Aus der Reihe: Wissenschaft an der Kunstgrenze, Teil 11 herausgegeben von Roland Benedikter und Valeria von Miller, Center for Advanced Studies von Eurac Research

Immer wieder nehmen wir Neologismen in unseren Wortschatz auf, aber nur wenige haben das Potenzial, eine so heftige Debatte auszulösen und Verwirrung zu stiften, wie es der Begriff post-truth tut. 2016 wurde er von der Redaktion des Oxford English Dictionary gar zum Wort des Jahres gekürt. Die Gesellschaft für deutsche Sprache hob die deutsche Variante »postfaktisch« auf ebendenselben Thron. Seither ist der Begriff zum Gegenstand sowohl akademischer als auch öffentlicher Debatten geworden.
Der Begriff post-truth ist weit verbreitet und wird doch für ganz unterschiedliche Kontexte verwendet. Umso schwieriger ist es, eine klare und einheitliche Definition zu finden. Vereinfacht könnte man sagen, dass unsere Gesellschaft in ein postfaktisches Zeitalter eingetreten ist. Post-truth bezeichnet ein komplexes Phänomen. Informationsüberflutung, eine generelle Krise der politischen Kommunikation, das wachsende Desinteresse der Rezipient:innen, zwischen Fakten und Meinungen zu unterscheiden und eine besondere Sensibilität für Botschaften und Erzählungen mit starker emotionaler Wirkung sind nur einige der Ausprägungen. In der Argumentation scheinen Rationalität und Wahrheitsgehalt von Aus-sagen nahezu obsolet. Die Überzeugung und Mobilisierung von Personen im Hinblick auf einen bestimmten Wahrheitsanspruch stehen im Vordergrund. Doch die Wahrheit ist nicht verschwunden. Im Gegenteil …

Abbildung; Dorian Sari, Compasse, 2021, Metall, Polyethylen, Glasfaser, Lack, menschliches Haar, 260 x 280 cm, Foto: Jonas Hänggi, Kunstmusem Basel, courtesy the artist