in der Barbara Seiler Galerie zu sehen ist »damned and doomed« von Gregory Tara Hari. Er nutzt die rohe Kraft des Fluchens und Verwünschens, um Themen wie Trauer, Wut und gesellschaftliche Enttäuschungen zu bearbeiten. Diese Performance ist in zwei Kapitel unterteilt, die sich mit Rassismus und Sexismus in der Filmindustrie sowie dem respektlosen Verhalten von Touristen in Südostasien auseinandersetzen, wodurch tiefgreifende soziale und kulturelle Probleme aufgedeckt werden.
Lena Maria Thürings »Liquid Connections« im Space von WE ARE AIA | Awareness in Art verbindet Kunst und Ökologie, indem sie die Beziehungen zwischen Wasser und dem menschlichen Körper untersucht. Diese Performance kulminiert in eine Diskussion, die darauf abzielt, ein neues, regeneratives Vokabular rund um das Thema Wasser zu entwickeln.
Die Werke von Sultan Çoban bewegen sich an der Schwelle zwischen bildender Kunst und Performance. Sie greift wiederholt auf theatralische Techniken zurück, wenn sie beeindruckende Rollenspiele und Nachstellungen inszeniert, die komplexe Fragen zur Originalität, Identität und Performance aufwerfen. In ihrem Werk »unveiling for a play (act II, scene I)« im Theaterhaus Gessnerallee nutzt sie die Funktion des Theatervorhangs – Verbergen oder Enthüllen – als Gelegenheit für eine vielschichtige Erforschung der Selbstzensur und all dessen, was hinter den Kulissen bleibt.
»Yellow, or what nature implies« von Latefa Wiersch erforscht im Kunsthaus Zürich die politischen Implikationen von Körpern. Körper, die sogenannte fremde Länder und Kulturen symbolisieren. Sie stellt sich den sozialen Konstruktionen von »unberührter« Natur entgegen, die in der westlichen Hemisphäre oft durch vermeintlich unpolitische HD-Bilder von verlassenen Landschaften oder traditionell gekleideten indigenen Menschen genährt werden.
Die Performances im Rahmen des Zurich Art Weekends nutzen auf ihre Art den Raum und die Interaktion mit dem Publikum, um tiefere Fragen der Identität, Kultur und gesellschaftlichen Normen zu stellen. Sie fordern die Zuschauer auf, über ihre eigene Rolle in diesen Dynamiken nachzudenken. Durch die direkte und explizite Natur dieses künstlerischen Ausdrucks werden komplexe Konzepte kommuniziert, um den kritischen Blick auf gesellschaftliche Normen zu sensibilisieren. Und es wird marginalisierten Stimmen Raum gegeben, um bisher unerzählte Geschichten zu erzählen.
Veranstaltung:
Zurich Art Weekend 2024
Das Kunsthaus nimmt dieses Jahr die Rolle einer Drehscheibe des «ZAW» ein und hält ein spannendes Programm für die Besucher/innen bereit.
Öffnungszeiten
- Freitag, 7. Juni 2024: 11:00 – 21:00 (ZAW Spätabend)
- Samstag, 8. Juni 2024: 11:00 – 20:00
- Sonntag, 9. Juni 2024: 11:00 – 18:00