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Der Palazzo Grassi in Venedig würdigt die Künstlerin mit einer umfangreichen Einzelausstellung. Die Geschichte Venedigs ist eng mit dem Seehandel verbunden, der seine Schiffe auf den Routen des Mittelmeers führte und die Stadt zu einem Tor zwischen Orient und Okzident machte.
Dieses Gefühl der Verbundenheit findet sich wieder, wenn man über die Installation Hors-sol (2025) geht, die die Ausstellung von Tatiana Trouvé im Palazzo Grassi eröffnet und ein ideales Netz von Verbindungen zwischen Orten der Welt inszeniert. Das imposante Werk bedeckt einen Großteil des Bodens im Erdgeschoss des Gebäudes mit einer schwarzen Betonfläche, in die eine Reihe von Abgüssen von Kanaldeckeln aus verschiedenen Städten wie London, Rom, Paris, New York und – natürlich – Venedig eingelassen sind. Auf der einen Seite hat man beim Überqueren dieser Fläche den Eindruck, auf einer alten Landkarte zu gehen, wie sie von den Kartografen der Serenissima Repubblica im Laufe der Jahrhunderte angefertigt wurden und die dazu beigetragen haben, unsere Vorstellung und Wahrnehmung der Welt neu zu definieren. Auf der anderen Seite hat man beim Betrachten dieses Werks das Gefühl, vor einem Himmelsgewölbe zu stehen, das uns jedoch – im Gegensatz zu denen, die den Seefahrern als Orientierung dienten – keine kohärenten und präzisen Informationen liefert, sondern vielmehr zu einem inneren Wegweiser zu realen und imaginären Orten wird. Diese Installation ist nicht nur ein eindrucksvoller formaler Prolog zur Ausstellung, sondern auch eine echte Absichtserklärung zur Poetik der französisch-italienischen Künstlerin.
Die Ausstellung mit dem Titel La strana vita delle cose (Das seltsame Leben der Dinge, zu sehen bis zum 4. Januar 2026) präsentiert ein umfangreiches Werk, darunter viele eigens für diesen Anlass geschaffene Arbeiten, die in ihrer Einheit ein Korollarium der Praxis von Trouvé bilden – eine Art Symphonie, die auf ständigen Variationen basiert und trotz der Vielfalt der ausgestellten Werke die extreme Kohärenz ihrer ästhetischen und symbolischen Welt deutlich macht.

Tatiana Trouvé, Le voyage vertical, from the series Les dessouvenus, 2022, Pinault Collection; Untitled, from the series Les dessouvenus, 2024, Collection of the artist, courtesy Gagosian © Tatiana Trouvé, by SIAE 2025
Die Ausstellung zeigt eine Auswahl von Skulpturen, die eine Reihe von Themen zum Ausdruck bringen, die eng mit dem persönlichen und alltäglichen Leben der Künstlerin verbunden sind. Eines der wichtigsten Themen ist die empirische und ideale Zentralität ihres Ateliers, in dem sie arbeitet. Die jüngste Serie Notes on Sculpture verewigt eine ganze Reihe von Objekten aus Trouvés Atelier, die in Aluminium oder Bronze gegossen wurden, um Teil von Skulpturen zu werden, die auf einer Wahrnehmungsdualität beruhen. Einerseits wirken sie vergänglich, zart und veränderlich. Andererseits sind sie durch das Eingreifen der Künstlerin, die ihre ontologische Prekarität „überwindet“, wie „eingefroren“. Ein wesentliches Element der Arbeiten ist ihr Titel, der ihnen eine tagebuchartige Dimension verleiht, da jeder von ihnen das Entstehungsdatum und den Namen einer Person enthält, die zu diesem Zeitpunkt in den Gedanken der Urheberin präsent war.
In der ersten dieser Arbeiten, December 28th, »Charles« (2025), werden ein Mülleimer, Kabel und Kleiderbügel zu einem einzigen Organismus, der fast eine organisch-pflanzliche Dimension annimmt. Ebenfalls aus dieser Serie ruft April 27th, »Maresa« (2022–2025) noch direkter die Atelieratmosphäre hervor – mit einer Arbeitsfläche, auf der eine Skulptur zu sehen ist, in der die für ihre technische Realisierung verwendeten Rohre sichtbar bleiben und die Dynamik des künstlerischen Schaffens in den Mittelpunkt rücken.

Tatiana Trouvé, L’inventario, 2003–2024, Collection of the artist © Tatiana Trouvé, by SIAE 2025
In den Sälen des Palazzo Grassi tauchen häufig in einigen Werken Verweise auf andere Arbeiten auf – in einer Art Kreislauf aus Wiederverwendung, Wiederaufnahme sowie ästhetischer und narrativer Neubedeutung. Dies geschieht beispielsweise in den neuen Sitting Sculptures (2024), in denen zwei bemalte Aluminiumskulpturen in Form einer Bank eine unregelmäßige, materielle Oberfläche haben, da sie mit Silikonformen überzogen sind, die zuvor für die Schaffung von Werken anderer Zyklen verwendet wurden. Diese beiden Arbeiten stehen vor einer imposanten Gipsplastik, die mit Zeichen übersät ist, die wie echte Abbilder wirken. In ihr sind die Abdrücke eingeprägt, die die Künstlerin nach den Ausschreitungen in Montreuil – der Stadt, in der sie lebt – gesammelt hat, nachdem im Juni 2023 ein minderjähriger Junge nordafrikanischer Herkunft von einem Polizisten getötet worden war.

Tatiana Trouvé, Hors-sol, 2025, Collection of the artist © Tatiana Trouvé, by SIAE 2025
Diese Arbeit, die auf den ersten Blick ruhig und schwebend wirkt, trägt in ihrem Material die „Narben“ dieses Ereignisses: Abdrücke von zerbrochenen Schaufenstern und verbrannten Mülltonnen verweisen auf diese Volksbewegung und versetzen den Betrachter plötzlich in die Gegenwart. Wir sehen jedoch weder den Leichnam des getöteten Jungen noch eine direkte Dokumentation der Ereignisse, sondern nur eine Beschwörung der Spuren, die die kollektive Wut, die Gerechtigkeit forderte, hinterlassen hat.
In diesem Sinne ist auch der Zyklus emblematisch für die heutige Zeit, den die Künstlerin mitten in der Pandemie geschaffen hat (From March to May, 2020), als sie einige Monate isoliert in ihrem Atelier verbrachte, nur in Begleitung ihres Hundes. Ab dem 15. März 2020 verwendete die Künstlerin die Titelseiten einer Reihe von Zeitungen als Grundlage für ihre Zeichnungen: Libération, Repubblica, The Guardian und New York Times werden zum Hintergrund für Interventionen, in denen Worte – mit düsteren und traurigen Titeln – und Zeichen sich überschneiden und ein lebendiges Fresko der Gefühle jener Tage schaffen, die zwischen Angst, Unruhe und zeitlicher Schwebe standen. Trouvés Strich markiert einen Kurzschluss in der Maschinerie der Massenmedien, die weltweit mit Nachdruck über die Pandemie berichteten. Er verleiht der Vereinheitlichung dieser Kommunikation eine subjektive Note, während er gleichzeitig ein persönliches Tagebuch dieser Tage schafft.
Es sei erneut betont, dass das Zeichnen im Zentrum der Arbeit der Künstlerin steht, was auch in der Serie Les dessouvenus (2013–fortlaufend) zu sehen ist, in der verstörende Orte erscheinen, an denen natürliche und anthropogene Elemente in Konflikt zu stehen scheinen – vielleicht aufgrund des übergriffigen menschlichen Handelns. Diese Arbeiten enthalten eine Meditation über das Thema der Vergänglichkeit der Erinnerung, die formal durch unscharfe Punkte zum Ausdruck kommt, die Zweifel daran aufkommen lassen, ob es sich um eine reale Vision oder eine traumhafte Abschweifung handelt. Technisch gesehen „spielt“ die Künstlerin, indem sie die Blätter in Bleichmittel taucht, was eine Reihe von Flecken verursacht, und durch diese gewollten Fehler und Verschmierungen ermöglicht sie, verwirrten Erinnerungen und Träumen eine visuelle Form zu geben.
Die andere grafische Serie, die in der Ausstellung hervorsticht, ist Intranquillity (2005–laufend), deren Titel sich auf Das Buch der Unruhe des portugiesischen Dichters Fernando Pessoa bezieht. Diese Arbeiten scheinen an die Überlagerungen modernistischer Collagen oder an die klaren Gegenüberstellungen der konzeptuellen Fotografie der 1970er-Jahre zu erinnern. Das Thema dieser Produktion sind Arbeits- und institutionelle Räume wie Schulen oder Krankenhäuser, die eine Atmosphäre der Einsamkeit und Stille vermitteln, in der die Figur nie gezeigt wird, aber durch ihre Präsenz in diesen Orten lebendig spürbar ist.
Von allen ausgestellten Werken sind es vielleicht die Skulpturen der Serie The Guardians (2013–fortlaufend), die die menschliche Präsenz in ihrer Abwesenheit am stärksten hervorrufen: Wie die Wächter der Pinault-Sammlung tauchen sie zyklisch in den Sälen des Palastes auf. Es handelt sich um Skulpturen, auf denen auf einem Stuhl Gegenstände mit starker persönlicher Konnotation wie Schuhe, Kissen, Radios, Teppiche und Bücher zu sehen sind. All diese Elemente sind aus Bronze oder Messing gegossen oder aus Marmor, Onyx oder Sodalith gemeißelt. Sie erheben sich wie stumme, stille Zeugen, aber auch als Träger von Wissen und sind ideell in der Lage, neue Ideen anzustoßen. Blättert man durch die abgebildeten Bücher, scheint man in den Kopf der Künstlerin einzutauchen – zwischen Quellen und theoretischen Debatten, wo eine Vielzahl von Wissensgebieten Motor für individuelles Wissen und sozialen Wandel ist.
Zum Autor:
CARLO SALA, geboren 1984 in Treviso, ist Kunstkritiker, Kurator und Dozent an der Akademie der Schönen Künste LABA in Brescia. Er ist Kurator der Fondazione Francesco Fabbri und leitete das Festival Photo Open Up. Darüber hinaus kuratierte er unter anderem Ausstellungen für die Biennale di Venezia, das MUFOCO – Museo di Fotografia Contemporanea – und das MART – Museo di Arte Moderna e Contemporanea di Trento e Rovereto. Seine Essays und kritischen Texte erschienen in verschiedenen Publikationen der Verlage Allemandi, Marsilio, Mimesis, Bruno Mondadori und Skira. 2021 veröffentlichte er das Buch Stati di tensione. Conversazioni su immagine, società e politica (Silvana Editoriale). Er lebt und arbeitet in Venedig.
AKTUELLE AUSSTELLUNG
TATIANA TROUVÉ. The Strange Life of Things
Palazzo Grassi
bis 4. Januar 2026
Kuratiert von Caroline Bourgeois und James Lingwood, in Zusammenarbeit mit der Künstlerin.
Öffnungszeiten: 10 bis 19 Uhr, letzter Einlass um 18 Uhr.
Dienstags geschlossen.